Geruckel im Flieger Pilot über Turbulenzen: "Es gibt keine Luftlöcher, das ist Quatsch"

Turbulenzen bei Flügen machen vielen Menschen Angst. Doch wie gefährlich ist das Geruckel im Flieger wirklich? Und wo droht es am häufigsten? Der stern hat mit einem ehemaligen Piloten gesprochen.

Wenn das Flugzeug von Turbulenzen durchgeschüttelt wird, ist das für jeden unangenehm. Manche Menschen haben gar panische Angst vor ruckeligen Flügen. Doch wann muss man eigentlich mit Turbulenzen rechnen und wie entstehen sie? Wir haben mit einem ehemaligen Piloten gesprochen. Er flog bis 2012 als Kapitän für Lufthansa.

Wie oft kommt es eigentlich zu Turbulenzen beim Fliegen?

Das kann man nicht so genau sagen. Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, von der Jahreszeit bis zur konkreten Wetterlage. Im Herbst und Winter sind es mehr, im Sommer kommt es vor allem bei Gewitterlagen zu Turbulenzen.

Was sind die Ursachen für das Geruckel?

Allgemein entstehen durch Starkwinde und gebirgige Landschaften sogenannte Leewellen aus dem Windschatten der Berge. Auch Jetstreams, so nennt man Winde in großen Höhen, spielen eine Rolle.

Wo treten am ehesten Turbulenzen auf? Eher auf den europäischen Kurzstrecken oder bei globalen Langstrecken?

Als Risikofaktor sind am ehesten Hochgebirge zu nennen, sie erzeugen alle die kritischen Leewellen - von den Rocky Mountains in den USA, bis zu den Anden oder dem Himalaja. In flacheren Gebirgen wie den Alpen gibt es das Risiko auch, es ist wegen der geringeren Höhe der Berge aber nicht so groß. Generell gilt: je höher der Berg, desto stärker der Wind.

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Sind die Turbulenzen vermeidbar?

Ja, wenn man von ihnen weiß, lassen sie sich umfliegen. Dabei werden Kosten und Nutzen miteinander abgewägt. Wenn keine größeren Kosten entstehen, nimmt man auch die ruhigere Route. Große Umwege werden aber nicht geflogen, weil dafür der Sprit nicht ausreichen würde. Ein Über- oder Unterfliegen der Turbulenzen kann auch eine Option sein. Fliegt man zu tief, verbraucht das wegen des höheren Luftwiderstands wieder mehr Kerosin.

Gibt es ein Warnsystem wie beim Wetterradar? Warnen sich Piloten gegenseitig per Funk?

Ja, indirekt über Pilotenreports gibt es so etwas schon, aber nicht als grundsätzliches System. Piloten müssen melden, wenn sie durch Turbulenzen fliegen. Ist ein anderes Flugzeug kurz danach auf derselben Route unterwegs, ist es informiert und kann entweder umplanen oder die Passagiere per Durchsage vorwarnen.

Gibt es die berühmten Luftlöcher?

Nein, es gibt keine Luftlöcher, das ist Quatsch. Luft gleicht Druckunterschiede schnell aus, so entsteht ja auch Wind. Gebiete, in denen ein solch niedriger Druck herrscht, dass ein Flugzeug "hineinfallen" könnte, kann es also gar nicht geben.

Wie weit sackt das Flugzeug bei Turbulenzen eigentlich realistisch ab?

So gut wie gar nicht. Der Autopilot gleicht das sehr gut aus und schaltet sich ab, wenn es gar nicht mehr geht. Dann muss der Pilot selbst übernehmen. Das ist mir in 34 Jahren aber nie passiert.

Haben Sie Tipps, wie die Passagiere am besten reagieren sollten?

Anschnallen (lacht). Mehr gibt es eigentlich nicht. Man sollte den gesamten Flug die Gurte angelegt lassen.

Sind kleine Flugzeuge anfälliger für Turbulenzen?

Nein, aber wegen der geringeren Trägheit spürt man das Gewackel deutlich stärker. Gefährlicher sind die Turbulenzen aber nicht.

Sind bestimmte Teile des Flugzeuges besonders schüttelanfällig?

Hinten ist es bei großen Fliegern aufgrund des Hebelarms wackeliger. Ganz vorne manchmal auch, je nach Lage des Schwerpunktes des Flugzeuges. An den Flügeln ist der Flieger am stabilsten. In kleinen Fliegern wird man einfach überall durchgerüttelt.

Interview: Malte Mansholt

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