"Ich erkläre Ihnen hiermit, dass ich mich hier in Baden-Baden endgültig niedergelassen habe, mich nicht mehr als Russen betrachte, sondern als Deutschen, und dass ich darauf stolz bin", schrieb Turgenev, der Autor von "Väter und Söhne", Dostojewskij, nachdem er einige Jahre in der Stadt verbrachte. Damals im 19. Jahrhundert war Baden-Baden die beliebteste Sommerresidenz des europäischen Adels. Sie war Treffpunkt von Musikern und Literaten und nicht zuletzt die Stadt mit den meisten Spielkasinos Deutschlands.
Das zog vor allem die russische Elite magisch an. Hier konnte man alles gewinnen, aber auch alles verlieren und nicht selten endete ein Spiel beim russischen Roulette. Zuerst in den 1830ern Jahren zu Besuch, und dann ab 1848 ganz und gar lebte hier Zhukowskij - der Vater der russischen Lyrik, Ziehvater von Puschkin und Erzieher des späteren Zaren Alexander II. Gogol war da und natürlich Ivan Turgenev, Fedor Dostojewskij, Iwan Goncharov und Lew Tolstoj.
Geld verspielen und feiern
An langen Abenden in Baden-Baden konnte man sie treffen: Russische Intellektuelle dostojewskischen Zuschnitts, die mit wirrem Blick durch die Straßen streiften. Die meisten, die nur kurz in der Stadt weilten, gingen nicht spazieren, wie die Einheimischen, denen der Zutritt in Spielsalons untersagt war. Nein, sie verspielten ihr geerbtes Geld, feierten viel und schrieben wie die Teufel, um Geld für den nächsten Abend im Kasino aufzutreiben.
Alles Deutschland im 19. Jahrhundert
... lesen Sie in der aktuellen Folge "Das neue Deutschland-Gefühl: Schwarz-Rot-Gold" der stern-Serie über die Geschichte der Deutschen.
Lew Tolstoj war nur kurz in Baden-Baden und schrieb die viel zitierte Zeile in sein Tagebuch: "Roulette bis sechs Uhr abends. Alles verloren." Turgenev rettete ihn aus der Pleite. Dostoewskij war auch hier, doch man sah wenig von ihm. Er schuldete allen Geld, die er einigermaßen kannte, und sammelte sehr intensiv Erfahrungen für seinen "Spieler". Das Buch, dem Baden-Baden bis heute seinen Ruf als Stadt der Spieler und als Exklave Russlands verdankt.
Der Liebe auf der Spur
Turgenev kam nach Deutschland, weil er Pauline Viardot, der gefeierten, aber verheirateten Opernsängerin, die er in St. Petersburg kennen lernte, folgte. Zuerst nach Berlin, dann nach Baden-Baden. Nach langen Jahren in Deutschland bewunderte Turgenev die Deutschen als naturverbundenes und nachdenkliches Volk, was ihm den Ruf eines "Sapadniks" - Westlers - einbrachte und unter Landsleuten nicht gerade beliebt machte. Doch was zählte das schon, wenn man in der Nähe der geliebten Frau war. Ganz Baden-Baden, Sankt-Petersburg und Paris verfolgte die Liebesgeschichte von Turgenev und Pauline Viardot.
Die Französin - eine der berühmtesten Opernsängerinnen der Zeit und der Russe - einer der wichtigsten Literaten seiner Generation, der seine Spuren nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Philosophie hinterlassen hat, lieferten den nachmittäglichen Salons, was den heutigen Klatschspalten entsprochen haben dürfte, jede Menge Stoff. Sie gaben zusammen Gesellschaften und präsentierten Bühnenstücke. Und dabei blieb es nicht, man munkelte, eins der Kinder der Viardot sei von Turgenev. Aber sowohl die Familie Viardot, wie auch der Dichter Turgenev waren zu beliebt, als dass die Baden-Badener feine Gesellschaft auf die Einladung am Sonntag verzichtet hätte.
Durch Alleen stolzieren und philosophieren
So lebte Turgenev vor, was er schließlich auch den Charakteren seiner Romane gönnte: Er ließ am Ende von "Väter und Söhne" den unzufrieden Onkel Pavel Petrovic Kirsanoff nach Dresden ziehen, wo er friedfertig und naturverbunden in den Alleen stolzierte und seinen Lebensabend genoss. So zeigte Turgenev - der als erster den Nihilismus als Erscheinung der Zeit erkannte und theoretisch und philosophisch begründete - die ewige Sehnsucht des trotz allem idealistischen, Kopf und Kragen riskierenden Russen nach dem ruhigen und bedachten Wesen der Deutschen.
Bis heute ist Baden-Baden ein klangvoller Name in Russland, als Stadt die für den Zusammenprall beider Kulturen steht und direkt oder indirekt zu einer seltenen Fülle künstlerischer Werke führte, von denen nicht wenige heute zur absoluten Weltliteratur zählen.