Bahnhof Friedrichstraße Vom "Tränenpalast" zum Einkaufsparadies

Vom einstigen Grenzübergang am Bahnhof Friedrichstraße ist nichts geblieben. Nur den Spitznamen "Tränenpalast" für die ehemalige Abfertigungshalle gibt es noch. Seit dem Mauerbau war er ein Symbol für die Teilung Berlins.

"Wo stand denn hier die Mauer?", lautet eine der beliebten Touristenfragen in Berlin. Dann können Stadtführer auf wenige Reststücke verweisen, auf die bemalte Eastside-Gallery oder die Mauer-Gedenkstätte. Vom einstigen Grenzübergang am Bahnhof Friedrichstraße mit all seinen Trennungsschicksalen, Agenten-Storys oder Schmuggelgeschichten aber ist nichts geblieben. Nur den Spitznamen "Tränenpalast" für die einstige Abfertigungshalle zwischen Ost und West gibt es noch. Doch selbst damit verbinden Neu-Berliner keinen Ort des Abschieds mehr, sondern ein Kulturzentrum.

"Erbaut 1936, renoviert 2002"

Fast versteckt ist am unterirdischen S-Bahnhof Friedrichstraße noch ein altes Namensschild in Frakturschrift zu sehen, eine Erinnerung, eingemauert in die weißgrauen Wandkacheln der Postmoderne. "Erbaut 1936, renoviert 2002", ist dort zu lesen, als sei zwischendurch nicht viel passiert. Wer hier auf Züge wartet, kann nichts mehr von den skurril verschachtelten oder verblendeten Gängen des Gebäudes erahnen, das lange Jahre zwei Welten trennte.

Der Bahnhof Friedrichstraße war seit dem Mauerbau 1961 ein Symbol für die Teilung Berlins. Mit seiner mächtigen Eisenhallen-Konstruktion auf dem Stadtbahn-Viadukt und seinem großen Untergeschoss blieb er der einzige Grenzübergang für Fern-, S-, und U-Bahnreisende aus dem Westen - und die Endstation für Ostberliner.

Denn für den oberirdischen S-Bahnverkehr war der Haltepunkt Friedrichstraße zur Sackgasse geworden. Der Bahnsteig C hieß schlicht "Endpunkt Ost-Bahn", der Bahnsteig B "Endpunkt West- Bahn". Durch ein Labyrinth aus Sichtblenden, Sperranlagen, Fluren und fensterlosen Räumen gelangten die Reisenden vom Bahnhof Zoo schließlich zu den hölzernen Abfertigungskabinen im "Tränenpalast". Hier kontrollierten Grenzbeamte mit versteinerten Blicken die Ausweise. In der umgekehrten Richtung verabschiedeten viele Ostberliner an dieser Stelle traurig ihren Westbesuch.

Kameras, Kontrollschlitze und Verhörzellen

Reisende erinnern sich an Kameras, Spiegel, Kontrollschlitze, Agentenschleusen oder Verhörzellen im alten Bahnhof Friedrichstraße. Sie berichten von beklemmenden Gefühlen und dem strengen Geruch von Desinfektionsmitteln. Die makaberste Attraktion aber war der unterirdische Teil des Bahnhofs. Hier stoppte die S-Bahn aus dem Westen, die am Anhalter Bahnhof in den Tunnel rollt und erst jenseits des heutigen Nordbahnhofs wieder auftaucht, ein einziges Mal. Die Stationen Oranienburger Straße und Unter den Linden aber waren Geisterbahnhöfe, verbotenes Terrain für Ostberliner.

Im Volksmund hieß das Untergeschoss der Friedrichstraße, das nur Westlern zugänglich war, mit Spitznamen "Intershop-Bahnhof". Die Bahnsteige, mit kaltem Funzel-Licht beleuchtet, waren ein zollfreies Einkaufparadies für den Westen und Devisenbringer für den Osten. "Meist ging es um Zigaretten und Spirituosen", erinnert sich S-Bahn- Sprecher Ingo Priegnitz. "Da sind viele Westberliner kurz aus den Zügen rausgesprungen und haben sich eingedeckt." Die Zollkontrollen im Westen waren sehr lax.

Ein Supermarkt als Attraktion

Heute ist der ganze Bahnhof, für mehrere Millionen Euro komplett umgebaut, ein lichtes Einkaufsparadies. Die größte Attraktion ist ein Supermarkt, der bis 22.00 Uhr geöffnet hat. Auch Politiker aus dem nahen, neu erbauten Regierungsviertel nutzen das Angebot. "Ich glaube nicht, dass die Berliner den alten Bahnhof vermissen", sagt S-Bahn- Sprecher Priegnitz. Höchstens die Ost-West- Geschichten, die sich um ihn ranken und langsam zu Legenden werden.

DPA
Ulrike von Leszczynski