Die russische Metropole hat prächtige Bauwerke und grandiose Plätze. Dabei ist der Großteil der grau vor sich hin grollenden Zehn-Millionen-Stadt alles andere als sehenswert. Eine Straßenüberquerung ist lebensgefährlicher als in New York und in Sachen Sauberkeit darf man keine Wunder erwarten. In kaum einer anderen Stadt sind die Gegensätze zwischen reich und arm, groß und klein, sauber und dreckig, grandios und verheerend größer. Gerade erst ist man an den Nobelboutiquen des Mercury Village und dem Kaufhaus Gum vorbei zum Roten Platz marschiert, da fährt es einem eiskalt durch die Glieder. Das innerliche Schaudern hängt weniger mit den allenfalls mittelkalten Temperaturen noch mit dem erhöhten Aufgebot an Sicherheitskräften im Zentrum von Moskau zusammen. Ein paar Meter weiter in Richtung Twerskaja Uliza geht auf verdreckten Wegen die Bettelei los. Derweil bieten die Geschäfte teure West-Fummel, Capuccino für umgerechnet fünf Euro und auf der Straße rappelt ein alter Wolga vorbei.
"Der Kreml ist einfach der schönste Platz der Welt", tönt die Reiseführerin, "der Blick auf die Kathedrale von Maria Verkündigung ist einfach grandios. Überhaupt alles ist hier in Moskau wunderbar." Auf die Frage, wo sie außerhalb von Russland schon einmal gewesen sei, gibt es nicht mehr als ein Kopfschütteln - ah ja! "Es hat sich so viel getan. Die Stadt lebt und die Leute sind jung und so freundlich", erzählt die Russin. Wieder eine glatte Falschaussage, denn wer in Moskaus Zentrum auf Spurensuche geht, sollte sich mit einem guten Reiseführer bewaffnen. Sprachen wie deutsch und englisch bringen einen ebenso weiter wie im hintersten Kasachstan. Wer seine Chance auf Unterstützung durch die heimische Bevölkerung erhöhen möchte, sollte junge Frauen ansprechen. Viele studieren und noch mehr können englisch. Immerhin ein Versuch.
Das Publikum ist bunt gemischt. Neben jüngeren Moskauern sieht man eine Vielzahl von alten Frauen und Männern - schwer bepackt und mit grimmigem Blick. An der Sehenswürdigkeit des Kreml ändert das wenig. Den sollte man sich bei einem Moskau-Besuch einfach gönnen. Der Blick auf die umliegende Stadt ist eine Schau; Silber- und Rüstkammer mehr als unterhaltsam. Anders als die größte Glocke der Welt, die in der Nähe der größten Kanone der Welt steht. Auf beides sind die Moskauer stolz - beides wurde übrigens nie ausprobiert. Wer will, stellt sich in eine lange Schlange und flaniert an der äußeren Mauer des Kreml vorbei ins Lenin-Mausoleum. Immer im Blick, die wunderbar anzuschauende Basilius-Kathedrale. Ein Muss nicht nur für Disney-Fans.
Donnerstagabend, es ist 20 nach zehn und der Verkehr läuft ungewöhnlich ruhig. Normalerweise quetschen sich die Autos auch um diese Uhrzeit noch Stoßstange an Stoßstange im Schritttempo durch die Stadt. Gerade läuft' s. Trotz dreispuriger Straße winkt die Polizei nach und nach alle Autos an den Rand. Keine muckt, keiner mault. Sogar ein Rettungswagen im Einsatz muss warten. Nach zwei Minuten ist die große Ausfallstraße verlassen und leer - bis eine blinkende Armada heranrauscht. Zwei silberne Mercedes E-Klasse mit Blaulicht - danach eine kleine Lücke und ein Ring von fünf schwarzen G-Modellen in Schwerstpanzerung. Sie umringen eine dunkle Mercedes S-Klasse mit der russischen Standarte auf dem rechten Kotflügel. Aha - Russlands Präsident Putin fährt nach Hause in Richtung Rubljowka.
An jeder Kreuzung stehen Polizisten
Ein Mann um die 40 grummelt und meckert. "Putin, Putin", brabbelt er und schüttelt den Kopf. Der Rest bleibt russisches Kauderwelsch. Kurz danach geben die Polizisten die Straßen wieder frei. Es kann weitergehen. Ein ähnliches Bild gibt es Tag für Tag hunderte Male auf den Moskauer Straßen. An jeder - wirklich jeder - Kreuzung in der Innenstadt stehen mehrere Polizisten. Nur dafür da, den Weg freizumachen, wenn Politiker, wichtige Wirtschaftsbosse und Funktionäre freie Fahrt erwünschen. Der Rest der Verkehrsteilnehmer stellt sich hinten an - und zwar tagsüber ziemlich weit hinten. Für Entfernungen von fünf bis zehn Kilometern muss man schon einmal mehr als eine Stunde Zeit kalkulieren - die Strecke von den beiden relevanten Moskauer Flughäfen in die Innenstadt kann zwischen einer dreiviertel Stunde und mehr als drei Stunden variieren.
Vehement wird mittlerweile bestritten, dass die den Verkehrsfluss fördernden Blaulichtanlagen von halboffizieller Seite für rund 10.000 US-Dollar zu bekommen seien. Wer daran zweifelt, sollte sich jedoch einmal an die Prachtmeile Rubljowka stellen und die vorbeifahrenden Flotten an dunklen Blau- und Rotlichtfahrzeugen zählen. So viele wichtige Persönlichkeiten gibt auch der opulente Moskauer Staatsapparat nicht her. Im Einsatz ist man scheinbar immer, selbst auf dem Weg zum Nobel-Einkaufzentrum Barvikha Luxury Village im Westen der Stadt. So wird ohne jede Scham wild über Standspuren, auf dem Mittelstreifen oder im Gegenverkehr gefahren. In keiner Stadt der Welt gilt das Recht des Reicheren derart eindrucksvoll wie in Moskau. Wer meinte, dass es in London verheerend, in New York nervig und in Paris katastrophal sei, war noch nicht in der russischen Hauptstadt.
Selbst die Taxifahrer, in vielen Metropolen die einzig funktionierenden Routenfinder für die beste Zeit-Weg-Kombination, zucken an der Mockba meist nur mit den Schultern. Da man zumeist einen Festpreis ausgemacht hat, kann man sich dann nur noch auf abgewetzten Sitzen zurücklehnen und auf die nächsten Meter nach vorn hoffen. Zumindest das gut ausgebaute Mobilfunknetz verkürzt die Wartezeit beträchtlich.
Neun Millionen in der Metro
Wer sicher und schnell von A nach B kommen will, hat daher nur eine Möglichkeit: die Metro. Die Moskauer U-Bahn ist eine der weltweit ältesten und abgesehen vom überschaubaren Komfort eine der Besten. Die Züge auf den unzähligen Linien kommen zumeist im Minutentakt. Hier läuft niemand, um eine Bahn zu kriegen. Der nächste Wagen leuchtet bei der Abfahrt der vorherigen meist schon aus dem Tunnel heraus. Mehr als neun Millionen Moskauer lassen ihr Auto daher stehen und fahren Tag für Tag mit der Metro in und durch die Stadt. Bleibt bei kaum mehr als zehn Millionen Einwohnern nur die Frage, wer die Straßen ein paar Etagen höher so verstopft. Aber ein paar Geheimnisse muss es auch in Moskau auch im dritten Jahrtausend noch geben. So wie die geheime Metro, die als Parallellinie nur wichtigen Funktionären zur Verfügung steht mit drei geheimen Linie die Stadt bis ins weite Vorlang durchzieht. Scheinbar lassen selbst die Blaulicht-Persönlichkeiten die gepanzerten Refugien dann und wann einmal stehen.