Christian Zaschke (SZ) schreibt über den AC Milan, Günstling italienischer Sportjustiz: "Einerseits: Der Klub stellte die beste Mannschaft der Champions-League-Saison, die bisweilen berauschenden Fußball spielte, technisch, taktisch, kämpferisch nahezu perfekt. Andererseits: Was hatte diese Mannschaft in der Champions League zu suchen? (…) Ist diese Mannschaft ein würdiger Sieger?
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Wer an den Zauberer Kaká denkt, sagt ja; wer an den Strippenzieher Berlusconi denkt, sagt nein. Am AC Mailand zeigt sich beispielhaft, dass es nicht mehr möglich ist, den Sport isoliert von den ihn umgebenden (und treibenden) Kräften zu betrachten." Michael Horeni (FAZ) zieht eine Kopie vom letzten Sommer: "Die Rolle des von Skandalen unterschätzten Außenseiters, die Italien schon den WM-Titel einbrachte, haben Maldini, Nesta, Gattuso und Co. daraufhin noch einmal mit ganzem Herzen ausgelebt."
Rechthaberischer Sieg
Flurin Clalüna (Neue Zürcher Zeitung) vermisst Esprit und Witz: "Es war eine Ideologie-Kontroverse, ja beinahe ein Glaubenskrieg um die Schönheit des Fußballs, der Liverpool und Milan trennte - Konterfußball gegen Kurzpass, Kontrollbedürfnis gegen künstlerische Freiheit. Die Kluft bestand in der Theorie. Doch endete der 'Showdown' mit einer ketzerischen Feststellung: Anders als vor zwei Jahren waren die Systeme diesmal nicht kompatibel, sie sorgten nicht für Unterhaltung, sondern wurden von Milans Pragmatismus erstickt. Liverpool war in einem insgesamt enttäuschenden Spiel eigentlich die etwas bessere Mannschaft. Am Ende blieb ein rechthaberisches 2:1, ein Sieg ohne Glanz. Für den Sieg genügte klassischer italienischer Fußball, fast ohne jede Inspiration, ganz anders als im Halbfinal-Vergleich gegen Manchester United."
Im Abseits geboren
Raphael Honigstein (Stuttgarter Zeitung) lenkt das Licht auf den Schützen zweier Tore: "Die Erkenntnis ist nicht neu, doch das an Höhepunkten arme Match machte es noch einmal deutlich: Je ausgefeilter die Konzepte werden, desto größer ist der Bedarf an Spielern, die diese überwinden. Inzaghi überwand Gegner und taktische Zwänge und holte so Milans siebten Europapokal. Ein 33-Jähriger gegen die Maschine: eine äußerst romantische und im speziellen Fall von Pippo, dem zynischsten Spieler aller Zeiten, ziemlich absurde Vorstellung." Birgit Schönau (SZ) wirbt für ihn: "Über ihn sagte einst Sir Alex Ferguson, er sei in der Abseitsposition auf die Welt gekommen. Das war vielleicht als Kompliment gemeint. Filippo Inzaghi hat die unsichtbare Abseitslinie verinnerlicht wie kein anderer Fußballer. Er spielt mit ihr, er weiß sie auf den Zentimeter genau einzuschätzen und auszuloten. Die Abseitsregel, das vielleicht wichtigste Dogma der Ersatzreligion Fußball, vermag dieser Filippo Inzaghi aber auch zu dehnen wie einen Gummiparagraphen. Inzaghi, der Gesetzesdehner, der Groß-Opportunist, der Abstauber. Dieses Match konnte Milan nur mit ihm gewinnen. (…) Inzaghi wird im Ausland gefürchtet, vor allem aber verachtet. Im Abseits geboren. Schwalbenkönig. Wie kein anderer verkörpert Inzaghi jene Italien-Klischees, die im Fußball noch gehegt werden."
Milan war schlagbar
Für Sam Wallace (Independent) war es die Umkehrung des Finales von 2005: "Die bessere Mannschaft hat wieder verloren, nur diesmal war es Liverpool: In Istanbul vor zwei Jahren wollte sich Rafael Benitez’ Team einfach nicht damit abfinden, verloren zu haben; am Mittwoch schienen sie nie daran zu glauben, gewinnen zu können. In Liverpool hält man sich gerne für eine Mannschaft, die Geschichte schreibt. Doch die Geschichte zog nun einfach so an ihnen vorbei. Carlo Ancelottis Mannschaft hat ohne Zweifel die meiste Klasse in Europa, aber so schlecht wie gegen Liverpool sieht man sie selten. Benitez’ Männer sind meisterhaft darin, den Gegner einzuengen, ihn zu stören. Doch als sie sie dazu aufgefordert waren, Milan zu überrumpeln, bekamen sie nichts zustande. Für Milan war es die perfekte Revanche: Nach dem Finale von Istanbul, das sie nie hätten verlieren dürfen, gab es gestern das Finale von Athen, das sie eigentlich nicht hätten gewinnen dürfen.” Für Tony Cascarino (Times) mangelte es Liverpool an Fortune, Mut und dem "Laternenpfahl" Crouch: "Man kann sich sein Glück erarbeiten, und genau daran ist Liverpool gescheitert. Man hatte einfach nicht genug Leute im gegnerischen Strafraum, um aus der eigenen Dominanz Kapital zu schlagen und vielleicht einen Abpraller zu erwischen, einen Zufallsball. Der Grund dafür ist, dass Benitez Peter Crouch zunächst draußen ließ. Milan war schlagbar."