Tag 1/2, Kristiansand Durchgangsstation mit Charme

Wer in Kristiansand mit der Fähre ankommt, wird zunächst von großen Werften und Industrieanlagen begrüßt. Wenig einladend, doch die Stadt hat mehr Reize, als es auf den ersten Blick scheint.

Südnorwegen ist das Land der Insellabyrinthe, der dunklen Nadelwälder und der weiten Hochebenen. Eine Region für jede Jahreszeit. Hier liegen sowohl die Wiege des alpinen Wintersports als auch beliebte Segelreviere. Wer hier Urlaub macht, will entweder Ski fahren oder am Strand liegen. Der September scheint deshalb nicht die ideale Jahreszeit, um diese Region zu entdecken - zu kühl zum Baden, zu warm für Schnee. Auf der Autofähre, die mich vom dänischen Hirtshals nach Kristiansand bringt, befinden sich nur wenige Urlauber, schon gar nicht welche, die im Wohnmobil unterwegs sind. Für mich also die ideale Möglichkeit, Norwegen abseits der üblichen Touristenströme zu erkunden.Von Kristiansand aus besteht die Möglichkeit, sich für eine der drei Hauptrichtungen zu entscheiden. Entweder man fährt die Küste entlang, Richtung Oslo oder Stavanger, oder man schlägt den Weg nach Norden ein, durch das romantische Setesdal. In meinem Reiseplan entscheide ich mich für letzteres. Doch zunächst stehen zwei Tage in Kristiansand auf dem Programm.Von Norwegens fünftgrößter Stadt wissen die meisten Urlauber wenig. Viele nutzen Kristiansand nur als Durchgangsstation, wenn sie mit der Fähre von Dänemark aus übersetzen. Auch auf meiner Norwegenrundreise ist die kleine Stadt im Süden die erste Station. Als ich auf der Fährüberfahrt den Reiseführer aufschlage, verspricht der wenig Erbauliches. Von großen Werften und Industrieanlagen ist dort die Rede. Ein Reisender aus Bochum, der ebenfalls mit dem Wohnmobil unterwegs ist, rät mir auch gleich ab: "Fahren Sie lieber weiter nach Osten, Richtung Grimstad", berichtet er. Dies sei ein netter, kleiner Ort, "typisch norwegisch eben" und nicht so "hässlich" wie Kristiansand.

Hintergrund: Kristiansand

Kristiansand, die Hauptstadt Sorlandets, gründete Christian IV. im Jahr 1641. Der Ort erhielt sofort Marktrechte und auch gewisse Handelsprivilegien. Die Anlage der Stadt folgte einem strengen Gitterplan, weshalb die Stadt denn auch als Kvadraturen bekannt wurde. Kristiansand expandierte 1922 und 1965 erneut. Heute ist es Norwegens fünftgrößte Stadt.

Langsam kriege ich es mit der Angst zu tun. Ich soll zwei Nächte in einer Industriestadt verbringen? Als wir im Hafen einlaufen, spielt zumindest das Wetter mit. Ein herrlicher Sonnenuntergang empfängt mich und lässt die Hafenanlagen in einem versöhnlichen Licht erscheinen. Der Weg zum Campingplatz bei der Jugendherberge ist schnell gefunden. Die sieht in der Tat wenig einladend aus und besteht aus mehreren Wohncontainern. Anne, die an der Rezeption Dienst schiebt, empfängt mich freundlich und versorgt mich mit den wichtigsten Tipps. Ich solle unbedingt am Abend der Altstadt noch einen Besuch abstatten.Gesagt getan, wenig später mache ich mich zu Fuß ins nahe Zentrum auf. Die Orientierung ist einfach. Schön quadratisch geht es zu. Verantwortlich für das Schachbrettmuster ist König Christian IV. Er ließ den Ort auf dem Reißbrett entwerfen. Die Innenstadt, auch "Kvadraturen" genannt, besteht aus 54 auf einer Halbinsel gelegenen Wohnarealen. Obwohl die Stadt schon mehr als 350 Jahre alt ist fällt auf, dass wenig alte Bausubstanz vorhanden ist. Dies ist nicht zuletzt den vielen Bränden zu schulden. Alte Holzhäuser findet man nur noch im idyllischen Posebyen, der älteste erhaltene Teil der "Kvadraturen". Die kleinen, hübschen Holzhäuschen mit Höfen, Ställen und Kutschenschuppen, Waschhäusern und Nebengebäuden, laden zum Spaziergang ein.

Unterkunft

Jugendherberge Kristiansand (in Norwegen nicht nur für Jugendliche) Tangen, Skansen 8, Tel.: 0047-38 02 83 10

Im zentralen Teil der Innenstadt liegt der recht hübsche Markt mit der 1885 erbauten neugotischen Domkirche, die entgegen dem sonstigen Schachbrettmuster vertikal zu den anderen Grundrissen aufgebaut wurde. In der bei Einheimischen beliebten Brasserie "Hvide Hus" treffe ich mich mit Åse Irene Fjermedal vom Fremdenverkehrsamt und berichte ihr von den Schauermärchen, die schon an Bord der Fähre über Kristiansand verbreitet werden. Sie kennt die Negativberichte über ihre Heimatstadt bereits. "Aber ich beweise Ihnen morgen, dass Kristiansand mehr zu bieten hat, als es auf den ersten Blick scheint."

Pünktlich um neun Uhr treffen wir uns am anderen Morgen wieder, um die Stadt zu entdecken. Vier Stunden hat Åse Zeit, das angekratzte Image Kristiansand aufzupolieren und jagt mich deshalb von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten. Und Petrus scheint mit ihr unter einer Decke zu stecken. Bei 22 Grad und Sonnenschein geht es von der Innenstadt aus zur Festung Chritsiansholm, die inmitten eines schönen Parks liegt. Erbaut wurde sie im Jahr 1672, heute dient sie so friedlichen Zwecken wie Kunstausstellungen. Vom Stadtleben erholen kann man sich in der oberhalb der Stadt gelegenen herrlichen Gartenanlage Baneheia. Der zwischen 1870 und 1880 angelegte Park eignet sich auch wunderbar zum Picknicken. Wir wandern weiter und gelangen in den vielleicht noch etwas schöneren Ravnedalen-Naturpark. Belohnt wird die Anstrengung des Spaziergangs mit einem Blick über die Stadt vom Felsen Ravneheia.Das Herrenhaus Gimle Gard erreiche wir mit Åses Auto. "Damit es schneller geht", meint sie und düst durch die kleinen Gassen der Stadt. Das Haus wurde 1800 für den wohlhabenden Reeder Bernt Holm im damals beliebten klassizistischen Stil erbaut. Es hat eine Säulen-Loggia, und das Interieur besticht durch etliche wertvolle Möbelstücke im Empirestil. 1985 verwandelte man Gimle Gard in ein Museum, das einen Einblick ins Leben der norwegischen Bourgeoisie in der norwegischen Zeit gewährt, von den Salons bis zur Küche im Keller.

Åses Liste mit Sehenswürdigkeiten ist noch lang: der bei Kindern beliebte Tierpark, die Freilichtausstellung des Vest-Agder Fylkesmuseum oder der Botanische Garten des Naturmuseums. Und mit Stolz sagt sie, dass Kristiansand eben doch mehr Sehenswürdigkeiten zu bieten habe, als in manchen Reiseführern zu lesen sei. Und ich kann ihr nur zustimmen. Auch wenn die 72.000-Einwohner-Stadt nicht so hübsch und idyllisch ist wie die meisten anderen an der Küste des Sorlandes, so lohnt sich ein Besuch in jedem Fall.Gerne hätte ich am Nachmittag noch einen gemütlichen Bummel durch die Stadt gemacht, doch im zwölf Kilometer entfernten Kai Høllen in Søgne erwartet mich eine Bootsfahrt hinaus auf die Schäreninsel Ny-Hellesund. Hier haben viele Norweger Ferienhäuser, in denen sie die Sommermonate verbringen. Aufgrund des warmen Klimas wird die Südküste auch die norwegische Riviera genannt. Und Ny-Hellesund macht diesem Namen alle Ehre. Vorbei an einem Labyrinth von kleinen Inseln und Felsen geht es mit einem kleinen Boot durch die schmalen Buchten. Die zumeist weiß getünchten Holzhaussiedlungen werden gerne als "Weiße Perlen" bezeichnet. Wer hier wohnt hat meist kein Auto, sondern nutzt das Fährboot als Fortbewegungsmittel das an jeder kleinen Insel auf Zuruf hält. Jetzt im Spätsommer stehen die meisten Häuser bereits leer. Im Juni oder Juli herrscht hingegen Hochbetrieb. Bei strahlendem Sonnenschein träume ich von einem einsamen Urlaub in einem der kleinen Holzhäuser, umgeben von nicht viel mehr als etwas Grün und viel Wasser.

Jens Maier

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