Pressestimmen "Klarheit statt Wischiwaschi"

Langweiliger Wahlkampf und absehbares Ergebnis - dennoch: dramatischer kann Demokratie nicht sein. So kommentiert die deutsche Presse das Wahlergebnis der Bundestagswahl.

"Badische Zeitung" Merkel hat nun ihren Lieblingskoalitionspartner

Die "Badische Zeitung" schreibt: "Sie hat dafür freilich einen Preis zahlen müssen. Weil eine beträchtliche Zahl von Wählern doch lieber die FDP gewählt hat - aus Sorge, die Union könne sonst am Ende wieder in einer Großen Koalition mit der SPD landen, hat die Union neuerlich Stimmen verloren. Nun trifft sie auf eine liberale Partei, die vor Kraft kaum laufen kann und eine geschwächte CSU, die ihre Verluste dem präsidialen, inhaltsleeren Wahlkampf der CDU- Vorsitzenden zuschreibt. Das verspricht interessante Koalitionsverhandlungen und einen spannenden Regierungsalltag."

"Südkurier" Weniger Schwarz, viel Gelb

Der "Südkurier" schreibt: "Die große Siegerin der Wahl heißt FDP. Guido Westerwelle hat alles richtig gemacht: Er blieb authentisch, zeigte Kante und schloss eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen aus. Die Wähler honorierten dies und sorgten für die schwarz-gelbe Richtungsentscheidung. Das ist gut so, denn nun kann die Kanzlerin aus der Ecke ihres behutsamen Regierungsstils herauskommen. Sie kann führen, statt nur zu moderieren. Das steht unserem Land nach innen, wie in der Außenwirkung, gut an. Glück auf, Schwarz-Gelb!"

"Kölner Express" Klarheit, statt Wischiwaschi

Der "Kölner Express" schreibt: "Der eigentliche Sieger der Wahl heißt Guido Westerwelle. Unbeirrt und immun gegen alle Verteufelungen durch seine Gegner hat er alles auf die Karte Merkel gesetzt und gewonnen. Dass sie die große Koalition los ist, hat sie allein ihm zu verdanken und das bedeutet: Der FDP-Chef wird selbstbewusst in die Koalitionsverhandlungen gehen. Für Merkel heißt das: Sie wird mehr Farbe als bisher bekennen müssen. Die Deutschen erwarten jetzt vor allem eines: Klarheit statt Wischiwaschi. Wie groß der Spielraum der neuen bürgerlichen Regierung der Mitte sein wird, ist allerdings offen. Viel zu verteilen wird es wahrscheinlich nicht geben ý trotz aller Steuersenkungsversprechen. Die politische Realität hat andere Gesetze als der Wahlkampf. Diese bittere Erfahrung muss ý wenn auch auf andere Weise ý die SPD machen. Die einst stolze Volkspartei steht nach dem Desaster vor einem Scherbenhaufen. Will sie überleben, muss sie sich in der Opposition erneuern und klären müssen, wofür sie eigentlich steht. Sonst wird’s noch bitterer."

"Stuttgarter Zeitung" Happige Verluste der Volksparteien

Die "Stuttgarter Zeitung" schreibt: "Das Wahlergebnis illustriert, warum Große Koalitionen in der deutschen Politik die Ausnahme sind und bleiben sollten: Neben den happigen Verlusten der Noch-Volksparteien sinkt die Wahlbeteiligung auf ein Rekordtief. Dem stehen historische Zuwächse bei den kleinen Parteien gegenüber. Vor diesem Hintergrund wäre auch eine Neuauflage der Großen Koalition nicht nur ein brüchiges Bündnis geworden, sondern hätte den Protagonisten selbst am meisten geschadet. Mit dem Wahlausgang von gestern haben Union und SPD die Chance zur Rückbesinnung - in Regierung und Opposition."

"Financial Times Deutschland" Kein radikaler Kurswechsel

Die "Financial Times Deutschland" schreibt: "Auch wenn Union und FDP die Mehrheit erreicht haben - mit dem schwarz-gelben Reformprojekt der Wahljahre 2002 und 2005 wird die nächste Regierung nicht viel zu tun haben. Dafür hat sich die CDU zu stark sozialdemokratisiert, dafür hat sich auch das Land in den vergangenen vier Jahren viel zu sehr verändert. Sicher hat es Merkel mit einer erstarkten FDP zu tun, die mit Macht darauf dringen wird, dass sich die CDU wieder an ihr Leipziger Reformprogramm erinnert. So wenig es der SPD im Wahlkampf geglückt ist, Merkel eine geheime Kahlschlagagenda anzudichten, so wenig wird sich die Kanzlerin von den Liberalen zu einem radikalen Kurswechsel drängen lassen. Ihre Aussage, sie verstehe sich weiter als Kanzlerin aller Deutschen, weist darauf hin, dass es mit einer Regierung unter ihrer Führung keinen großen Bruch geben wird."

"Südwest Presse" Alle Hände voll zu tun

Die "Südwest Presse" schreibt: "Elf Jahre nach der Ablösung von Helmut Kohl regiert in Deutschland aller Voraussicht nach erneut ein bürgerliches Bündnis aus Union und FDP. Guido Westerwelle, Chef der Liberalen, ist der große Sieger der Wahl. Die CDU zahlt den Tribut dafür, dass die Kanzlerin das politische Profil der Christdemokraten dem Konsens in der großen Koalition teils bis zur Unkenntlichkeit geopfert hat. Das hat viele Anhänger von Markt statt Staat zur FDP getrieben. Angela Merkel kann trotz des zweitschlechtesten Ergebnisses in der Geschichte ihrer Partei weitermachen. Bei aller Freude von Union und FDP sei allerdings vor Euphorie gewarnt. Die Aufgaben, vor denen die neue Regierung steht, sind so gewaltig wie kaum vorher in der Nachkriegszeit. Die wachsende Arbeitslosigkeit wird die Sozialsysteme bis zum Bersten strapazieren. Die mit der Finanzkrise dramatisch gestiegene Staatsverschuldung lässt zusätzliche Ausgaben kaum zu. Wer dann noch Steuern senken will, kommt an schmerzhaften Einschnitten an anderer Stelle nicht vorbei. Die Kanzlerin wird alle Hände voll zu tun haben, den sozialen Frieden zu erhalten, wenn FDP-Chef Westerwelle den Obulus für seine mittelständische Klientel einfordert."

"Lausitzer Rundschau" Am Ende kam alles so, wie es alle erwartet hatten

Die "Lausitzer Rundschau" schreibt: "Matthias Platzeck konnte dank seiner alles überlagernden Popularität die brandenburgische SPD vor dem verheerenden Bundestrend bewahren, und Johanna Wanka vermochte selbst mit plakatierter "Damenwahl" den Kanzlerinnenbonus nicht wirklich für die Landes-CDU zu nutzen. Und so wird im rot-schwarzen Brandenburg trotz der rechnerisch möglichen Alternative Rot-Rot wohl alles beim Alten bleiben. Trotzdem und vielleicht gerade deshalb sind die Bürger in Brandenburg die großen Gewinner dieser Wahl. Erstens: Während bundesweit die Wahlbeteiligung dramatisch sank, gingen zwischen Elbe und Neiße nicht nur über zehn Prozent mehr Brandenburginnen und Brandenburger als bei der vergangenen Landtagswahl an die Urnen, sondern zugleich straften diese auch die Volksverhetzer vom rechten Spektrum eindeutig ab. Weder DVU noch NPD kamen auch nur in die Nähe der Fünf-Prozent-Hürde. Zweitens: In Brandenburg haben sich die Wählerinnen und Wähler für Kontinuität entschieden. Inhaltlich und gemessen am Wohle des Landes war die letzte Regierung eine, wenn nicht sogar die erfolgreichste in der Geschichte Brandenburgs. Zudem waren zwischen den beiden Regierungspartnern die Sachthemen nicht wirklich umstritten, für Misstöne sorgten eigentlich nur "zwischenmenschliche" Konflikte. Und so dürften die Personalien im künftigen Kabinett Platzeck/Wanka die einzig spannenden Fragen der nächsten Tage sein. Und die bergen sowohl auf SPD- als auch auf CDU-Seite genügend vor allem innerparteilichen Sprengstoff."

"Reutlinger General-Anzeiger" Deutschland hat den Politikwechsel gewählt - auch wenn die Kanzlerin dieselbe bleibt

Der "Reutlinger General-Anteiger" schreibt: "Genau genommen haben die Wählerinnen und Wähler die einzige realistische Alternative zur bisherigen Großen Koalition gewählt. Und dieses Votum für Schwarz-Gelb ist überraschend deutlich ausgefallen. Entsetzen bei der SPD: Sie hat ihren absoluten Minusrekord eingefahren. Das ist nicht nur ein bitteres Ergebnis, sondern eine historische Zäsur. Diese böse Niederlage hat wenig mit Wahlkampfpannen oder schlechter Regierungsarbeit zu tun. Die von der SPD initiierten Sozial- und Wirtschaftsreformen haben Deutschland geholfen - und die eigene Partei fast zerrissen."

"Mainpost" "Nichts wird so heiß gegessen, wie gekocht"

Die "Mainpost" schreibt: "Was aber ist wirklich von der neuen Regierungsmehrheit zu erwarten? Tatsächlich war die FDP im Wahlkampf die einzige Partei, die versprach, den Kündigungsschutz weiter einzudämmen und die Sozialkassen stärker zu privatisieren - also die Hauptlast der großen Lebensrisiken Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter stärker auf den einzelnen Bürger zu übertragen. Das klingt für viele Menschen furchteinflößend. Doch die Erfahrung lehrt, dass auch in der Politik nichts so heiß gegessen wird, wie es im Wahlkampf gekocht wurde. Das wird diesmal mutmaßlich nicht anders sein. Denn im Gegensatz zum Wahlkampf 2005 fühlt sich Angela Merkel mittlerweile sichtlich wohl in der Rolle als Hüterin von sozialer Marktwirtschaft und Sozialstaat. Eine Lockerung des Kündigungsschutzes werde es mit ihr genauso wenig geben wie die Abschaffung des Gesundheitsfonds, hat die Bundeskanzlerin mehrfach betont und entsprechende Hartnäckigkeit bei den Koalitionsverhandlungen angekündigt. Daran wird sie sich messen lassen müssen."

"Kölnische Rundschau" Es hat also doch gereicht

Die "Kölnische Rundschau" schreibt: "Allen demoskopischen Kassandra-Rufen des Wahlkampf-Endspurts zum Trotz. Die zuletzt zähe Zeit der großen Koalition ist zu Ende. Nun wird Deutschland bald wieder von einem schwarz-gelben Bündnis, das sich als Koalition der Mitte versteht, regiert werden. Das ist durchaus, bei aller Enttäuschung über die Stagnation der Union, ein Triumph für die Kanzlerin. Die musste sich für ihre ungewöhnliche Wahlkampfführung viel Kritik gefallen lassen. Sie sei zu leise, zu harmlos. Und diese Kritik war nur zu verständlich. Aber gut, Merkel hat ihr Ziel erreicht. Ihr wenig aufregender Wahlkampf hat die SPD-geneigten Wähler eingeschläfert, ohne die eigenen Anhänger vollends mit zu narkotisieren. Wer mag, kann das eine taktisch reife Leistung nennen. <$0> Das aber ist schon Vergangenheit. Und die Zukunft? Union und FDP versuchen ihr Bündnis als Aufbruch in eine dynamischere Zukunft zu verkaufen. Dafür jedoch, dass Schwarz-Gelb reibungslos funktionieren wird, gibt es nicht viele Anzeichen. Dagegen spricht die tatsächliche Lage. Es kann niemand glauben, dass für die gewaltigen staatlichen Vorleistungen zur Krisenbewältigung niemand die Zeche zu zahlen hat. Das Gegenteil ist der Fall. Es stehen harte Sparanstrengungen bevor. Unpopuläre Entscheidungen sind zu treffen, die im schroffen Gegensatz zur Entlastungsrhetorik des FDP-Wahlkampfes stehen. Die Hakeleien im neuen Bündnis werden schon deshalb heftig ausfallen. Die beiden Partner trennt mehr als zu Zeiten der Ära Kohl/Genscher. Die Union hat die Bedeutung klarer staatlicher Rahmenbedingungen der Wirtschaft wiederentdeckt, während die FDP unter der Führung Guido Westerwelles den Rückzug des Staates propagiert. Das wird Stoff für Konflikte geben."

"Landeszeitung" Nicht die Stärke der Union bewirkt den Wechsel

Die "Landeszeitung" schreibt: "Die Zeit der großen Volksparteien in der Bundesrepublik scheint sich ihrem Ende zuzuneigen. Dazu genügt schon der Blick auf das desaströse Abschneiden der SPD. Aber auch der CDU gelingt der Sprung über 30 Prozent der Wählerstimmen nur mehr im Zusammenspiel mit der bayerischen CSU, die im Freistaat freilich selbst am schlechtesten in ihrer Geschichte abgeschnitten hat. Nicht die Stärke der Union bewirkt den Wechsel zu einem schwarz-gelben Bündnis, sondern der außergewöhnliche Zuspruch für die Liberalen - Westerwelle und seine FDP können sich mit Recht als Steigbügelhalter für eine weitere Amtszeit von CDU-Kanzlerin Angela Merkel betrachten. Dementsprechend groß dürften die FDP-Forderungen in anstehenden Koalitionsverhandlungen ausfallen. Die SPD wird nicht umhin kommen, ihr Verhältnis und ihren Umgang mit der immer stärkeren Linken schleunigst klar zu definieren."

"Rhein-Zeitung" Rot-roter Hahn macht der Tigerente das Futter streittig

Die "Rhein-Zeitung" schreibt: "Weil das Land durch Schwarz-Gelb klar konservativ-liberal regiert wird, werden Sozialdemokraten und Linkspartei bald viele Wege finden, um sich nicht mehr gegenseitig zu lähmen, sondern vereint gegen Schwarz-Gelb zu kämpfen. Natürlich auch auf Bundesebene. Jede Wette: Bald wird ein kampfeslustiger rot-roter Hahn mit grünem Gefieder der reinrassigen Tigerente das Futter streitig machen."

"Mitteldeutsche Zeitung" Uferlose Versprechen und Wahlwechsel an der Parteispitze

Die "Mitteldeutsche Zeitung" schreibt: "Der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann erwartet nach dem schlechten Wahlergebnis der SPD einen baldigen Wachwechsel an der Parteispitze. "Das könnte schon beim Parteitag im November anstehen", sagte Holtmann der in Halle erscheinenden Mitteldeutschen Zeitung (Montag-Ausgabe). Zudem müsse abgewartet werden, ob sich Frank Walter Steinmeier nicht zur Hälfte der Legislatur als Oppositionsführer zurückziehe, erklärte der Wahlforscher der Universität Halle. Ein Ende der Volksparteien sieht er trotz der Verluste von Union und SPD indes nicht. "Der Wert der Volksparteien misst sich nicht bloß an Prozenten. Der Anspruch, die heterogenen Interessen aller Bevölkerungsschichten anzusprechen, ist allerdings schwieriger umzusetzen, als nur ein relativ fest umrissenes Klientel im Auge zu haben." Die erneut gesunkene Wahlbeteiligung sieht Holtmann nicht als grundsätzliches Problem. "Ich sehe in der Demokratie jedenfalls keine Verschleißerscheinungen, zumal die Beteiligung bei den jüngsten Wahlen im Saarland und in Thüringen gestiegen ist." Die Erfolgsaussichten für eine schwarz-gelbe Koalition sieht Holtmann abwartend. "Das wird kein Selbstläufer. Gerade die FDP hat beim Thema Steuersenkungen fast uferlose Versprechen gemacht, die sie letztlich so stark haben werden lassen. Die angesichts der Schulden und versprochener Investitionen im Bildungsbereich umzusetzen, wird garantiert nicht einfach."

"Neue Osnabrücker Zeitung" Parteiensystem im Umbruch

Die "Neue Osnabrücker Zeitung" schreibt: "Der Sieger des Tages heißt Guido Westerwelle. Der FDP-Vorsitzende hat Mut zum Risiko bewiesen, als er vor der Wahl - wie schon 2005 - eine Koalition mit SPD und Grünen klar ausschloss. Diese einseitige Festlegung auf Schwarz-Gelb hätte ihn und seine Partei leicht für weitere vier Jahre in die Opposition führen können. Es kam anders. Umso mächtiger wird Westerwelle nun sein. Dies wird Angela Merkel in der künftigen Koalition zu spüren bekommen. Die alte und neue Kanzlerin hat ein vorzeigbares Ergebnis eingefahren. Mehr aber auch nicht. CDU und CSU dümpeln in Prozentregionen, die im Unionslager mehr Frust als Freude erzeugen. Man darf gespannt sein, wie Merkel unter diesen Umständen die inhaltliche Meinungsführerschaft gegenüber einer FDP behaupten will, die vor Selbstbewusstsein nur so strotzt. Im Vergleich zu den Sozialdemokraten geht es der Union aber noch gut. Denn der Stimmeneinbruch der SPD ist dramatisch und beginnt ihren Anspruch als Volkspartei infrage zu stellen. Das verspricht heiße inhaltliche Debatten unter den Genossen. Im Kern muss es darum gehen, in der Opposition das Verhältnis zu Grünen und vor allem zur Linkspartei neu zu justieren. Ihnen gilt es, das Wasser abzugraben. Nur dann kann die SPD eines Tages wieder zur ganz großen Kraft links der Mitte werden."