Herr Conrady, wie heftig ist die Corona-Krise für den Tourismus?
Ich bin seit 30 Jahren in der Branche und habe alle paar Jahre eine Krise erlebt. Das begann 1990 mit dem ersten Golfkrieg, der mit einem heftigen Einbruch im Luftverkehr verbunden war. Was wir aber jetzt erleben, dieses massive Herunterfahren des öffentlichen Lebens und der wirtschaftlichen Aktivität, ist einzigartig.
Lufthansa-Chef Carsten Spohr malte kürzlich ein düsteres Zukunftsbild: "Die Weltwirtschaft wird anders aussehen als heute, und wir werden eine kleinere Lufthansa haben."
An dem Satz ist viel Wahres dran. Ich glaube, dass wir in der Touristik am Ende der Krise eine andere Welt vorfinden werden. Exzesse, wie in den vergangenen guten zehn Jahren, werden zurückgestutzt werden.
Was meinen Sie mit Exzessen?
Wir sind es gewohnt, nach Lust und Laune in der Welt herumzufliegen, zu extrem niedrigen Preisen, auch auf Kosten des Klimas. Jetzt wird hinterfragt, ob so ein Verhalten wirklich eine Notwendigkeit hat. Das Ergebnis könnte geringeres Wachstum und eine geschrumpfte Branche sein.
Einige Airlines werden vom Markt verschwinden...
… die Konsolidierung wird einen Schub erleben. Auch bei den Veranstaltern wird es Pleiten geben. Damit wird Kapazität aus dem Markt genommen. Das heißt: Es gibt weniger Anbieter, mit höheren Preisen, was wiederum eine geschrumpfte Nachfrage zur Folge hat.
Die Zeit der Flugtickets für 9 Euro dürfte vorbei sein. Wird es die Low-Cost-Airlines besonders treffen?
Die Billigflieger sind finanziell zum Teil gut ausgestattet. Aber diese Mittel werden schneller zu Ende sein, als wir uns das vorstellen. Wenn die Lufthansa davon spricht, sie habe 4 Milliarden Euro an liquiden Mitteln, dann ist so ein Polster bei deren Kosten in etwa zwei Monaten aufgebraucht.
Wie geht es dann weiter?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass man National Carrier und Billigflieger gleichermaßen rettet. Für alle wird das Rettungspaket nicht reichen. Das Wachstum der Billigflieger könnte vorbei sein und einige Airlines werden auf der Strecke bleiben.
Und auf der Seite der Reiseveranstalter? Vor einem halben Jahr meldete ein Riese wie Thomas Cook Konkurs an....
… da redet heute keiner mehr drüber. Das Vertrauen in die Pauschalreise hat unter der Pleite massiv gelitten. Die Kundengeldabsicherung hatte offensichtlich nicht funktioniert, jetzt aber haben wir ein viel größeres Problem. Wenn die Reisezurückhaltung und die -verbote weiter anhalten, werden das einige Veranstalter in Deutschland nicht überleben.
War Thomas Cook erst der Anfang?
Ja, denn unter den Veranstaltern sind viele kleine Unternehmen und Mittelständler. Diese brauchen auch oft Kundengeldanzahlungen, die jetzt ausbleiben. Da helfen auch kaum Kurzarbeitergeld und andere Maßnahmen der Bundesregierung.
In den vergangenen Jahren erlebten wir einen Hotelboom.
Die Hotels erwischt es ähnlich. Wie alle anderen Firmen in der Touristik sind es auch Dienstleister, die den großen Nachteil haben, dass sie ihre Produkte nicht einfach auf Lager legen können wie ein Automobilhersteller. Hier werden wir auch Pleiten erleben.
Auch für die Reisebüros wird es eng. Alle müssen vorübergehend ihre Türen schließen.
Die Menschen sind durch das Arbeiten im Homeoffice immer mehr online. Wir kaufen im Internet ein, weil die Läden geschlossen sind. Unter diesem Digitalisierungsschub leiden besonders die stationären Reisebüros. Die Reiseportale im Web sind dagegen besser aufgestellt.
Werden wir statt im Sommer eher im Herbst verreisen?
Für die Touristik kommt der Sturm aus allen Richtungen. Zunächst fällt der Osterurlaub flach, wir bleiben zu Hause. Hinzu kommen in naher Zukunft auch finanzielle Sorgen der Menschen. Auf eine Reise kann ich eher verzichten, nicht aber aufs Bezahlen der Miete.

Der Urlaub rückt in weite Ferne?
Wir haben immer gedacht, Urlaub sei ein Grundbedürfnis. Jetzt werden wir eines Besseren belehrt. Urlaub für den Sommer zu buchen, ist im Moment zu riskant. Vielleicht planen die Leute eher Ausflüge in die Region, machen einen Online-Sprachkurs oder fangen ein neues Hobby an. Urlaub gehört vielleicht nicht mehr so selbstverständlich ins Planungsportfolio.
Einige Kreuzfahrtschiffe wurde kürzlich zu Brutstätten für das Coronavirus. Wer hat zukünftig noch Lust auf diese Urlaubsform?
Die Erfahrung von anderen Krisen hat gezeigt: Der Tourist vergisst auch schnell. Ich glaube, dass die Reedereien nicht schlechter als anderen Branchensegmente aus der Krise herauskommen.
Aber wenn die Infektionsgefahr noch zwei Jahre andauern wird?
Wenn wir noch länger Angst vor Ansteckungen haben müssen, dann ist die Kreuzfahrt definitiv gebeutelt. Auch würden sich die Reisearten verschieben: weniger Städtetourismus und weniger Club-Urlaub, wo ich viele soziale Kontakte habe. Vielleicht werden wir mehr in der Natur unterwegs sein oder Urlaub auf dem Bauernhof wird attraktiv.
Reisen wir in Zukunft anders?
Die Einstellung der Menschen zum Reisen könnte sich jetzt verändern. Nehmen wir die Geschäftsreisenden: Die machen gerade gute Erfahrung mit Homeoffice und Videokonferenzen. Wenn diese Gruppe auf jede dritte Geschäftsreise in Zukunft verzichtet, hätten wir einen Strukturbruch.
Und bei den Privatreisen?
Auch da gibt es eine Phase der Besinnung. Muss ich wirklich alle Nase lang im Flieger sitzen? Ein Umdenken könnte jetzt einsetzen. Für den Tourismus wird eine Delle geben, die beträchtlich ist und so schnell nicht aufgeholt werden kann.
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