Eine Stadt – irgendwo. Nicht in Deutschland,
nicht in der Schweiz. Ein Hotel,
ein Besprechungszimmer. Gebäck steht
auf dem Tisch. Kaffee, Wasser, Cola
light. Der Raum ist leicht überhitzt, der
Informant hat das Jackett abgelegt.
Es ist vorbei. Das Urteil gegen Uli Hoeneß
ist rechtskräftig, der einst mächtige Patron
des FC Bayern und Wurstfabrikant geht ins
Gefängnis.
Die Causa Hoeneß hat die Republik verändert,
hat sie zurechtgerückt. Mehr als 20.000
Steuerbetrüger haben sich bei den Behörden
gemeldet, seit der Fall publik wurde. Sie haben
viele Hundert Millionen an verstecktem Geld
zurück ins Land gebracht. Die Politik diskutiert
darüber, die Vorzugsbehandlung von
Steuerstraftätern deutlich zu beschneiden, die
sich selbst angezeigt haben. Deutschland ist
etwas ehrlicher geworden.
Daran hat der Informant entscheidenden
Anteil. Er ist einer von jenen, die Wissen um
Hoeneß’ heimliche Geschäfte preisgegeben
haben. Als der stern im Januar 2013 erstmals
über dreistellige Millionensummen auf einem
geheimen Konto bei der Bank Vontobel in der Schweiz berichtete, erschien manchen die Geschichte
als unvorstellbar, als abenteuerlich.
Hoeneß aber wusste sofort, dass es nur um ihn
gehen konnte. Er zeigte sich an, um der Strafverfolgung
zu entgehen. Vergebens. Im Laufe
des Prozesses wurde die stern-Berichterstattung
nun im Wesentlichen bestätigt. Dennoch
bleiben offene Fragen.
Das Gespräch ist ein Risiko für den Informanten.
Zum Schutz muss er anonym bleiben.
Nicht einmal das Geschlecht kann hier offenbart
werden. Das Jackett über der Stuhllehne
könnte auch ein Blazer sein und der Informant
eine Informantin. Es ist zwecklos, nach
diesem Menschen zu suchen. Die Verabredung
zu dem Gespräch wurde über Prepaid-Handys
getroffen, die auf Fantasienamen angemeldet
sind. Die Anreise geschah unter besonderen
Vorsichtsmaßnahmen. Wo die Wortwahl
Rückschlüsse auf die Identität möglich machen
könnte, wurden Redewendungen aus
dem Interview gestrichen. Das macht das Gespräch
nicht weniger authentisch. Inhaltlich
ist alles so gesagt worden. Erschienen ist das Interview am 20. März in Heft Nr. 13.
Dreieinhalb Jahre Haft.
Er war ein massiver Steuerhinterzieher,
und er hat seine Strafe bekommen.
Eine gerechte Strafe?
Das kann ich nicht beurteilen. Aber wenn
man sieht, wie schnell der Fall in dem
Prozess abgehandelt wurde, wird man
stutzig. Das wirkt so, als wollte das
Gericht nicht alles so genau wissen.
Die Verteidigung akzeptierte ja schnell die Schätzung der Hinterziehungssumme.
Und was man so hört, stellte die Staatsanwaltschaft kaum Fragen, nicht
mal dem Angeklagten. Das ist doch
merkwürdig.
Warum war es Ihnen wichtig, dass der
Fall Hoeneß öffentlich wird?
Dieser Typ hat mich geärgert, seine Doppelzüngigkeit,
sein öffentliches Schimpfen
auf Spekulanten und Banken. Dabei
ist er selbst ein Geschäftemacher, arrogant
und selbstherrlich. Solche Verlogenheit
kann ich nicht leiden.
Als im Januar 2013 die erste stern-
Geschichte über das geheime Fußballkonto
in der Schweiz erschien, konnte
man den Namen Hoeneß noch nicht
zuverlässig nennen.
Manchmal ist es sinnvoll, nicht alle
Informationen auf einmal preiszugeben.
Zudem war nicht eindeutig, wem das
Geld auf dem Nummernkonto gehörte.
Klar war aber: Hoeneß hat das Konto
gemanagt.
Verschafft das Urteil Genugtuung?
Ich brauche keine Genugtuung.
Mir persönlich hat Herr Hoeneß keinen
Schaden zugefügt.
Bis zu Prozessbeginn war von einer
Hinterziehungssumme von 3,5 Millionen
Euro die Rede. Nun sollen es mindestens
28 Millionen gewesen sein.
Überraschend ist nur der späte Zeitpunkt,
an dem die Zahlen bekannt wurden.
Ich wusste ja, dass viel mehr Geld auf
dem Konto lag.
Hoeneß verzichtet auf eine Revision.
Er tritt die Haft an. Ist der Fall damit
aufgeklärt?
Nein. Die tatsächlichen Beträge, um die
es geht, konnte die Justiz gar nicht nachvollziehen.
Die meisten Kontounterlagen
sind ja erst kurz vor Prozessbeginn
vorgelegt worden.
Um welche Beträge geht es denn
wirklich im Fall Hoeneß?
Er hatte zeitweise Werte von 600 Millionen
Schweizer Franken auf seinem
Konto, also ungefähr 400 Millionen Euro.
Das Vermögen schwankte kräftig.
Da gab es auch kurzfristig Ausschläge
in zweistelliger Millionenhöhe.
Uli Hoeneß besaß seit 1975 ein Nummernkonto
mit der Kennung 4028BEA bei der
Privatbank Vontobel in Zürich. Das Kürzel
BEA steht für das Passwort „Beaufort“. Seit
2004 wurden zwei Unterkonten geführt.
Über die betrieb Hoeneß in großem Umfang
Spekulationsgeschäfte – vor allem Devisentermingeschäfte,
bei denen auf die Kursentwicklung
zwischen zwei Währungen gewettet
wird. Im Strafverfahren gegen Hoeneß wurden
weder die Herkunft des Geldes noch dessen
späterer Verbleib näher verhandelt. Es
ging allein um die zu versteuernden Gewinne.
Nur vereinzelt wurden auch Kontostände
im Prozess öffentlich. So besaß der Fußball-
Manager etwa zum Jahresende 2005 rund
155 Millionen Euro auf dem Vontobel-Konto.
Hoeneß hat den stern im Sommer 2013
wegen eines Berichts über ein angeblich
hohes dreistelliges Millionenvermögen verklagt.
Er bestreitet in dem Presseverfahren
vor dem Landgericht Hamburg, derartige
Summen je besessen zu haben. Das Verfahren
ist noch nicht abgeschlossen.
Hoeneß besaß einen Börsenpager, auf
dem er ständig die Kurse verfolgte.
Damit sah man ihn sogar auf der
Tribüne sitzen. Hat er selbst während
der Bayernspiele noch gezockt?
Mit einem Börsenpager kann man nicht
handeln. Die Aufträge gingen per Telefon
ein. Auf seinem Konto wurden nahezu
permanent Geschäfte getätigt. Hoeneß
war in der Bank ja ein Ausnahmekunde.
Normalerweise werden solche Klienten
vom Private Banking geführt, der Vermögensverwaltung.
Hoeneß ließ sich aber
im Investmentbanking betreuen – vom
Chef des Devisenhandels. Es ist ungewöhnlich,
dass ein Privatkunde hier seine
Geschäfte persönlich platzieren darf,
dazu muss der Handelschef der Bank seinen
Segen geben. Im Investmentbanking
entfällt die Kundenberatung.
Macht man sich nicht verdächtig,
wenn man immer mit einem Pager
herumläuft?
Hoeneß hat ja offensichtlich auch bei einer
Bank in Deutschland ähnliche Geschäfte
betrieben, die dem Finanzamt bekannt
waren. Er konnte sich also sicher fühlen.
Im Prozess gab Uli Hoeneß an, sich bei
allen Geschäften voll auf seinen Vontobel-
Kontakt Jürg H. verlassen zu haben.
Der Händler H. sei ein enger Freund,
dem er blind vertraue. Viele Spekulationen
seien automatisch von der Bank
abgewickelt worden. Er selbst habe
oft gar nicht gewusst, was auf seinem
Konto geschah. Ist das glaubhaft?
Für mich nicht. Das Geschäft läuft Execution only – die Devisenhändler führen Aufträge nur aus. Herr Hoeneß
hat sich selten beraten lassen, soweit ich
weiß. Bisweilen hat er alle paar Minuten
angerufen und eine Order abgegeben.
Das hat er selbst entschieden. Hoeneß
kannte seinen Kontostand und auch die
Art seiner Geschäfte.
Auf welche Währungen hat er gesetzt?
Das ging querbeet: Dollar gegen Franken,
Euro gegen Dollar, Franken gegen Rand.
Oft wurden Orders im Volumen von
20 oder 30 Millionen Euro platziert.
Devisenhandel ist ein Geschäft mit niedrigen
Margen. Da muss man mit hohen
Summen agieren, sonst bringt das nichts.
Hat Hoeneß seine Spekulationen mit
eigenem Geld finanziert oder auf Kredit?
Beides. Bei Termingeschäften, die über
einen längeren Zeitraum laufen, muss
nicht die gesamte Handelssumme als
Sicherheit hinterlegt werden, sondern
nur ein Teil. Das Volumen des Deals wird
also durch einen Kredit vergrößert.
Wenn abzusehen ist, dass eine Kursschwankung
nicht mehr durch Vermögen
gedeckt ist, wird das Geschäft durch
die Bank aufgelöst, und der Kunde muss
die Verluste tragen. Alle kurzfristigen
Spekulationen hingegen müssen voll
gedeckt sein. Die Bank erlaubt keine
Tagesspekulationen auf Kredit.
Welche Geschäfte machte Hoeneß
außerdem?
Er besaß ein großes Wertpapierdepot. Allein
seine Aktien der Deutschen Telekom
hatten zeitweise einen Wert von rund 40
Millionen Euro. Mit Aktien betrieb Hoeneß
zudem in großem Stil Leerverkäufe.
Leerverkäufe sind Wertpapiergeschäfte, bei
denen sich Verkäufer und Käufer verpflichten,
ein Papier zu einem festgelegten Kurs
und an einem bestimmten Termin zu
handeln. Der Verkäufer besitzt diese Papiere
nicht tatsächlich. Steigt die Aktie innerhalb
der Frist über den vereinbarten Wert, macht
der Käufer Profit, weil er das Papier nun
günstiger beziehen kann als am Markt.
Fällt der Kurs, liegt der Gewinn beim
Verkäufer. Meist kommt es nicht zu einem
wirklichen Aktienhandel, sondern nur
zum Ausgleich der Kursdifferenz.
Kam Ulrich Hoeneß persönlich in
die Bank?
Er war zeitweise häufiger da – vielleicht
zwei- bis dreimal im Jahr.
In Begleitung seiner Frau?
Nein, er kam allein. Wenn er aus offiziellem
Anlass in Zürich war, etwa wegen
eines Freundschaftsspiels des FC Bayern
in der Schweiz, fanden die Treffen mit seinem Chefhändler auch mal im Hotel Hyatt gleich nebenan statt. Aber meist
kam Hoeneß direkt in die Bank. Er konnte
da auch ein Apartment benutzen.
Vontobel dementiert, "Kundenapartments"
vorzuhalten. Zu der Wohnung hatte der stern
sie am 14. Januar 2013 erstmals befragt und
widersprüchliche Angaben erhalten. Damals
bestritt die Bank zunächst die Existenz des
Apartments, räumte dann aber ein, tatsächlich
eine Wohnung in ihrem Bürokomplex
zu besitzen. Sie werde jedoch ausschließlich
Mitarbeitern zur Verfügung gestellt.
Die Vontobel ist in Zürich auf mehrere
Gebäude verteilt. Das Apartment befindet
sich in der obersten Etage des Investment-
Banking an der Tödistraße – dort, wo auch
der Premiumkunde Hoeneß umsorgt wurde.
Nach Angaben der Vontobel erforderte eine
baurechtliche Auflage der Stadt, in dem
Bürogebäude auch Wohnraumnutzung zu
ermöglichen.
Wurden in der Bank besondere Vorkehrungen
getroffen, damit der prominente
Kunde bei seinen Besuchen unerkannt
blieb?
Bis 2007, als die ersten Steuer-CDs kursierten,
gab es keine besondere Tarnung.
Viele in der Bank wussten, dass Hoeneß
Kunde ist. Da wurde intern schon gewitzelt,
wenn Hoeneß da gewesen war:
Es gibt wieder Würstchen. Er hat wohl
tatsächlich mal einen Korb mit Würsten
mitgebracht. Es waren auch schon
Dutzende Mitarbeiter von Vontobel bei
Bayern-Spielen.
Hoeneß lud Bankmitarbeiter zu
Spielen seines Klubs ein?
Eingeladen hat er sie in der Regel nicht,
die haben oft bezahlt. Die Eintrittskarten
wurden über seinen Devisenhändler organisiert,
der hatte ja den direkten Draht.
Im Stadion haben sich die Vontobel-Leute
natürlich diskret verhalten. Da gibt man
sich besser nicht als Banker zu erkennen.
Sprach sich herum, welche Geschäfte
Hoeneß machte?
Lange Zeit konnte jedes Nummernkonto
im internen Banksystem eingesehen
werden. Wer die Nummer kannte und
eine Ahnung hatte, wer dahintersteckt,
wusste Bescheid. Intern haben viele
Schweizer Banken erst dichtgemacht,
als die Daten-CDs in Umlauf gerieten.
Wo sind die Millionen von 4028BEA
geblieben?
Ein Teil ging wohl bei Spekulationsgeschäften
verloren. Über die Jahre wurden
aber auch immer wieder sehr hohe Beträge
auf Konten bei anderen Schweizer
Banken transferiert, etwa bei Credit
Suisse und Julius Bär. Bis 2010 wurde das
Vermögen größtenteils abgezogen, und es
blieb nur noch ein niedriger zweistelliger
Millionenbetrag. Die Handelstätigkeit
auf dem Konto 4028BEA wurde deutlich
reduziert.
Wer steckt hinter diesen Konten bei
den anderen Banken?
Namen sind nicht ersichtlich.
Es handelt sich um Nummernkonten.
Wissen Sie, woher das Geld auf
4028BEA ursprünglich kam?
Nein. Über viele Jahre lagen hohe Summen
auf dem Konto. Die Quelle der
Gelder wurde nicht überprüft. In der
Vermögensverwaltung werden Fragen
nach der Herkunft des Geldes gestellt.
Im Investmentbanking nicht.
Hoeneß erklärte in seinem Strafprozess in
München, außer der Kontoverbindung bei
Vontobel und einer weiteren bei der Graubündner
Kantonalbank, die den deutschen
Steuerbehörden schon zuvor bekannt gewesen
sei, habe er keine weiteren Konten in der
Schweiz unterhalten. Gegenüber dem stern
dementierte sein Presseanwalt schon früher:
Es seien keine Gelder von 4028BEA auf
andere Konten abgeflossen. Auch in dem
Presseverfahren gegen den stern in Hamburg
griff Hoeneß Behauptungen zum Transfer
von Vermögen an.
War Hoeneß der einzige Prominente
des FC Bayern, der sein Geld bei der
Vontobel hatte?
Auch Spieler des FC Bayern hatten
ein Konto bei der Bank. Da geht es
aber um überschaubare Summen im
niedrigen Millionenbereich.
Hoeneß, das war eine völlig andere
Nummer.