Es ist ein ganz normaler Morgen in Rio de Janeiro. Im Bohème-Viertel Santa Teresa rattert mit viel Getöse eine Uralt-Tram um die Ecke. Im Büro von "cama e café", der brasilianischen Variante von Bed & Breakfast, klingelt unentwegt das Telefon. Carlos checkt zwischen den Telefonaten die eingegangenen E-Mails. Nebenbei gibt der 30-Jährige noch schnell eine Bestellung für einen riesigen Strauß roter Rosen auf. "Das ganze Zimmer soll damit dekoriert werden", erklärt er gut gelaunt. "Der Kunde möchte seine Verlobte damit überraschen."
Die Idee aus Europa
Als Carlos Magno Cerqueira vor sechs Jahren durch Europa reiste, suchte er nach Alternativen zu den meist teuren und anonymen Hotels. "Es war am preiswertesten und authentischsten, im Haus einer Familie zu übernachten", erinnert er sich. Wieder zurück in seiner Heimatstadt Rio erzählte er zwei Freunden begeistert von seinen Erlebnissen. Das Projekt cama e café war geboren. Das Künstlerviertel Santa Teresa mit seinen alten Villen, Bars und Kneipen schien wie geschaffen für das Experiment. "In Brasilien ist es nicht üblich, dass fremde Gäste bei Familien wohnen", berichtet Carlos.
Doch ihm geht es nicht nur um einen Schlafplatz für die Touristen. Cama e café bietet ein Bett bei Freunden. "Bei uns geht es um einen wirklichen Kulturaustausch", sagt Carlos. Die Gäste tauchen in den brasilianischen Alltag ein. Auch der Gastgeber erfährt viel über andere Länder.
Leben mit der Angst
Im Trubel der Sechs-Millionen-Metropole scheint Santa Teresa wie eine ruhige Insel hoch über der Stadt. Nur wenn Hubschrauber über dem Viertel kreisen, werden die Bewohner an die tägliche Gewalt erinnert. Irgendwo in Rio gibt es dann wieder einen Polizeieinsatz, meist in einem der zahlreichen Armenviertel. In der Stadt am Zuckerhut, in der Armut und unermesslicher Reichtum so dicht beieinander liegen, ist die Gewalt in den vergangenen Monaten erneut explodiert. In den meisten "favelas" liefern sich schwer bewaffnete Banden einen blutigen Kampf um die Vorherrschaft im Drogenhandel.
Wie viele Opfer dieser Krieg bislang gefordert hat, kann keiner genau sagen. Die Organisation Rio de Paz ließ letzten Jahr 4000 rote Ballons am Strand von Copacabana in den Himmel steigen, um an die Opfer zu erinnern. Bei den Razzien der Polizei kommen auch zahlreiche Unschuldige um. Die Polizei in Rio ist für ihr gewaltsames Vorgehen bekannt und in zahlreiche Korruptionsfälle verwickelt.
Die Bewohner von Rio leben mit der täglichen Angst. Überfälle auf Autos, Raub und Entführungen sind an der Tagesordnung. Auch Touristen werden nicht verschont. Wiederholt ist es zu Übergriffen gekommen, bei denen mit vorgehaltener Waffe die Herausgabe von Kreditkarten, Geld und Kamera erzwungen wurde. Besonderes Ziel waren Reisebusse, die vom Flughafen in die Innenstadt fuhren.
Rios Tourismuschef Luiz Felipe Bonilha sieht aber für ausländische Gäste, die sich nur in den touristischen Zonen am Strand aufhalten, kein höheres Risiko als bei einem Besuch in Rom, Paris, Berlin oder Madrid. "Die Polizeipräsenz ist dort sehr hoch", sagt er. Es gebe eine Politik der "null Toleranz" gegenüber Kriminellen. Wie in anderen Metropolen gebe es auch in Rio Taschendiebstahl oder Überfälle auf Touristen, gibt der Chef von Riotur zu. In den vergangenen zehn Jahren habe es zwei Morde an Touristen gegeben. Rund 770.000 Gäste besuchen Rio jährlich. Die meisten davon sind Europäer und kommen in der Karnevalszeit.
Entspannung im Whirpool
Genauso bunt wie das Leben im Bohème-Viertel Santa Teresa ist auch die Liste der Gastgeber bei cama e café. Für Meditationsfans wäre das Haus von Amala die richtige Adresse. Sie ist Yoga-Lehrerin. Pauline, die aus Frankreich an den Zuckerhut gezogen ist, kennt als Touristenführerin alle besonderen Plätze in der Stadt. In ihrem mit vielen Bildern eingerichteten Haus bietet sie ihren Gästen sogar Entspannung im Whirlpool. Merelles ist Koch, Küchenchef, Fotograf und Schriftsteller. Gerade hat er ein Kochbuch über die Zubereitung von Aphrodisiaka veröffentlicht. Bei Ruth, die sich für Fernost begeistert, steht sogar ein kleiner buddhistischer Tempel.
Etwas ganz besonderes bietet auch Valentin. Sein Urgroßvater hat 1879 ein kleines Schloss im neoromantischen Stil gebaut, auf einem Hügel mit Blick auf den Zuckerhut und Copacabana. "Im Turm kann man wie Rapunzel wohnen", erzählt Carlos begeistert.
Jeder Gast wird gebeten, bei Reservierung sein Alter, seine Hobbys, Interessen und spezielle Wünsche anzugeben. "Wenn ich das Profil erhalte, denke ich nach, welches Haus am besten passt", sagt Carlos. "Alle 40 Gastgeber kenne ich ganz genau." Das Frühstück wird den Gästen von cama e café mit ein wenig "Brasilidade" versüßt. Überall gibt es frische Früchte, einen starken Kaffee oder Tee, Säfte, Marmelade und Käse. "Wir machen für alle Gastgeber Kurse, wie das Frühstück am besten und authentisch präsentiert wird", sagt Carlos.
Rund 8000 Touristen hat cama e café seit Gründung vor fünf Jahren schon betreut, die allermeisten waren zufrieden. Rund 300 Anfragen erhält das Team im Durchschnitt pro Monat, die meisten allerdings von Dezember bis Februar, wenn Karneval ist.
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Die Zimmer kosten ab 20 Euro für eine Person, und zwischen 30 und 70 Euro für zwei Personen: www.camaecafe.com.br |