Schon mal einem Münchener zugehört, der von Olympia 1972 erzählt? Der damals dabei war, die Spiele miterlebt hat? Das verklärte Leuchten in seinen Augen gesehen?
Schon mal davon gehört, dass Barcelona erst durch die Sommerspiele 1992 zu der sexy Weltmetropole wurde, die es heute ist?
Schon mal über Sydney nachgedacht? Wie sehr das Bild dieser Stadt von der Austragung im Jahr 2000 geprägt ist? Von der bunten, fröhlichen, mitreißenden Party, die heute zu den legendärsten olympischen Spielen überhaupt gezählt wird?
Nein? Dann gehören Sie womöglich auch zu den 51,6 Prozent der Hamburger, die sich gegen Olympia in ihrer Stadt ausgesprochen haben - oder sie hätten genau so abgestimmt.
Nichts ist Deutschen fremder als ein "Jetzt erst recht"
Das Ergebnis kommt nicht überraschend, es deutete sich in Hamburg schon seit Wochen an: Gegen Olympia zu sein, das war so angesagt wie Burger-Restaurants oder das neue Lied von Adele. Dazu die Skandale von Fifa und DFB, der Terror von Paris, die Flüchtlingsdebatte - es war einfach alles zu viel. Die Deutschen sind eben gerne ängstlich, sie lassen sich leicht verrückt machen. Nichts ist ihnen fremder als eine Jetzt-erst-recht-Mentalität.
Stattdessen ergeben sie sich in eine mutlose Grundhaltung nach dem Motto "Ich weiß zwar nicht, was du vorhast, aber es ist auf jeden Fall eine schlechte Idee", frei nach dem Bonmot des verstorbenen Helmut Schmidt: "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen."
Noch heute feiert sich Deutschland gerne für das "Sommermärchen" 2006, obwohl dessen Gelingen in erster Linie den gutgelaunten Gästen aus aller Welt und dem Wetter zu verdanken war. Dass die Fußball-WM vor knapp zehn Jahren die Mentalität in diesem Land nicht im Geringsten verändert hat, davon zeugt das Hamburger Referendum. Mit der Aussicht auf ein bisschen Spaß ist in Deutschland nichts zu holen, im Gegenteil: Sie erscheint dem Volk eher wie eine Drohung. Da weiß es nicht, was es zu erwarten hat. Olympia vor der eigenen Haustür? Dabei sein ist alles? - Och nö, lass mal, "Tatort" geht gleich los.
Eine sportpolitische Kapitulation
Und selbst bei begründeter Skepsis stellt sich die moralische Frage: Hätten die Deutschen die Umstände - die Kosten und die Bestechung - gekannt, mit der die WM 2006 ins Land geholt wurde, hätten sie dann auch auf die Austragung und damit auf die Party ihres Lebens verzichtet? Die WM hätte schließlich trotzdem stattgefunden. Bloß woanders.
Auch sportpolitisch ist das Votum eine Kapitulation. Wir werden uns an Großereignisse in Russland, der Wüste und überall dort gewöhnen müssen, wo das Geld am skrupellosesten über den Tisch geschoben wird. Weil wir schon vorher aufgeben, weil wir lieber gar nicht erst versuchen wollen, es besser zu machen. In den letzten Wochen wurde ständig gefragt: "Und wer soll das bezahlen?" Mit solchen Fragen sind die Deutschen zu beeindrucken.
Natürlich wäre auch die nächste Bewerbungsphase teuer geworden - aber fragen Sie mal in Barcelona oder Sydney nach, ob sich dort noch jemand an irgendeine Bewerbungsphase erinnert. Ja, es stimmt, das Hamburger Konzept war das teuerste, weil es realistischer durchdacht war als jenes aus Los Angeles oder Rom. Mit anderen Worten: Es war genau der richtige Ansatz, um den verbrecherischen Austragungsmachenschaften der Sportwelt eine seriöse Alternative entgegenzusetzen.
Der Horizont endet kurz hinter dem Gartenzaun
Wer einen genauen Blick auf die Hamburger Pläne geworfen hat, wusste schon vor der Abstimmung: Die Spiele wären eine riesige Chance gewesen, aus Stadtplanungsgründen, aus Imagegründen. Sie wären auch eine riesige Chance für den kriselnden Breitensport in Deutschland gewesen. Besonders schade ist es aber um die Signalwirkung in Zeiten terroristischer Bedrohung. Die Hamburger haben es versäumt, ein Zeichen zu setzen, indem sie eine Einladung an die Welt aussprechen.
Mit dem "Nein" zu Olympia zeigen die vermeintlich vorausschauenden Gegner, dass ihr Horizont kurz hinter dem eigenen Gartenzaun aufhört. Natürlich hätte ein "Ja" nicht bedeutet, dass die Spiele anschließend auch an die Elbe gegangen wären. Garantiert ist in diesen unsicheren Zeiten nämlich wenig. Aber wer nicht lebt, wird nichts erleben.
Hamburg sei das Tor zur Welt, heißt es, aber die Bürger haben dieses Tor verriegelt und den Schlüssel weggeworfen. Die traurigste Erkenntnis daran ist nicht, dass sie den Schlüssel womöglich nicht wiederfinden werden. Sondern dass sie ihn überhaupt nicht wiederfinden wollen.