Er trägt den Spitznamen El Pocho, den man auch mit "schlampigem Genie" übersetzen kann. Doch Ezequiel Lavezzi schwört Stein und Bein, dass der Name keineswegs diese Bedeutung habe, sondern einfach nur die Kurzform des Namens seines früheren Hundes Pocholo sei.
Wie dem auch sei, von den Schlampigkeiten, die man Lavezzi trotzdem noch vor Jahren oft angelastet hatte, ist nicht viel übrig geblieben. Der Argentinier ist in der Form seines Lebens und könnte auch heute Abend im Rückspiel beim FC Chelsea der Garant für Napolis erstmaligen Einzug ins Champions League-Viertelfinale sein.
Sechs Tore hat der offensive Mittelfeldspieler in den letzten fünf Pflichtspielen für Napoli erzielt - fast allesamt spielentscheidend. Zuletzt zeigte er beim 6:3-Erfolg der Süditaliener über Catania einen Galaauftritt. Lavezzi rannte, dribbelte, riss Löcher, setzte seine Mitspieler in Szene setzte und krönte seine Topleistung mit einem Elfmetertor, mit dem er Diego Maradonas 25 Jahre alten clubinternen Rekord für Treffer in aufeinanderfolgenden Spielen egalisierte. Umso erstaunlicher, da Lavezzi zuvor zwar als unverzichtbarer Leistungsträger, jedoch weniger als Torjäger in Erscheinung getreten war.
Aus argentinischem Slum zum König von Neapel
Seine Leistungsexplosion ist nicht nur das Resultat der hervorragenden Trainerarbeit von Walter Mazzarri oder Ausdruck eines natürlichen Reifeprozesses, sondern vor allem Resultat seines unbändigen Willens nach sozialem Aufstieg. "Die fünf Jahre in Italien haben mich in allen Bereichen wachsen lassen", erzählte er im Interview mit SportWeek, dem Wochenmagazin der Gazzetta dello Sport. "Das ist genau das, was ich will. Noch mehr als Karriere zu machen und viel Geld zu verdienen. Geld hilft natürlich, aber der wichtigste Sieg für mich ist, die soziale Leiter hochgestiegen zu sein."
Und dieser Aufstieg aus einfachen Verhältnissen in einem heruntergekommenen Vorort von Rosario in Argentinien zu "König Ezequiel I" (Corriere dello Sport) war steinig und liest sich wie eine dieser typischen "Vom Tellerwäscher zum Millionär"-Erfolgsstorys: Scheidungskind, die Mutter musste bis spät in die Nacht putzen, um die Familie zu ernähren. Ezequiel wurde praktisch von seinen älteren Geschwistern aufgezogen, ging zwei Jahre vor dem Abschluss von der Schule ab.
"Außer einem Ball hatte ich keine Spielsachen", erinnerte sich Lavezzi in SportWeek an seine Kindheit zurück. Die fußballerischen Grundfähigkeiten lernte er auf der Straße, verfeinerte sie erst in den Jugendteams der Boca Juniors und später bei Estudiantes. Fußball war für ihn damals nur Zeitvertreib und nachdem ein Wechsel zum damaligen italienischen Zweitligisten Fermana an bürokratischen Problemen gescheitert war, hätte Lavezzi fast die Fußballstiefel zu Gunsten einer Elektrikerlehre bei seinem Bruder an den Nagel gehängt.
Fußball ist Lavezzis Mittel zum sozialen Aufstieg
Doch dann kam Genoa und sicherte sich die Rechte an Lavezzi, parkte ihn jedoch zunächst beim argentinischen Club San Lorenzo, der den Youngster nach Genoas Zwangsabstieg dann kaufte. "Erst da habe ich gemerkt, dass ich vom Fußball wirklich leben kann", schilderte Lavezzi den Moment, in dem ihm klar wurde, den Sport als Mittel zum Zweck, als Vehikel für den sozialen Aufstieg zu nutzen. "Fußball ist sicher nicht das Wichtigste in meinem Leben", erklärte er. "Aber er hilft mir, mein Leben zu verbessern."
Und das verbesserte sich nicht nur in materieller Hinsicht weiter, seit Lavezzi 2007 bei Napoli einen Fünfjahresvertrag unterschrieb. Eine Villa mit Blick auf den Golf von Neapel und die Stadt, das bildhübsche Modell Yanina Screpante als Freundin sind die nach außen sichtbaren Verbesserungen. Aber es setzte auch ein persönlicher Reifeprozess ein. Als Pocho mit 22 nach Neapel gekommen war, hatte er noch gerne die Nacht zum Tag gemacht, das gewöhnte er sich aber schnell ab.
"Wenn ich am Donnerstag unterwegs war und wir dann Sonntag nicht gewannen, dann wusste das schnell die ganze Stadt. Ich habe mich wohl gerade deshalb verbessert, weil mir bestimmte Dinge eben nicht erlaubt waren", blickte Lavezzi zurück. Ein Heiliger ist er deshalb trotzdem noch nicht, auch er leistet sich seine Freiheiten, bemüht sich aber diese geschickt zu verstecken. Und gerade deshalb lieben sie ihn im heißblütigen Süditalien.
Villa für Lavezzi ein Goldener Käfig
Doch die ständige Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ist die Schattenseite der großen Popularität. Seit knapp fünf Jahren lebt Lavezzi zwar in Neapel, die wichtigsten Sehenswürdigkeiten kennt er aber trotzdem nur von Fotos. Schließlich kann er kaum einen Schritt vor die Tür wagen, ohne in einer Menschentraube zu versinken.
Die Villa ist zum Goldenen Käfig geworden, denn "aus dem Haus gehen, ist für mich ein richtiger Angang", erzählte er laut calciomercato.com. "Einmal wollte ich Schuhe kaufen. Die Leute haben mich erkannt, sind mir bis ins Geschäft gefolgt und haben dort alles verwüstet. Schon wenn ich aus dem Fenster schaue, schreien gleich alle nach Autogrammen, Fotos oder Trikots."
Seine Freundin wurde bereits auf offener Straße überfallen und um eine teure Uhr erleichtert und auch sein Sohn Tomas, der bei der Mutter in Argentinien lebt und Lavezzi dreimal im Jahr in Italien besucht, leidet unter den Umständen. Ausflüge mit dem Vater sind nur schwer zu realisieren. Hauptsächlich spielen sie im Haus Fußball. "Nur ein Tag Normalität würde mir reichen", erklärte Lavezzi SportWeek. "Ich möchte nur mal wie eine normale Person rausgehen können, einen Kaffee trinken, mit meiner Freundin spazieren oder mit meinem Sohn ins Kino gehen, ohne mich verkleiden, verstecken oder sogar fliehen zu müssen."
Kann nur Gehirnwäsche Lavezzis Wechsel verhindern?
Obwohl er öffentlich immer wieder seine Liebe zu Napoli beteuert, ist es unter diesen Voraussetzungen nicht unwahrscheinlich, dass Lavezzi trotz Vertrags bis 2015 den Club irgendwann verlassen wird. Anfragen aus England, Spanien, Frankreich und natürlich der Serie A gibt es genug und jedes weitere Tor des Argentiniers dürfte auch die Bereitschaft der Interessenten erhöhen, tiefer in die Tasche zu greifen. Inters Massimo Moratti hat sich dahingehend schon geäußert.
Doch eine Wechsel wird Aurelio De Laurentiis mit allen Kräften verhindern wollen, denn er ist großer Lavezzi-Fan. "Er ist ein Freigeist, ein außergewöhnlicher Junge mit einem Herz aus Gold. Er hat zwar Flausen im Kopf, die manche negativ bewerten, aber mich erinnert er an mich, als ich jung war", schwärmte der Napoli-Präsident laut lastampa.it. Wie er den Jungen halten will, hatte er schon im Sommer via Corriere dello Sport verkündet: "Ich habe seinem Agenten gesagt, dass ich ihn mit auf mein Boot nehme und dort einer Gehirnwäsche unterziehe."
Malte Asmus