Zwischenruf Das Gold unserer Zeit

Gewinn- und Kapitalbeteiligung von Arbeitnehmern galt Jahrzehnte als Exotik - die große Koalition sollte sie nun zum Leitbild in der Globalisierung machen. Aus stern Nr. 46/2005

Die große Koalition braucht ein Herz. Einen Spirit. Eine Vision. In der Sprache der Politik: ein strategisches Ziel. Im Verständnis der Menschen: eine Idee, die ihnen Hoffnung gibt und Zukunft verspricht. Abbruch, Rückbau, Sanierung, so notwendig sie sind, reichen nicht. Wenn schon großkoalitionär vieles nicht geht, weil sich die Partner wechselseitig blockieren, dann muss großkoalitionär wenigstens das geregelt werden, was nur so geht. Das ist nicht wenig. Es ist ein historisches Projekt, das seit fünf Jahrzehnten der Verwirklichung harrt. Und für das kein gesellschaftliches und wirtschaftliches System so geeignet ist wie das deutsche. Die Zeit ist reif für den Aufbruch zur breiten, fantasievoll gestalteten Kapital- und Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer.

Wenn es richtig ist, dass die direkte Entlohnung der Arbeit - vom Gehalt oder Stundentarif über die Arbeitszeiten bis zu den Neben- und Sonderzahlungen - in Zeiten scharfen globalen Wettbewerbs unabwendbar unter Druck steht, dann muss die indirekte an Bedeutung gewinnen. Wenn es richtig ist, dass der Flächentarifvertrag Firmen erwürgt und betriebliche Bündnisse für Arbeit flexibel auf die konkreten Konkurrenzbedingungen reagieren müssen, dann haben die Arbeitnehmer Anspruch darauf, am Erfolg beteiligt zu werden. Wenn es richtig ist, dass die Rente tendenziell nur noch Grundsicherung ist und durch individuelle, kapitalgedeckte Altersvorsorge ergänzt werden muss, dann steht die Beteiligung am Kapitalstock der Wirtschaft auf der Tagesordnung. Bildhaft ausgedrückt: Der Bach darf nicht aufgestaut oder gar trockengelegt werden, er muss fließen - erst am Ende werden die Nuggets geschürft. Und geteilt.

Das macht die soziale Marktwirtschaft zur neuen sozialen Marktwirtschaft und Ludwig Erhards Motto vom "Wohlstand für alle" zur zeitgemäßen, ermutigenden Antwort auf die bedrohlich erscheinenden Tendenzen der Globalisierung. Angst, Ausgrenzung und ökonomischer Erpressung der Arbeitnehmer würden Engagement, Partizipation und Fairness entgegengesetzt. Heute stehen die Verhältnisse auf dem Kopf, und soziale Ungerechtigkeit wird zum beherrschenden Gefühl - Heuschrecken-Furcht ist ihr Ausdruck, nationalistischer Reflex ihre Verirrung. Die Politik zahlt dafür mit der Erosion von Vertrauen einen hohen Preis, weil sie bislang keine Antwort weiß und dem Sparen im Betrieb das Sparen im Staat folgen lässt. Nur noch neun Prozent der deutschen Arbeitnehmer glauben an steigende Löhne und Gehälter in den nächsten Jahren, 49 an sinkende. Die Gewinne der Großunternehmen und die Vergütungen der Vorstände sprudeln dagegen munter, nicht selten mit hohen zweistelligen Zuwachsraten. Ohne politische und soziale Eruptionen hält das auf Dauer keine Gesellschaft aus, auch die friedfertige deutsche nicht.

Nur noch neun Prozent der Arbeitnehmer glauben an steigende Löhne und Gehälter, 49 an sinkende

In den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat es einige Anläufe für Investivlohn- und Kapitalbeteiligungsmodelle gegeben. Doch die Gewerkschaften tauschten Mitbeteiligung gegen Mitbestimmung und Volkskapitalismus gegen Tarifverträge. "Hätten alle Beschäftigten seit 1965 nur ein Drittel ihrer jährlichen Lohnerhöhungen in Beteiligungen am Produktivkapital angelegt, befände sich der deutsche Kapitalstock (...) heute zu maßgeblichen Anteilen in Arbeitnehmerhand", bilanziert der Volkswirt Wolfgang Müller-Michaelis, Ex-Generalbevollmächtigter der Deutschen BP. Firmen mit Arbeitnehmerbeteiligung - wie Bertelsmann, Eon, SAP und Jenoptik - sind trotz vorbildlicher Unternehmenskultur Exoten geblieben. Nun weist die Exotik den Weg aus der Krise.

Union und SPD, Gewerkschaften und Arbeitgeber haben es in der Hand, daraus am runden Tisch der großen Koalition ein Leitbild zu machen. Mit direkten Beteiligungen an Großunternehmen oder indirekten über breit ausgerichtete Fonds. Mit Investivlöhnen, die einen Teil der Zuwächse in Kapital anlegen, oder Beteiligungen an den Gewinnen. Der Staat formuliert die Idee und unterstützt sie durch steuerliche Vorzüge, die Tarifparteien verankern sie in Tarifverträgen für Branchen, Regionen oder Unternehmen. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt - nicht Entweder-oder sollte Maßstab sein, sondern Sowohl-als-auch. Die Tarifpolitik der Gewerkschaften wird beweglicher, sie sollte den großen Sprung wagen. Man wolle künftig betriebsnäher verhandeln, sagt IG-Metall-Chef Jürgen Peters.

Und der baden-württembergische IG-Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann spricht von einer "variablen Einmalzahlung", die je nach wirtschaftlicher Lage in den Betrieben festgelegt werden sollte. Das wäre die Plattform für eine Gewinnbeteiligung, die auch zur Kapitalbeteiligung verwandelt werden könnte.

Die Rufe der Politik nach Patriotismus bleiben fruchtlos. In der Globalisierung ist der Betrieb Schicksalsgemeinschaft. Wenn er seine Leute fair beteiligt, wird er sogar Heimat.

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Hans-Ulrich Jörges