
Hamburg: Ort des Gehdenkens
Manchmal braucht es den Blick aus der Ferne, um seine Schmuckstücke zu erkennen, auch in Hamburg. Auf St. Pauli wurde jüngst ein riesiger Flakbunker aus dem Zweiten Weltkrieg mit Gartenterrassen, Hotel, Gastronomie, Konzerthalle und einer kleinen Rasenfläche aufgestockt. Nazibau trifft Big Business, bis heute soll der Investor rund 60 Millionen Euro in den Umbau investiert haben. Und während sich die Hamburger noch fragen, ob es nicht geschichtsvergessen sei, das begehbare Mahnmal mit einem grünen Hut zu verniedlichen, schwärmt man im fernen Ausland längst für Hamburgs neue Attraktion. Im vergangenen Jahr kürte das Magazin "Time" das Bunkerhotel "Reverb" zu einem der "World’s Greatest Places 2024". Jetzt hat die "New York Times" nachgezogen und Hamburg auf die Liste der "52 Places to Go" gesetzt – wegen des Bunkers auf St. Pauli. Der wird zunehmend auch von den Einheimischen geschätzt, nicht zuletzt wegen der großartigen Aussicht: Ein Weg mit 335 Stufen führt um den grauen Betonklotz hinauf zum 58 Meter hohen Gipfel. Unterwegs taucht alle paar Meter ein Wahrzeichen der Stadt im Blickfeld auf: Fernsehturm, Rathaus, Michel, Elphi, Köhlbrandbrücke. Hier, denkt man oben angekommen, scheint beides möglich: die Aussicht würdigen und des Terrors im Nationalsozialismus gedenken (Gunnar Herbst)
© Patrick Slesiona/stern