Titisee-Neustadt am "schmotzigen" Donnerstag, Punkt 19.11 Uhr: Hunderte Menschen im Nachthemd, mit Zipfelmütze bedeckt, Laterne in der Hand, ziehen die Hauptstraße des Schwarzwald-Ortes entlang. Links und rechts stehen Schaulustige. Ein Mutiger in einem Karnevalskostüm versucht sich unter den etwa drei Kilometer langen Umzug zu mischen. Doch wer kein Nachthemd trägt, wird freundlich, aber bestimmt, aus der Prozession herausgezogen. Bei der Kleiderordnung verstehen die Narren Baden-Württembergs keinen Spaß - auch nicht beim traditionellen Hemdglonker-Umzug.
Faschingsumzug im reißenden Bach
Ein ebenfalls sehr seltsames Bild bietet sich am Rosenmontag einige Kilometer weiter nordöstlich: In Schramberg findet der Faschingsumzug in einem Bach statt. Bei der so genannten Da-Bach-na-Fahrt (hochdeutsch: die Bachherunterfahrt) starten 40 Zwei-Personen Teams in einem Waschzuber, um damit eine 500 Meter lange Strecke auf der Schiltach zurückzulegen. Die Fahrt hat es in sich, denn neben der kräftigen Strömung erschweren auch drei Rutschen den Parcours. Dabei ist es nicht nur das mögliche Kentern, das jedes Jahr zehntausende Schaulustige in die Stadt am Ostrand des Schwarzwalds zieht. Die Da-Bach-Na-Fahrer schmücken ihre Waschzuber so originell wie möglich. So fuhren in der Vergangenheit bereits VW-Busse, Eisbären und Misthaufen die Schiltach herunter. Die Dekoration findet dabei unter erschwerten Bedingungen statt. Denn die Narrenzunft lost erst drei Wochen vor der Fahrt aus, welches Team welchen Zuber erhält.
Protest während der Nazi-Zeit
Die eigenwillige Flussfahrt entstand 1936 als Protest gegen einen Schramberger Fabrikanten. Der Industrielle hatte beschlossen, dass von nun an auch am Rosenmontag gearbeitet werden müsse. Das wollten die Narren unbedingt verhindern - und gaben bekannt, man werde an diesem Tag um Punkt 13 Uhr den Bach herunter fahren. Diese Ankündigung erfüllte ihren Zweck: Kaum jemand wollte sich das Spektakel entgehen lassen, die meisten Arbeiter pfiffen auf die Anweisung des Fabrikanten.
Während diese Karnevals-Tradition relativ jung ist - und sogar während der Nazi-Zeit entstand - blicken andere Faschings-Veranstaltungen auf eine Jahrhunderte alte Geschichte zurück. Denn die ursprünglichen Wurzeln für das närrische Treiben liegen im Mittelalter. Und die Gestaltung vieler Masken und Kostüme blieb seit der Barockzeit unverändert. Neben den Hexen-Figuren, die während der schwäbisch-alemannischen Fasnet die Straßen regieren, gehören dabei der Oberndörfer Brezelstangen-Träger "Narro" und der Rottweiler Federahannes mit den großen Wildschweinzähnen zu den berühmtesten Narren-Typen. Zu sehen sind sie während der Narrensprünge am Rosenmontag und Faschingsdienstag, wie traditionellerweise die Umzüge in Oberndorf und Rottweil genannt werden.
Narren stürmen die Rathäuser
So richtig los geht es mit den Faschingsfeierlichkeiten im Jahr 2009 am 19. Februar, am "Schmutzigen Dunschdigg" oder "Dorschdigg". So heißt in Baden-Württemberg die Weiberfassnacht, also der Donnerstag vor dem Rosenmontag. In Dutzenden Gemeinden und Städten finden dann nicht nur seltsame Umzüge mit skurrilen Figuren statt. Die Narren regieren auch im wahrsten Sinne des Wortes: Sie übernehmen das Rathaus.
So endet in Weil der Stadt, nur wenige Autominuten westlich von Stuttgart, der große Faschingsumzug mit einer Schlüsselübergabe: Während sich das närrische Volk auf dem mittelalterlichen Marktplatz versammelt, stürmen einige die Amtsstube des Bürgermeisters, um ihn gefangen zu nehmen. Der Bürgermeister wird dann auf den Marktplatz geführt, wo er den Rathausschlüssel aushändigt und von der Regierungsarbeit befreit wird - bis der Aschermittwoch dem närrischen Treiben ein Ende bereitet.