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Gutscheine statt Rückzahlung Streit um Urlaubs-Erstattungen: "Die Reisenden zahlen dafür, dass der Staat einen Fehler gemacht hat"

Bislang galt: Wenn Reisen abgesagt werden, müssen Anbieter bereits gezahlte Gelder innerhalb von 14 Tagen an die Verbraucher zurücküberweisen.
Bislang galt: Wenn Reisen abgesagt werden, müssen Anbieter bereits gezahlte Gelder innerhalb von 14 Tagen an die Verbraucher zurücküberweisen.
© Getty Images
Ronald Schmid ist Rechtsanwalt für Luftrecht und redet Klartext: Im Interview kritisiert er die geplante Gutscheinlösung bei abgesagten Reisen und Flügen. Er gibt Tipps, wie man trotz der Gutscheine noch ans Geld kommt.

Der schon lang geplante Osterurlaub wurde abgesagt, die Flüge gestrichen. In der Corona-Krise müssen die Bürger auf vieles verzichten. Zugleich könnten viele das Geld von bereits angezahlten Reisen auch gut gebrauchen, weil sie in Kurzarbeit sind oder um ihren Job fürchten.

Doch statt Erstattungen sollen die Verbraucher nach dem Willen der Bundesregierung erst einmal Gutscheine bekommen, weil Unternehmen der Reisebranche keine Einnahmen mehr verzeichnen und finanziell in Schwierigkeiten stecken.

Herr Schmid, was bedeutet die Änderung für Kunden?

Zur Person

Prof. Dr. Ronald Schmid ist sowohl als Rechtsanwalt als auch als Wissenschaftler tätig und beschäftigt sich seit über 30 Jahren intensiv mit dem internationalen und europäischen Luftrecht.

Fluggesellschaften und Reiseveranstalter wären dann nicht mehr verpflichtet, bereits gezahlte Gelder für abgesagte Flüge und Reisen innerhalb von 7 bzw. 14 Tagen zurückzuzahlen. Stattdessen erhielten die Kunden Gutscheine. Das Recht auf Reisepreiserstattung nach Artikel 8 der Fluggastrechteverordnung würde damit ausgesetzt.

Aber nur vorübergehend, heißt es…

Ja, das wird man nicht dauerhaft aussetzen können, denn das wäre praktisch eine Enteignung, frei nach dem Motto: Vorauskasse muss der Kunde leisten, aber wenn es schief geht, ist keiner zur Rückzahlung verpflichtet.

Handelt es sich um Rechtsbeugung?

Nein, Recht beugen könnte nur ein Richter. Eigentlich ist es eine erzwungene Kreditgewährung, die nur deshalb akzeptabel sein kann, wenn der Rechtsanspruch auf Rückzahlung für eine gestrichene Reise oder eines annullierten Fluges für eine begrenzte Zeit, zum Beispiel eineinhalb Jahre, ausgesetzt wird.

Nach meinen Informationen sollen Gutscheine in Höhe des Flug- oder Reisepreises ausgestellt werden, die bis Ende 2021 gültig sind. Wenn der Kunde diesen nicht einsetzen will oder kann, soll das Kundengeld ausgezahlt werden. Dieses muss wie bei jedem anderen Kredit auch angemessen verzinst werden.

Doch welchen Wert hat so ein Gutschein?

Wir dürfen nicht nur an große Firmen wie Tui und Lufthansa denken, die auch nach der Corona-Krise – wenn auch vielleicht nicht in bisheriger Größe –  existieren werden, sondern auch an die vielen kleineren Veranstalter und Airlines. Von denen werden sicher nicht alle überleben. Ohne Sicherheiten ist das Geld dann weg.

Gibt es keine Absicherung im Falle der Insolvenz einer Airline oder eines Reiseveranstalters?

Die besonderen Risiken dieser Krise können und wollen Banken und Versicherer gar nicht mehr abdecken. Das wird wohl nur über eine Staatsbürgschaft für die Gutscheine gehen.

Verbraucherschützer machen sich schon lange für eine Art Schutzfonds für die Kundengelder bei Flugtickets stark...

Ja. Schon seit den frühen 1990er Jahren wird ein Sicherungsfond für Airlines wie bei Pauschalreisen gefordert. Doch die Kundengeldabsicherung für vorausbezahlte Reisepreise und Tickets wurde von den Lobbyisten der Tourismusbranche systematisch verhindert nach der Devise: Wir Großen können doch nicht kaputt gehen, wir sind stark genug und brauchen nichts abzusichern.

Maria und Diana sitzen in Auckland fest und berichten von ihrer Rückholaktion nach Deutschland

Die Airline-Lobby hat längst eine Änderung der Fluggastrechteverordnung verlangt.

Was mich so empört ist die Tatsache, dass jetzt ausgerechnet die großen Gesellschaften, die vor der Krise die Fluggastrechte noch drastisch zurückschneiden wollten, wodurch nach Berechnungen ca. 70 Prozent der heute Berechtigten zukünftig keine Ansprüche mehr hätten, um Verständnis der Reisenden bitten und am lautesten nach finanzieller Hilfe durch den Staat schreien. Dabei handelt es sich in beiden Fällen um das Geld von Steuerzahlern, also auch von den Verbrauchern.

Und die Kleinen gehen leer aus?

Ich habe nichts dagegen, dass auch größeren Unternehmen geholfen wird. Was mich aber ärgert: Dass die Reiseveranstalter von den Reisebüros verlangen, die verdiente Provision zurückzuzahlen, weil der abgeschlossene Vertrag nicht durchgeführt wird, selbst aber den Reisenden den Reisepreis nicht sofort erstatten wollen.

Sollte die Vergabe von staatlichen Geldern an die Reisebranche nicht besser mit Forderungen verknüpft werden?

Soweit das geht: Ja. Jetzt wäre es an der Zeit, dass sich die um Hilfe rufenden Veranstalter und Airlines endlich verbindlich verpflichten, für künftige Reisen in einen zu gründenden Sicherungsfonds für Kundengelder einzahlen, sonst gibt es keine finanzielle Hilfe vom Staat. Oder nehmen wir zum Beispiel Tui Cruises: Schon Ende März hat die Bundesregierung einen KfW-Überbrückungskredit in Höhe von 1,8 Milliarden Euro für die Tui genehmigt.

Keines ihrer Kreuzfahrtschiffe fährt unter deutscher Flagge. Nicht nur aus arbeitsrechtlichen Gründen sind sie in Malta registriert; die Reederei will vor allem Steuern sparen. Aber jetzt, wo es eng wird, soll der deutsche Staat helfen. Ich halte es für unanständig, sich der Steuerpflicht ganz oder teilweise zu entziehen, das deutsche Arbeitsrecht zu umgehen, im Krisenfall aber von eben diesem Staat massive Hilfe zu verlangen.

Was könnte die Reiseindustrie aus der Krise lernen?

Das Peinliche ist doch im Moment, dass die Kunden den Reiseunternehmen einen Kredit gewähren müssen. Hätte man schon 1994, als das europäische Reiserecht in deutsches Recht umgesetzt wurde, einen Sicherungsfonds angelegt und seitdem in diesen eingezahlt, dann gäbe es das derzeitige Problem gar nicht. Dann wäre genug Geld im Sicherungstopf, aus dem die Kundengelder zurückgezahlt werden könnten. Und kein Unternehmen müsste Gutscheine ausgeben.

Lässt sich die von der Bundesregierung vorgeschlagene Aussetzung der Erstattungspflicht mit europäischem Recht vereinbaren?

Nach europäischem Recht ist das nicht unbedenklich. Bei den Fluggastrechten geht das gar nicht, denn es handelt sich um eine ausschließlich europäische Vorschrift. Diese EU-Verordnung kann nicht einfach durch nationales Recht geändert werden. Hier müssen Kommission, Rat und Parlament agieren.

Und bei Pauschalreisen?

Die Pauschalreiserichtlinie ist bereits in den einzelnen Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt worden. Da könnte man es mit nationaler Rechtsetzung machen, aber nur, wenn es nicht den Grundsätzen des Europarechts widerspricht.

Dürfte die Gutschein-Lösung auf europäischer Ebene schnell umgesetzt werden?

Der Druck durch die Lobby der Reiseindustrie in Brüssel ist enorm hoch. Die EU-Kommission soll bald tagen, auch könnten der Rat und das EU-Parlament schnell zustimmen. Dann könnte die neue Regelung, die die bisherige erheblich ändert, schon in Kürze in Kraft treten.

Was raten sie Kunden, die mit der Gutschein-Regelung nicht einverstanden sind?

Noch besteht der Anspruch, gezahlte Kundengelder zurückzufordern. Man könnte also den Rechtsweg beschreiten. Ich gehe davon aus, dass die meisten Gerichte dementsprechend entscheiden würden. Doch wird dieser Weg versperrt sein, sobald den Reiseunternehmen die Möglichkeit der Ausgabe von Gutscheinen gesetzlich ermöglicht wird. Dann bleibt nur noch, zu prüfen, ob diese Möglichkeit mit dem Europarecht im Einklang steht. Das lässt sich heute noch nicht beurteilen.

Auch wenn Brüssel die Aussetzung der Erstattungspflicht durchwinkt?

Ich kenne die genau Gesetzesformulierung noch nicht. Aber wenn die Kunden einen Gutschein, der weder – dem realistischen Risiko entsprechend – insolvenzversichert noch mit Staatshaftung verbunden ist, akzeptieren sollen, wäre das ein Skandal. Dann zahlen die Reisenden dafür, dass der Staat auf die Einflüsterungen der Industrie gehört und einen Fehler gemacht hat.

Interview: Till Bartels

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