Champions League Magische Bremer Nacht

Von Klaus Bellstedt, Bremen
"Das Spiel kann uns niemand mehr nehmen", sagte hinterher Werder-Trainer Thomas Schaaf. Kurz zuvor hatte seine Mannschaft in einer denkwürdigen "Europapokalschlacht" die Weltauswahl von Juventus Turin niedergerungen.

Ivan Klasnic, Werders Stürmer, tat unmittelbar vor dem Anpfiff der Champions-League-Partie gegen Juventus Turin das, was er vor besonderen Fußballspielen immer tut: Er bekreuzigte sich in Höhe der Mittellinie, fasste danach einmal in den Rasen und schickte noch kurz einen Gruß in den Himmel hinterher, als wollte er sagen: "Lieber Fußballgott, heute musst du uns beistehen, gegen diese Übermannschaft brauchen wir ein neues Wunder von der Weser."

Und siehe da: Klasnics' Bitte schien an der Himmelspforte Gehör gefunden zu haben - aber (vorerst) nur bis zur 73. Minute dieses denkwürdigen Europapokalabends im Bremer Weserstadion. Denn bis zu diesem Zeitpunkt lagen die Norddeutschen gegen die Weltauswahl des italienischen Meisters hochverdient mit 1:0 in Front. Die Grün-Weißen lieferten vor allem in der ersten Hälfte eine famose Leistung ab. Angetrieben von einem groß aufspielenden Johan Micoud zogen sie ein atemberaubendes Kombinationsspiel auf und erspielten sich Torchancen fast schon im Minutentakt. Das freilich trieb Juves Trainer Fabio Capello die Zornesröte ins Gesicht: So wild gestikulierend und brüllend an der Seitenlinie hatte man den Coach selten erlebt.

Keine Wetten auf Juve

Der Souverän der italienischen Serie A hatte es einzig seinem überragenden Torhüter Gianluigi Buffon zu verdanken, dass es zur Pause aus der Sicht der Gäste nur 0:1 hieß. Der junge Bremer Außenverteidiger Christian Schulz hatte mit einem kuriosen Tor kurz vor dem Halbzeitpfiff die längst überfällige Führung für den Tabellen-Dritten der Bundesliga erzielt. Man habe nicht arrogant gespielt und Werder auch nicht unterschätzt, kommentierte Fabio Capello hinterher lapidar die fast schon destruktive Vorstellung der "Alten Dame" (nur zwei halbe Torgelegenheiten durch Ibrahimovic und Vieira) in den ersten 45 Minuten. Und man mochte ihm sogar glauben. Werder Bremen war in diesem Achtelfinal-Hinspiel bis dahin einfach nur besser.

Nach dem Wechsel bot sich den bibbernden Fans im eisigen Weserstadion zunächst das gleiche Bild, wenngleich Juve jetzt mehr tat. Pavel Nedved versuchte das Spiel an sich zu reißen - mit mäßigem Erfolg. Die Mannschaft von Thomas Schaaf musste in dieser Phase dem hohen Anfangstempo Tribut zollen und notgedrungen vom fünften in den vierten Gang zurückschalten. Und dennoch: Keiner der 37.000 Zuschauer, selbst die mitgereisten Juventus-Tifosi nicht, hätte Mitte der zweiten Hälfte auch nur einen Cent auf die endgültige Wiederauferstehung des Starensembles von jenseits der Alpen gesetzt. Wer es trotzdem gemacht hätte, wäre an diesem Abend reich geworden.

Vernichtende Tiefschläge

Urplötzlich und wie aus dem Nichts zeigte Juventus Turin sein ganze Klasse. Vieira fand die Lücke in der Viererkette und bediente den gestarteten Nedved. Der Tscheche blieb im Gegensatz zu seinen Mitspielern im ersten Spielabschnitt eiskalt und traf allein vor Torwart Wiese zum Ausgleich. Auf der Anzeigentafel leuchtete die 73. Minute auf, und das Spiel wurde vom spanischen Schiedsrichter Gonzalez nun quasi zum zweiten Mal angepfiffen. Und diese letzte Viertelstunde sollte niemand der Anwesenden so schnell vergessen, denn es war allerhöchste Unterhaltung in bester Hitchcock-Manier.

Nach der bitteren "Ausgleichspille" kam es für die Grün-Weißen zunächst noch dicker: Juve-Stürmer Trezeguet stürzte mit seinem Kopfballtreffer (81.) ein ganzes Stadion in tiefe Depressionen. "Ich saß auf der Trainerbank und hab mich gefragt, ob ich verrückt geworden bin". Treffender als Thomas Schaaf hätte man das Gefühl nicht ausdrücken können. Turin hatte nicht nur das Ergebnis gedreht, sondern mit den beiden Treffern auch den Spielverlauf auf den Kopf gestellt. Normalerweise steht eine Mannschaft nach solch vernichtenden und Moral tötenden Tiefschlägen nicht mehr auf - schon gar nicht acht Minuten vor Schluss und noch dazu gegen einen Kontrahenten dieses Kalibers. Aber was war an diesem magischen Bremer Abend schon normal? Gar nichts!

Der Fußballgott existiert definitiv

Werder kam in dieser denkwürdigen Partie tatsächlich noch einmal zurück und schwang sich in der Schlussphase zu einem beispiellosen Endspurt auf. Zunächst war es Tim Borowski, der 180 Sekunden vor Ablauf der regulären Spielzeit den Ausgleichstreffer für den Ex-Meister markierte. Aber das war noch nicht alles: Die Bremer Himmelsstürmer machten weiter Druck und wurden in der Nachspielzeit mit dem euphorisch umjubelten Siegtreffer von Johan Micoud, der den Grün-Weißen mit dem Tor zum 3:2 die Chance auf ein Weiterkommen in der Königsklasse offen hält, noch belohnt. "Es gibt ihn also doch, den Fußballgott", mag sich Ivan Klasnic nach dem Schlusspfiff gedacht haben. Daran hatte er fast schon gezweifelt. Achten Sie mal in zwei Wochen kurz vor dem Anpfiff zum Achtelfinal-Rückspiel in Turin genau auf den Werder-Stürmer...

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