Vom Meistertitel träumen viele Fußballvereine in Deutschland, doch kein Klub hat zu diesem Titel ein solch sehnsüchtig-schmerzhaftes Verhältnis wie der FC Schalke 04. In den vergangenen Jahrzehnten waren die Schalker manchmal ganz nah dran, dann wieder weit weg von der Schale, zwischendurch sogar in den Niederungen der 2. Liga gefangen. "Ein Leben lang keine Schale in der Hand", singen Fans anderer Vereine – vor allem natürlich von Borussia Dortmund – über die Königsblauen. Und tatsächlich ist es fast ein ganzes Leben her, dass die Schalker zuletzt den Titel gewannen – 65 Jahre nämlich.
Am 18. Mai 1958 trifft die Mannschaft von Schalke 04 im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft auf den Hamburger SV. Damals gibt es noch zwei Vorrundengruppen, für die sich die Spitzenteams der jeweiligen Oberligen qualifizieren. Die Gruppensieger spielen den Titel in einem Finale aus. Schalke hat die Gruppe bereits klar dominiert. Alle drei Spiele haben die Knappen gewonnen, das Torverhältnis von 16:1 (mehr als fünf Tore im Durchschnitt pro Spiel) spricht ebenfalls Bände.
Auch Uwe Seeler konnte den Sieg von Schalke 04 nicht verhindern
81.000 Zuschauer sehen das Endspiel im Niedersachsenstadion in Hannover. Von Beginn an spielt sich das Schalker Team in einen Rausch, allen voran Kapitän und Torjäger Berni Klodt. "Es gibt wohl wenige Fußballer, sogar in Europa, die so ungewöhnlich variantenreich alle Register des Fußballs zu ziehen vermögen", schwärmt der "Kicker". Der Weltmeister von 1954 trifft schon nach fünf Minuten mit einem Kopfball zum 1:0, nach einer halben Stunde schießt er das 2:0. In der Schlussphase macht Manfred Kreuz mit dem 3:0 alles klar, vorbereitet natürlich von Klodt. Der HSV mit dem jungen Uwe Seeler im Angriff hat dem wenig entgegenzusetzen.
In Gelsenkirchen ist der Jubel riesig, als die siegreiche Elf am nächsten Tag mit dem Zug aus dem Norden zurückkehrt. 100.000 begeisterte Fans erwarten die Mannschaft. Die Spieler genießen das Bad in der Menge, nur Klodt zieht es schnell nach Hause – seine Frau liegt in den Wehen. Ganz überraschend kam der Titel nicht: Schalke 04 gehörte schon in den Jahren zuvor zu den besseren Teams in Deutschland. Und der Verein kann aus einer erfolgreichen Historie schöpfen: Zwischen 1934 und 1942, zu Zeiten des legendären Schalker Kreisels um Ernst Kuzorra und Fritz Szepan, waren die Königsblauen der dominierende Klub in Deutschland und gewannen sechs Meistertitel.
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Und auch 1958 läuft vieles richtig auf Schalke. Weltmeister Klodt, im Hauptberuf Gastwirt, ist einer der wenigen Routiniers im Team. Die vielen jungen Talente können sich an ihm orientieren. Trainer Edi Frühwirth ist nicht nur ein Taktikfuchs, sondern gibt sich in einer Zeit, in der viele Trainer auf knallharte Disziplin setzen, als Vaterfigur. "Der konnte mit jungen Spielern umgehen, der war Psychologe", erinnert sich Stürmer Willi Koslowski später. Nach schwächeren Spielen habe der Österreicher die Fußballer auch mal in den Arm genommen und getröstet. "So hat der uns junge Spieler stark gemacht." Eine Herangehensweise, die ganz offensichtlich Früchte trägt.
Bundesliga-Skandal, "Meister der Herzen" – und Absturz in die 2. Liga
Doch nach 1958 kann der Klub nicht mehr an diese Erfolge anknüpfen. Das Meisterschaftsfinale erreichte der FC Schalke 04 nur noch einmal, in der 1963 neugegründeten Bundesliga warten die Königsblauen bis heute auf die Meisterschale. Anfang der Siebziger ist Schalke tief in den Bundesliga-Skandal verwickelt, einige Spieler haben Bestechungsgelder angenommen. Acht Profis landen vor Gericht und werden zu hohen Geldstrafen verurteilt.

1981 der vorläufige sportliche Tiefpunkt: Schalke steigt erstmals aus der Bundesliga ab. In den Neunzigern aber gelingt unter Manager-Legende Rudi Assauer der Aufschwung, 1997 holen die "Eurofighter" den Uefa-Pokal nach Schalke. 2001 verpassen die Königsblauen ihre erste Bundesliga-Meisterschaft sogar so knapp wie kein anderer Klub: Vier Minuten fehlen, weil der FC Bayern in der Nachspielzeit doch noch das entscheidende Tor schießt. Und Schalke ist wieder nur "Meister der Herzen".
Zu mehr reicht es für den Traditionsklub erst einmal nicht mehr. Sportlich sind harte Zeiten auf Schalke angebrochen, 2021 steigen die Knappen nach einer desolaten Saison zum vierten Mal ab. Und auch wenn ihnen die direkte Rückkehr ins Oberhaus gelingt – auf die erste Meisterschaft nach 1958 müssen die Fans auf Schalke wohl noch etwas länger warten.
Quellen: Schalke 04 / WDR / Sport1