Das Glück hat im Büro keinen Klang, keinen Geschmack, keinen Geruch. In den Bergen ist das anders. Da klingt es nach Vogelgezwitscher und dem rauschenden Fluss im Tal. Es schmeckt nach frischem Quellwasser. Und es riecht: nach Heu.
Im Sommer 2019 tauscht Timo Gerhold, 48, zum ersten Mal sein Büro gegen den Bauernhof, den Rechner gegen den Rechen, die hessischen Hügel gegen die Südtiroler Berge. Zwei Wochen lang hilft der Geschäftsführer des Sportvereins KSV Baunatal bei der Heuernte in Südtirol, beim Freiwilligeneinsatz auf einem kleinen Bergbauernhof im Langtauferer Tal, in fast 1800 Meter Höhe. Der Deal: Zeit und Arbeitskraft gegen Kost, Logis – und noch viel mehr als das.
Statt von Meeting zu Meeting hetzen, Heuballen auf dem Rücken tragen
Der Kontrast zum Alltag könnte größer kaum sein: Normalerweise hetzt Gerhold von Termin zu Termin, sitzt in Meetings oder am Computer, schreibt Mails, telefoniert, oft gleichzeitig, im Schnitt 50 Stunden die Woche. In Südtirol ist das anders. Gerhold senst das Gras an den Steilhängen. Er wendet das Heu mit dem Rechen, legt es zu Bahnen, trägt es in großen Ballen auf dem Rücken. Auch in der Sennerei im Tal hilft er mit. Bei gutem Wetter arbeitet er von morgens früh bis abends. Dann sitzen alle zusammen, essen Käse und Brot vom Hof, reden. Über den Tag, über das Leben.

Beim Bergbauernhof im Langtauferer Tal ist vieles wie früher. Drei Generationen leben hier mit sieben Kühen, sieben Kälbern und zwölf Ziegen. Die Familie verkauft Milch und Käse aus eigener Produktion, im Garten baut sie Gemüse für den Eigenbedarf an, alles wird verarbeitet, eingekocht, eingeweckt, eingefroren. Das Brot backen sie selbst, Eier und Honig kommen von den Hühnern und Bienen. Der Bauer ist auf Helfer angewiesen, vor allem zur Heuernte. Seine steilen Bergwiesen sind nur mit Handarbeit zu bewirtschaften.
Die Idee, in Südtirol einen Freiwilligendienst zu leisten, hatte Gerhold schon lange. Als seine Ehe vier Wochen vor dem geplanten Familienurlaub in die Brüche geht, ruft er beim Verein Freiwillige Arbeitseinsätze EO an. Zwei Stunden später ist er als Helfer bei der Heuernte gebucht. "Das ist das Einzige, wo ich meine Fähigkeiten einbringen konnte“, sagt Gerhold und lacht. "Beim Kühemelken oder Holzfällen wäre ich kaum geeignet.“ Jedes Jahr vermittelt der Verein etwa 2.000 Freiwillige, darunter Manager, Lehrer, Bankangestellte, an rund 300 Südtiroler Bergbauern, die ihre Höfe nicht allein bewirtschaften können. Die Helfer sind durch den Verein unfallversichert und bleiben im Schnitt zehn Tage.
Neuer Trend: "Voluntourism"
"Körperlich war es die anstrengendste Zeit meines Lebens, abends bin ich todmüde ins Bett gefallen“, erzählt Gerhold. "Aber ich fand es sehr erfüllend, nach all den Strapazen das duftende Heu im Stadl zu sehen und zu wissen, dass die Kühe es im Winter fressen.“ Auch die Demut, Dankbarkeit, Wertschätzung der Einheimischen habe ihn beeindruckt, ihr harter Alltag und die Gabe, mit wenig zufrieden zu sein. "Durch die Arbeit entwickelt man eine tiefe Achtsamkeit im Umgang mit der Natur und mit sich selbst.“
Sein Fazit: "Ich bin in ein anderes Leben eingetaucht und habe fantastische Menschen getroffen, die Freunde geworden sind. Nach keinem anderen Urlaub habe ich mich so vital gefühlt. Wer braucht da noch Meditations-Apps oder Resilienzübungen?“ In diesem Sommer hat er wieder bei der Heuernte geholfen, bei derselben Familie. Fortsetzung folgt.

Seit einigen Jahren gehört die Freiwilligenarbeit im Urlaub, auch "Volunteer Tourism" oder "Voluntourism" genannt, zu den Nischenmärkten der Reisebranche, die am stärksten wachsen – zumindest, bis Corona kam. Das Konzept: Mehrere Tage, Wochen oder Monate packen Berufstätige und Studenten im Urlaub mit an, ohne Geld dafür zu bekommen. Juristen werden zu Handwerkern, Lehrer zu Naturpflegern, Büroangestellte zu Erziehern. Sie pflanzen Bäume im Schwarzwald und schneiden Anflugschneisen für den Auerhahn in die Büsche. Sie unterrichten Kinder in Indien und sammeln Müll an karibischen Stränden, Fachkenntnisse sind nicht erforderlich. Ihr Lohn? Nähe zur Natur, Arbeit mit Gleichgesinnten, Kontrast zum Alltag, Spaß, Anerkennung. Und das gute Gefühl, zu helfen.
Dabei wollen viele nicht allein aus philanthropischen Gründen Sinnvolles tun. Sie machen es auch für sich. Zahlreiche Organisationen vermitteln Freiwilligendienste. Der Markt hat sich gewandelt. Waren früher die meisten Einsätze politisch motiviert, etwa bei den Kaffeepflückerbrigaden im sozialistischen Nicaragua, werden heute verstärkt Angebote ohne großen ideologischen Überbau nachgefragt.
Ein Rollenwechsel auf Zeit
"Ich wollte etwas tun, was ganz anders ist als das, was ich sonst mache“, sagt Regine Hain, 53. "Draußen arbeiten, mit sichtbaren Ergebnissen, und spüren, was körperlich alles geht.“ Hain leitet eine Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle in Braunschweig. Seit 2016 arbeitet sie jedes Jahr eine Woche in einem Workcamp von Bergwaldprojekt e.V., zusammen mit anderen Freiwilligen.
"Dabei spielt es keine Rolle, ob jemand studiert hat, erfolgreich ist oder arbeitslos“, sagt Hain. Was alle verbinde, sei das Interesse am ökologischen, gesellschaftlichen Engagement. "Das motiviert auch mich.“ Übernachtet wird in einfachen Unterkünften mit Mehrbettzimmern, seit Corona auch zunehmend im Zelt, ein Koch bereitet die Mahlzeiten zu, mit regionalen Biozutaten, vegetarisch und vegan.

Bei Workcamps im Hunsrück oder im Bayerischen Wald entdeckt Hain ihre Liebe zum Moor, einem wichtigen CO2-Speicher. Sie rammt Holzpfähle in den Boden, füllt Gräben mit Hackschnitzeln und Sägemehl, bedeckt sie mit Grassoden und Torfmoos. Sobald das abstirbt, bildet sich neues Moor. "Bei der Arbeit bekomme ich den Kopf frei“, sagt Hain. Durch die Workcamps habe sie viel über die Natur gelernt. Und übers Leben. "Torf wächst einen Millimeter pro Jahr“, sagt sie. "Das relativiert vieles, was im Alltag wichtig erscheint.“
Der Erkenntnisgewinn ist beabsichtigt. "Der Bergwaldprojekt e.V. hat sich zur Aufgabe gemacht, nicht nur die ökologische Situation in Wäldern, Biotopen und Mooren zu verbessern, sondern auch ein Gefühl für die Natur zu vermitteln“, sagt Vorstand Peter Naumann. "So lernen die Teilnehmer, was für ein gutes Leben wichtig ist. Die Natur ist ein sehr guter Lehrmeister für Nachhaltigkeit.“ Mitmachen kann jeder ab 18 Jahren, an 76 Orten in Deutschland, die Projekte reichen von Waldumbau bis zur Biotop-Pflege. Die Einsätze dauern einen Tag bis eine Woche, die Teilnehmer zahlen die Anreise, Kost und Logis sind frei.
Auch ein Beitrag zur Völkerverständigung
Neben gemeinnützigen Vereinen wie Bergwaldprojekt e.V. bieten auch Hotels, Resorts und Reiseveranstalter Freiwilligenprojekte an, allerdings oft nur als kommerzielles Beiwerk zur Imagepflege. Seriöse Anbieter hingegen orientieren sich am tatsächlichen Bedarf vor Ort. Sie versichern die Helfer und legen Wert auf gute Infrastruktur und qualifizierte Anleitung, bei Langzeitdiensten auch auf ein umfassendes Bewerbungsverfahren.

Viele Vereine haben weitreichende Ziele. "Wir wollen nicht nur einen praktischen Beitrag für die örtliche Bevölkerung leisten, sondern auch zu Frieden und Verständigung“, sagt Ulrich Hauke, Geschäftsführer von Service Civil International (SCI) Deutscher Zweig e.V. Vor 100 Jahren wurde der SCI gegründet, die Idee ist aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs entstanden. Heute vermittelt der Verein Umwelt- und soziale Projekte in aller Welt, um den internationalen Austausch zu fördern.
Einen Beitrag zum Naturschutz leisten
Auf der Website vom SCI hat auch Malte Seibold, 26, seine Freiwilligeneinsätze gefunden. Das erste Workcamp macht er 2013 als Schüler in den Sommerferien, "weil ich nicht wusste, was ich tun sollte“, erzählt er. Schon sein Vater war als junger Mann bei einem Freiwilligendienst in Ungarn. "Das hörte sich spannend an“.
Seibold reist mit der Bahn nach Innsbruck, um auf der Tauernalm bei der Landschaftspflege zu helfen. Zusammen mit den anderen Teilnehmern entfernt er Latschenkiefern, damit die Almwiesen nicht zuwachsen, zwei Wochen lang, geschlafen wird in einer Hütte von einem Skiverein, mit Kamin und Bettenlager. "Ich war damals der Jüngste und fand es toll, Leute aus aller Welt kennenzulernen“, erzählt Seibold.

Bei vier Stunden Arbeit am Tag bleibt genug Zeit, um zusammen zu wandern, Ausflüge zu machen, einzukaufen, zu kochen, zu diskutieren. Etwa über die Frage: Wie kann man nachhaltig leben? Gutes tun war für Seibold damals nachrangig, doch das hat sich geändert. "Ich möchte einen Beitrag zum Natur- und Artenschutz leisten. Heute verstehe ich besser, worum es dabei geht.“
Die Erfahrungen als freiwilliger Helfer haben Malte Seibold geprägt. Nach der Schule macht er ein Freiwilliges Ökologisches Jahr, er besucht Workcamps in Kroatien, Tschechien, Spanien, seit 2016 leitet er selbst Gruppen für den SCI in Deutschland. Zurzeit studiert Seibold Biodiversität und Umweltbildung in Karlsruhe. Wenn er den Master hat, möchte er für einen Nationalpark arbeiten. Möglichst viel draußen, im Wald. Nicht im Büro.