Boxen Boxing Day - Die Streit um den Pacquiao-Kampf

Der Kampf zwischen Manny Pacquiao und Juan Manuel Marquez war denkbar knapp, der Sieg von Pacquiao äußerst umstritten. Wir haben den Geschäftsführer von Arena Sports-Promotion gefragt, wie er den Kampf gesehen hat und uns ein Pro und Contra mit dem Boxexperten erlaubt.

In einem Pro und Contra zum knappen Sieg von Manny Pacquiao über Juan Manuel Marquez wollen wir den spannenden und knappen Kampf vom Wochenende noch einmal Revue passieren lassen.

Viele Experten sind der Meinung, dass der Sieg des Pound-for-Pound-Königs einem Betrug gleichkommt. Wir haben einen Experten gefunden, der anderer Meinung ist.

Schmerzende Stiche statt Siegesfeiern

Kurz nach dem Kampf lag Manny Pacquiao auf dem Rücken auf einem Holztisch in der Umkleidekabine. Sein Gesicht war großflächig mit Taschentüchern bedenkt, bis auf eine Stelle, rund um sein rechtes Auge. Seine Frau hielt seine Hand, er kniff die Augen zusammen während er mit 28 Stichen genäht wurde. Draußen in der Halle buhten die Zuschauer, warfen leere Getränkebecher in Richtung Kampfgericht. Hätte die Menge entscheiden dürfen wie bei den Gladiatorenkämpfen im alten Rom, dann hätten sie den Daumen über Manny Pacquiao gesenkt.

Im Boxsport entscheidet allerdings nicht das Publikum sondern das Kampfgericht. Das macht es oft nicht besser, denn Punktrichter sind meist nicht so unabhängig, wie sie sein sollten. Das Punkgericht von Samstag entschied per Mehrheitsentscheid auf Sieg für Manny Pacquiao und das gegen das laut protestierende Publikum und gegen die Meinung vieler Experten, die von "upset“ und "robbery“ sprachen.

"Seid nicht überrascht" - waren wir aber!

Die Neigung, nach Betrug zu schreien, sobald unser Gerechtigkeitsgefühl alarmiert wurde, ist weit verbreitet - vor allem im Boxen. Vielleicht war aber auch die Fallhöhe das entscheidende Merkmal dieser Boxpsort-Inszenierung. Pacquiao war als 9:1-Favorit in den Kampf gegangen. Alle erwarteten, dass der Pac-Man der letzten Kämpfe Juan Manuel Marquez keine Chance lassen würde. Pacquiao-Coach Freddy Roach heitzte diese Erwartungen zusätzlich an: “Seid nicht überrascht, wenn der Kampf nur eine Runde dauert.”

Es kam anders, denn Juan Manuel Marquez offenbarte sich als der unangenehme Gegner, der er für den Pound-for-Pound-König schon in den zwei zuvor bestrittenen Kämpfen war. Marquez ist ein exzellenter Konterboxer. Pacquiaos Plan war, dem Konterboxer mit Konterboxen zu begegnen. Dementsprechend war der Kampf nicht so spektakulär, wie so einige Pac-Man-Schlachten zuvor. Aber er war spannend, da Marquez weit besser war als erwartet und der Favorit schwächelte. Doch wer hat den Kampf letztlich gewonnen?

Wir haben uns einen Mann aus dem Box-Business gesucht, der den "advocatus diaboli" für uns spielt, und das aus Überzeugung. Malte Müller-Michaelis, Geschäftsführer von Arena Sports-Promotion, erklärte sich freundlicherweise bereit, das "Pro-Pacquiao“ beizutragen.

Pro Pacquiao
(Malte Müller-Michaelis, Geschäftsführer Arena Sports-Promotion)

Allen, die nach dem Kampf zwischen Manny Pacquiao und Juan Manuel Marquez von Betrug sprechen, sage ich: Das Einzige, worum ich mich gegen 7:00 Uhr am Sonntagmorgen betrogen gefühlt habe, war mein Schlaf. Ich habe einen Kampf gesehen, der taktisch und technisch auf hohem Niveau geführt wurde, dadurch aber auch langweiliger und deutlich knapper war als erwartet. Ich habe einen Manny Pacquiao gesehen, der immer im Vorwärtsgang war, während Marquez im Rückwärtsgang darauf gewartet hat, seine gefürchteten Konter zu setzen.

Der Nachteil am Konterboxen ist ja aber: Um Konter setzen zu können, muss man vom Gegner – im Idealfall ohne Rücksicht auf die eigene Defensive – angegriffen werden. Diesen Gefallen hat Manny Pacquiao Juan Manuel Marquez am Samstag in Las Vegas nur sehr selten getan. Statt sein bekanntes Offensiv-Feuerwerk mit Mehrfach-Kombinationen abzubrennen, hat der "Pac-Man“ taktisch diszipliniert Einzeltreffer gesetzt und selber auf mögliche Konter gelauert. Was ich deshalb mit Sicherheit nicht gesehen habe, war ein klarer Sieg von Marquez.

Natürlich waren drei oder vier schöne Haken von Marquez im Ziel, die in den Rundenpausen in Superzeitlupe über die Video-Wände liefen und ein begeistertes Ooooooh und Aaaaaaah beim zum Großteil mexikanischen Publikum hervorriefen. Aber auch wenn Marquez zu Recht der Meinung ist, dass er diese wenigen „klareren Treffer“ gesetzt hat, muss man doch sagen, dass drei oder vier satte Treffer eben nicht reichen, um einen 12-Runden-Kampf zu gewinnen (solange es keine KO-Schläge sind).

Neben dem Eindruck, dass Pacquiao vorwärts und Marquez rückwärts gegangen ist, sprechen auch die Schlagstatistiken für den Pac-Man und gegen den Mexikaner – und das zum ersten Mal in ihren drei Kämpfen. Pacquiao landete insgesamt 176 Treffer bei 578 Schlagversuchen, während Marquez 138 von 436 Schlägen ins Ziel brachte. Insgesamt waren es mit Sicherheit zwölf knappe Runden, aber gerade dann, wenn die Runden knapp sind, zählt nun einmal bei den Punktrichtern, welcher der beiden Boxer den Kampf macht, sich die Ringmitte sichert, mehr schlägt und mehr trifft – und das war eben Pacquiao und nicht Marquez.

Kampfentscheidend war fraglos auch die Arbeit der Trainer in den Ringpausen. Freddy Roach versuchte nach sechs knappen Runden, Manny Pacquiao wachzurütteln und zu mehr Initiative anzutreiben. Auf der anderen Seite beging Ignacio "Nacho“ Beristain einen "Kardinalfehler“ (O-Ton HBO-Experte Emanuel Steward), indem er seinem Schützling vor der letzten Runde sagte, dass er den Kampf schon gewonnen habe. Marquez tat daraufhin gerade in den letzten drei Minuten viel zu wenig, verschenkte die Schlussrunde und damit das Unentschieden, das man ihm mit einer gewonnenen letzten Runde hätte zusprechen können. Für einen Sieg hat der Mexikaner aus meiner Sicht insgesamt viel zu wenig getan.

Contra Pacquiao
(Michel Massing, sportal.de):

Pacquiao war aktiver, meist im Vorwärtsgang und hat mehr geschlagen – das hört man immer wieder als Hauptargument derjenigen, die einen Sieg des Favoriten gesehen haben wollen. Die Statistiken werden zu Rate gezogen und die Aktivität mit dem "Ring Generalship“ gleichgesetzt. Ich bin der Meinung, die Anzahl der Treffer sagt nichts über die Qualität der Treffer aus. Außerdem glaube ich, dass man hier das "Ring Generalship“ diskutieren muss, auch wenn Pacquiao meist im Vorwärtsgang geboxt hat.

Der Pac-Man war zwar aktiver, doch er konnte Marquez nie festnageln, er war nicht in der Lage ihn zu packen, ihn in die Ecke zu drängen. Marquez nahm dem Pac-Man zudem das Tempo, er nahm ihm seine übliche Dominanz. Pacquiao versuchte, seinen Stil anzupassen, im Vergleich zu seiner sonstigen Gangart versuchte er, mehr zu reagieren als zu agieren. Das ging aber gründlich in die Hose. Der bessere Konterboxer Marquez setzte sich durch. Er verhinderte die guten linken Geraden von Pacquiao, und er verhinderte die gefürchteten Mehrfachkombinationen des Pound-for-Pound-Königs.

Sechs der zwölf am Ring anwesenden Boxjournalisten werteten den Kampf für Marquez, sechs hatten ein Unentschieden auf ihren Scorekarten notiert und keiner (!) wertete für Pacquiao (Quelle: Ring Magazine). Warum sind die Experten zu dieser Meinung gekommen? Viele Beobachter gaben der Qualität der Treffer den Vorzug vor der bloßen Anzahl. Marquez setze die klareren Treffer. Er traf mit seiner rechten Geraden, er traf mit kurzen rechten Haken, er setzte die besseren Körpertreffer und brachte gezielte Aufwärtshaken an.

Der Mexikaner brachte Pacquiao ein ums andere Mal aus der Balance. Der philippinische Kongress-Abgeordnete wirkte wie ein Schatten seiner selbst - und das nicht nur, weil ihm die Beine weh taten oder er übertrainert war, wie er und sein Trainer nach dem Kampf behaupteten, sondern weil Marquez ihm den Zahn durch grandioses Konterboxen zog. Wurde am Samstag auch ein Mythos entzaubert? Zumindest die Annahme, Floyd Mayweather Jr. müsse Angst haben, gegen Manny Pacquiao anzutreten, ist nun gegenstandslos – denn Floyd Mayweather Jr. ist bekanntermaßen der beste Konterboxer der Welt.

Mit Malte Müller-Michaelis sprach Michel Massing

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