Während sich die Mehrheit der Deutschen in Daunenjacken und dicke Schals hüllt, animieren die derzeit herrschenden Tiefsttemperaturen einige Jugendliche zu ungewöhnlichen Experimenten: Im saarländischen Saarlouis wollte ein 16-Jähriger offenbar eine Szene aus dem Jim-Carrey-Klamaukfilm "Dumm und dümmer" nachspielen und hielt seine Zunge an einen kalten Laternenmast. Zu seiner Überraschung fror er tatsächlich fest. Sanitäter mussten den jungen Mann behandeln, behielten jedoch die Ruhe - es war nicht die erste blutende Zunge an diesem Wochenende.
Einen weitaus größeren Schrecken erlitt ein Familienvater aus Franken: Mit seinen beiden Kindern stapfte der Mann auf der Suche nach dem perfekten Baum durch den Wald, als der siebenjährige Sohnemann und das zwölf Jahre alte Töchterchen plötzlich wie vom Erdboden verschluckt waren. Ein Großaufgebot an Suchkräften und ein Hubschrauber mit Wärmebildkamera fahndeten ergebnislos nach den Geschwistern, doch schließlich Erleichterung: Stunden später findet eine Frau die völlig durchgefrorenen Kinder drei Kilometer vom väterlichen Auto entfernt.
Dies sind zwei von ungezählten Wintererlebnissen in Europa an einem 4. Advent, der Temperaturen aus der Tiefkühltruhe zu bieten hat. Und es sind zwei der lustigeren Geschichten eines Wochenendes, das Verkehrsstaus, tote Obdachlose, Schneestürme, Minusgrade in Madrid und lahmgelegte Züge verzeichnete, bei vielen aber nur die Frage aufwirft: Bekommen wir eine weiße Weihnacht?
Gespenstische Szenen unter dem Ärmelkanal
Unter den Zugausfällen der spektakulärste war der Stillstand des Eurostar, der Paris und London verbindet. Kaum hatte der Zug den klirrend kalten Kontinent verlassen und den Anfang des Tunnels Richtung Insel erreicht, blieb er stehen. Die Betreiber erklärten, dass der große Temperaturunterschied zwischen draußen und drinnen für den Ausfall der Elektronik verantwortlich gewesen sei. Rund 2000 Passagiere verbrachten eine Nacht im Zug. Gespenstisch seien die Szenen gewesen, berichten Fahrgäste. Frauen fielen in Ohnmacht, Kinder übergaben sich und ältere Menschen litten unter Asthmaanfällen. Bis zu 15 Stunden hielten die Passagiere in den Zügen aus.
Auch im übrigen Europa bescherte das Verkehrschaos den Menschen alles andere als einen ruhigen Advent. Heftige Schneefälle führten in den Niederlanden zu zahlreichen Zugausfällen, auf spiegelglatten Straßen ereigneten sich schwere Unfälle, und auf dem internationalen Flughafen Schiphol bei Amsterdam warteten tausende Reisende auf ihre Flüge. Im Nachbarland Belgien sah es kaum besser aus, Schnee und Eis verwandelten die Straßen in gefährliche Rutschbahnen und führten zu zahlreichen Flugverspätungen. Tiefsttemperaturen auch in Südeuropa: Madrid erlebte Minusgrade. Italien friert.
Stromausfall in Bulgarien
Zu Verstimmungen führte der meteorologische Ausnahmezustand auch hierzulande. In Düsseldorf wurde der Flughafen am Sonntagvormittag wegen Schneetreibens gleich ganz geschlossen. Nach fast zwölfstündiger Sperre wurde der Verkehr wieder aufgenommen. Es würden am Abend voraussichtlich noch rund 15 Maschinen starten, sagte ein Sprecher. Landungen soll es nicht mehr geben. In Bulgarien hatten dagegen nicht nur Reisende mit den Folgen der weißen Pracht zu kämpfen. Mehr als 200 Orte waren bei Minustemperaturen plötzlich ohne Strom und statt geruhsam das vierte Lichtlein anzuzünden, waren die Landsleute erst einmal damit beschäftigt, umgefallene Bäume von den Stromleitungen zu entfernen.
Der harte Winter hat aber nicht nur Verkehrsbehinderungen und Stromausfälle zur Folge. Mittlerweile sind auch die ersten Kältetoten zu beklagen. In Polen sind in der Nacht zum Sonntag 15 Menschen erfroren, seit Anfang Dezember wurden damit auf Polens Straßen bereits 47 tote Obdachlose und Betrunkene gefunden. Auch in Mannheim wurde einem Obdachlosen sein Alkoholgenuss zum Verhängnis. Nur mit einer Kapuzen- und einer dünnen Daunenjacke bekleidet, legte sich der Mann auf den bloßen Betonboden und starb im Schlaf.
Am Sonntagnachmittag begann es in weiten Teilen Deutschlands wieder zu schneien. Die Temperaturen lagen immer noch weit unter null Grad. Die Nacht von Samstag auf Sonntag ist mit bis zu minus 30 Grad in Albstadt-Degerfeld die kälteste dieses Jahres gewesen.
Der Schnee nährt weiter die Hoffnung auf weiße Weihnacht. Allerdings, es wird knapp. Denn das Tief „Vincent“ bringt wärmere Temperaturen nach Deutschland. Tag für Tag wird das Thermometer ein bisschen weiter nach oben klettern, Dienstag soll es erstmals Plusgrade geben. Nachts aber dürfte es weiter frieren. Von oben fällt mal Schnee, mal Regen – die Autofahrer müssen wieder Glatteis fürchten. Und an Heiligabend droht uns dies: graubrauner Matsch mit weißen Stellen. Je nach Gemütsverfassung also: teilweiße Weihnacht oder angematschter Heiligabend.