Rajkumar Keswani Der machtlose Warner von Bhopal

Seine Alarmrufe verhallten ungehört, doch die Katastrophe machte ihn für kurze Zeit berühmt. Als einziger Journalist hatte Rajkumar Keswani die Katastrophe von Bhopal vorausgesagt. Er und seine Familie überlebten nur knapp.

Rajkumar Keswani warnte unermüdlich, doch niemand wollte ihm zuhören - selbst Freunde verspotteten den damals 34-Jährigen als Schwarzmaler. Als einziger Journalist hatte der Lokalreporter die Gaskatastrophe vorausgesagt. "Bhopal am Rande der Katastrophe" lautete die Überschrift seines letzten Artikels über das drohende Unheil. Hätten die Verantwortlichen Keswani nicht ignoriert, wäre die Katastrophe vielleicht verhindert worden und könnten tausende Menschen noch am Leben sein.

Wut und Trauer

Keswani wohnt heute in einer der besseren Gegenden Bhopals. Die Katastrophe hatte ihn für kurze Zeit berühmt gemacht, er bekam Arbeit bei großen Zeitungen und Fernsehsendern. "Aus einem Niemand wurde auf einmal wer", sagt er. Er hat Bauch und Glatze, die Lippen unter dem Schnurrbart lächeln oft - trotz allem Unglück, das Keswani erlebt hat. Wenn er von damals spricht, sind ihm Wut und Trauer anzumerken: Wut auf die Verantwortlichen der Katastrophe, Trauer darüber, dass er seine Heimatstadt nicht schützen konnte.

Anfang der 80er Jahre arbeitet Keswani für eine kleine Zeitung in Bhopal, das Blatt wird kaum beachtet. Als ein Arbeiter bei einem Chemieunfall stirbt, beginnt der Journalist seine Recherchen über die Pestizidfabrik in Bhopal, die mehrheitlich dem US-Chemiegiganten Union Carbide gehört. Keswani bekommt Studien und vertrauliche Dokumente zugespielt, irgendwann gelingt es ihm, die Chemieanlage zu besichtigen. "Mir wurde klar, eine Katastrophe kann nicht verhindert werden, wenn die Sicherheit nicht verbessert wird", sagt er heute. "Aber sie wurde schlechter. Es musste passieren."

"Bitte verschont unsere Stadt", "Bhopal: Wir sitzen auf einem Vulkan", "Wenn ihr euch weigert zu verstehen, werdet ihr zu Staub zerfallen" sind verzweifelte Überschriften seiner Artikel über die Fabrik. Der erste erscheint im September 1982. Reaktionen ruft keiner von ihnen hervor. Keswani schreibt einen Brief an den Ministerpräsidenten des Bundesstaats Madhya Pradesh, er reicht eine Petition beim Verfassungsgericht in Neu Delhi ein. Niemand reagiert. "1983 war ich frustriert und dachte, ich hätte versagt", sagt der Journalist. Er sucht sich Arbeit in einer anderen Stadt - aber es zieht ihn wieder zurück in seine bedrohte Heimat.

Verhallte Alarmrufe

Auch Keswanis letzter Alarmruf am 16. Juni 1984 verhallt ungehört, obwohl der Bericht in einer großen indischen Zeitung erscheint. Kein halbes Jahr später werden die Vorhersagen Wirklichkeit. Der Journalist hat gerade aufgehört, an einem Artikel zu schreiben, als kurz nach Mitternacht am 3. Dezember 1984 das Gas kommt. Im Bett fällt ihm das Atmen schwer. Er blickt hinaus und sieht panische Menschen, er ruft bei der Polizei an. "Ein Tank bei Union Carbide ist explodiert", sagt der Polizist - und dann: "Ich sterbe, ich sterbe."

"Mein erster Gedanke war, oh Gott, es ist wirklich passiert", sagt Keswani. "Ich dachte immer, irgendwer würde es verhindern. Dann dachte ich, diese Mistkerle wollten nicht hören." Keswani und seine Familie überleben nur knapp.

Heute arbeitet Keswani als freier Journalist, sein einst regelmäßiger kilometerweiter Lauf am frühen Morgen gehört längst der Vergangenheit an, seine geschädigte Lunge lässt ihm dafür nicht genug Luft. Für seine vorausschauenden Berichte von damals wurde der engagierte Reporter ausgezeichnet. Das habe ihn zwar geehrt, sagt Keswani. "Aber ich kann nicht stolz darauf sein, den Tod von Menschen vorhergesagt zu haben, die dann wirklich gestorben sind."

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Can Merey/DPA