Forschung Gläserner Fußballer kann kommen

Von Jörg Runde, Köln
Die Bundesligaklubs verwissenschaftlichen ihr Training. Die Leistungsdiagnostik für Profikicker stößt in neue Dimensionen vor. Dem Fortschritt verweigert sich nur einer: Felix Magath.

Beim Anblick der Fußballer staunten die Studenten der Sporthochschule in Köln nicht schlecht. Stars wie Patrick Helmes, René Adler oder Simon Rolfes schlenderten über den Campus. Die Profis von Bayer Leverkusen waren dem Ruf ihres Konditionstrainers Holger Broich gefolgt und haben sich vor dem momentanen Trainingslager im deutschen Forschungszentrum für Leistungssport "Momentum" testen lassen. Da wurde auf dem Fahrradergometer geradelt, an Kraftmaschinen gedrückt und auf Sprungplatten gehüpft. Es flossen Blut und auch Urin. "Wir haben viele verschiedene Körperwerte gemessen", sagt Broich, der sich von der fünfstündigen Testreihe Antworten auf viele Fragen erhofft.

Der Check belegt die Verwissenschaftlichung der Leistungsdiagnose bei Fußballern. Wie gut ist die Sauerstoffaufnahme? Wie funktioniert der Stoffwechsel? Welche Defizite bringt die Kraftdiagnostik zum Vorschein? Welche Fehlhaltungen haben sich eingeschlichen? Broich sagt: "Unser Ziel ist der gläserne Athlet. Ich meine das im positiven Sinne. Je mehr wir über einen Spieler wissen, umso besser ist es für ihn und seine Leistung."

Grundlage für Trainingssteuerung

In Leverkusen sind die Profis daran gewöhnt. Dort gibt es Tests auch während der Saison. Zu den täglich aufgenommenen Parametern gehören Gewicht, Körpertemperatur, Herzfrequenz. Wöchentlich werden mehrmals Kreatinkinase (Enzym für die Diagnose von Schädigungen der Herz- und Skelettmuskulatur) und Harnstoff ermittelt - dazu und permanent die Ausdauer- und Kraftleistungsfähigkeit. Alle Informationen werden zusammengetragen und ausgewertet - um dann als Grundlage für die Trainingssteuerung zu dienen. Bayer-Trainer Bruno Labbadia hält viel davon: "Die Interpretation der Daten hilft mir weiter, und ich kann die Belastung individuell steuern." Der Coach erkennt, dass etwa Helmes reduzierter trainieren muss oder dass Rolfes noch Reserven hat.

Auch Schalke steuert sein individuelles Training. Verantwortlich ist Jürgen Freiwald von der Uni Wuppertal. "Mit den üblichen Laktatmessungen können wir zwar bestimmen, wie schnell ein Fußballer einen Marathon laufen könnte, aber das ist für seine Leistungsfähigkeit auf dem Platz eigentlich nicht interessant", sagt der Sportwissenschaftler. "Wir setzen auf fußballspezifische Parameter."

Belastung steigt

Grund dafür ist die Veränderung des Fußballs. "Die Aktionen finden auf immer kleinerem Raum statt, dafür mit viel höheren Belastungen als vor 15 Jahren", sagt Freiwald. Mehr als 60 Saisonspiele absolvierte Nationalspieler Rolfes. Bis zu zwölf Kilometer legt er während eines Spiels zurück - fast doppelt so viel wie noch vor zehn Jahren. Und schneller geworden ist das Spiel auch noch, weswegen sich die Anzahl der Sprints von rund 110 auf 160 pro Partie erhöht hat. "Auf höchstem Niveau geht es darum, die letzten fünf bis sechs Prozent aus den Spielern herauszukitzeln. Und genau deshalb wird so intensiv an einer individuellen Trainingssteuerung gearbeitet", erklärt Freiwald und fügt an: "Die Effizienz des Trainings steigt dadurch enorm."

Auch andere Klubs gehen neue Wege. Bei Hertha BSC radeln die Spieler häufig in einer Höhenkammer, um die für die Ausdauer wichtigen roten Blutkörperchen zu vermehren. Die EM 2008 habe aufgezeigt, dass die Unterschiede zwischen den Mannschaften zunehmend geringer würden, sagt Manager Dieter Hoeneß: "In der Bundesliga ist es genauso. Viele Spiele stehen auf der Kippe, werden nur durch ein spätes Tor entschieden."

Magath verweigert sich

Als Vorreiter dieser systematischen Verbesserung gilt der heutige Coach des FC Bayern, wenngleich Broich einschränkt: "Was Klinsmann auf dem Weg zur WM 2006 machte, war für die Fachleute nichts Neues. Wichtig ist, dass durch die Darstellung in der Öffentlichkeit der Stellenwert der Leistungsdiagnostik gestiegen ist."

Dennoch gibt es Trainer, die sich diesen Erkenntnissen verschließen. Wolfsburgs Felix Magath verzichtet sogar auf den Laktattest. "In den 70er-Jahren beruhte die Trainingsgestaltung hauptsächlich auf langjährigen Erfahrungswerten", sagt er. "Heutzutage werden neue Methoden öffentlichkeitswirksam präsentiert, wissenschaftlich begründet und verkauft. Dabei hat sich doch der Spieler in den letzten 40 Jahren vom Körperbau nicht verändert. Verändert hat sich nur das Umfeld."

FTD

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