Auf den Tag genau vier Jahre ist es her, als sich die deutsche Nationalmannschaft und Argentinien bei der Fußball-WM in Viertelfinale im Berliner Olympiastadion trafen. Die Emotionen kochten hoch in dieser brisanten Partie, die spielerisch so sehr enttäuscht hatte und die dann auf den Höhepunkt des Elfmeterschießens zusteuerte. Doch obwohl es so spannend zuging bis zum deutschen 5:3-Erfolg, hätte niemand eine solche Eskalation erwartet. Mitten in den Jubel der DFB-Auswahl hinein trat Argentiniens Auswechselspieler Leandro Cufre dem deutschen Innenverteidiger Per Mertesacker in den Unterleib. Es war der Startschuss für die spektakulärste Massenkeilerei in der WM-Geschichte.
Vier Jahre später treffen beide Mannschaften erneut aufeinander. Wieder bei einer WM. Wieder im Viertelfinale. Bastian Schweinsteiger, von Bundestrainer selbst zum "emotionalen Leader" seiner Truppe auserkoren, ist drei Tage vor der Partie am Samstag in Durban seiner Rolle nun auch abseits des Platzes gerecht geworden. Im überfüllten Pressekonferenzraum im deutschen Quartier, dem Hotel Grande Velmore nahe Pretoria, lederte Schweinsteiger zum Erstaunen aller los - gegen den nächsten Gegner. Man war auch deshalb so erstaunt, weil der Bayern-Profi sich in diesen WM-Tagen in der Pressearbeit bis dato eher zurückhaltend präsentiert hatte. In der Mixed-Zone nach den Spielen war er für die Reporter fast nie zu greifen. Aber Spiele gegen Argentinien sind eben besondere Spiele. Da muss man schon mal wachrütteln.
Das Spiel in Berlin ist in den Köpfen
"Das Spiel in Berlin ist mir noch gut in Erinnerung - aber vor allem wegen der Handgreiflichkeiten der Argentinier nach dem Schlusspfiff. Das steckt noch sehr in unseren Köpfen drin." Soweit so gut. Kann man verstehen. Aber Schweinsteiger blickte ja nicht nur in die Vergangenheit, er blickte vor allem nach vorn. "Wir dürfen uns von den Provokationen nicht anstecken lassen." Man konnte den Eindruck gewinnen, dass für den 25-Jährigen feststeht, dass die Startruppe von Trainer Diego Maradona vor allem eine Mannschaft voller Spitzbuben ist. "Ich hoffe auf einen Schiedsrichter, der es merkt, wenn wieder provoziert wird. Und der dafür ein Gefühl bekommt."
Einmal in Rage legte Schweinsteiger nach: "Das geht schon vor dem Spiel los. Da versuchen sie bereits, auf den Schiedsrichter einzuwirken. Das gehört sich nicht. Das ist respektlos, aber die Argentinier sind eben so." Auch im aktuellen stern lässt der Führungsspieler kein gutes Haar an den Südamerikanischen Ballkünstlern um Lionel Messi und Carlos Tevez: "Argentinien ist sicher nicht eine der fairsten Mannschaften. Sie fordern gelbe Karten, wenn sie gefoult werden, und wenn sie selbst Foul spielen, dann beschweren sie sich auch noch beim Schiedsrichter, weil der gefoulte Spieler am Boden aus ihrer Sicht doch nur simuliert."
Die Angst vor gelben Karten
Aber damit nicht genug: Sogar die Fans der "Albiceleste" bekamen am Mittwochnachmittag von Schweinsteiger ihr Fett weg. Niemand wusste, woher der defensive Mittelfeldspieler diese Info hatte, aber er hatte offenbar vom Fernseher aus beobachtet, "dass die argentinischen Fans in den Stadien auch wenn sie keine passenden Tickets haben, immer zusammen sitzen wollen. Die anderen Zuschauer müssen dann stehen". Das zeige "ihren Charakter und ihre Mentalität".
Was Schweinsteiger mit seiner überraschenden Attacke gegen den WM-Viertelfinal-Gegner bezwecken will, ist klar: die Sensibilisierung des Schiedsrichters für mögliche Provokationen der Argentinier - auch und vor allem weil im deutschen Lager die Angst vor der gelben Gefahr umgeht. Neben Bastian Schweinsteiger selbst wären auch Arne Friedrich, Kapitän Philipp Lahm, Sami Khedira, Mesut Özil, Cacau und Thomas Müller im Falle eines Weiterkommens gegen die Südamerikaner bei einer weiteren Gelben Karte im Halbfinale gesperrt.
Schweinsteigers deftige Aussagen werden sicher nicht überhört werden. Auch der Schiedsrichter, der die Partie am Samstag leiten wird, wird sicherlich davon erfahren. Ob die Aktion des Nationalmannschafts-Führungsspielers wirklich klug war, wird sich noch zeigen. Die Argentinier ließen sich zunächst einmal nicht locken. "Er sollte an sich denken, wir denken an uns", antwortete Mittelfeldspieler Javier Pastore knapp auf eine Journalistenfrage.
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