Klinsmann-Appell "Ruck durch Fußball-Deutschland"

Er hat der deutschen Fußballnation ihr Selbstbewusstsein zurückgegeben: Nun hat Jürgen Klinsmann in einem Interview erneut radikal neue Trainingsmethoden im Land gefordert - sonst drohe der weitere Niedergang der Liga.

Natürlich herrscht Optimismus im deutschen Lager zwei Tage vor dem großen Duell gegen den zweifachen Weltmeister Argentinien. "Es ist leider ihr Pech, dass sie gegen uns spielen", wiederholte Miroslav Klose gleich zweimal auf der Berliner Pressekonferenz am Mittwoch. Demonstration eines Selbstbewustseins, an das sich die Fußballnation in diesen Tagen schon fast gewöhnt hat. Vor allem eines Selbstbewusstseins, das nicht antrainiert, sondern glaubhaft wirkt.

Kaum zu glauben, wie groß vor einigen Monaten noch das Jammern war: über die schlechte Qualität der Bundesliga, über das bescheidende Abschneiden der Klubs in der Champions League; wie groß der Spott über die Nationalspieler, die im Verein nur auf der Bank sitzen. Alles vergessen: Der deutsche Fußball gilt wieder was - das sieht nicht nur DFB-Präsident Mayer-Vorfelder so. Und wer hat dies Wunder vollbracht? Ein Trainer-Novize - Jürgen Klinsmann, der mit seiner offensiven Spielphilosphie und seinem Powerfussball made in USA weltweit Anerkennung findet.

Internationale Lehrzeit

"Er weiß genau, was er will", schwärmt Luis Menotti über seinen ehemaligen Schützling bei Sampdoria Genua. Er sprach ihm fußballtheoretisch gar den Rang eines "Revolutionärs" zu. Der argentinische Trainerguru hatte noch vor dem Achtelfinale gegen Schweden mit ihm über die neue Philosophie der deutschen Mannschaft diskutiert. Auf italienisch. Seit Jahren steht er auch mit dem brasilianischen Nationaltrainer Parreira in Kontakt - weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit.

Harsche Kritik: "Ruck durch Deutschland geben

Was er dabei gelernt hat, will er jetzt nicht nur auf dem Spielfeld zeigen lassen, sondern auch seinen Trainerkollegen aus der Bundesliga ans Herz legen. Mit dem Rückenwind seiner Erfolge übte er in einem Interview mit der "Zeit" heftig Kritik an den rückständigen Trainingsmethoden. "Wenn wir international den Anschluss nicht auf Jahre verpassen wollen, muss ein gewaltiger Ruck durch Fußballdeutschland gehen", sagte er. Seine Trainingsarbeit beim DFB sei einfach internationaler Standard, das sei der Fußball von FC Barcelona, von Arsenal London, von Ajax Amsterdam. "Zwischen den deutschen Topteams und diesen Mannschaften liegen Welten", konstatierte er nüchtern. Klinsmann nannte es ein Kompliment für "unsere Arbeit, dass deutsche Spieler jetzt wieder Angebote von internationalen Vereinen erhalten". Jeder sehe bei dieser WM, dass deutsche Spieler schnellen Fußball praktizieren könnten, mit nur ein oder zwei Ballkontakten. "Das alles können deutsche Fußballer! Wenn sie richtig geführt werden und richtig trainieren."

Erfolg zählt

Klinsmann ist aber Realist genug: Ob sich seine offensive Spielphilosophie letztlich durchsetze, liege auch am Ergebnis. "Wenn wir rausfliegen würden gegen Argentinien, ginge die Diskussion wieder los: Wäre es nicht besser gewesen, abzuwarten? Erstmal hinten dichtzumachen? Auf Konter zu lauern? Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir weiterkommen," sagte er der renommierten Wochenzeitung. Am besten bis zum Endspiel. Hier würde ihm wohl keiner widersprechen. Nicht einmal seine Kollegen aus der Bundesliga.

AP
Christoph Marx mit DPA/AP

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