Boxen Dereck Chisoras Chancen auf einen Sieg gegen Vitali Klitschko

Dereck Chisora boxt gegen Vitali Klitschko. Auch Chisoras letzter Gegner war ein Hüne und der Brite schlug sich glänzend. Kann man vom Chisora-Helenius-Kampf Rückschlüsse auf den Fight gegen Vitali Klitschko ziehen? Wir verraten Ihnen, dass der Brite eigentlich nur gewinnen kann.

Am Samstag gibt sich mit Vitali Klitschko der derzeit wohl beste Schwergewichtler der Welt mal wieder die Ehre. In der Olympiahalle zu München trifft "Dr. Eisenfaust“ auf Dereck Chisora. Die Vorzeichen sind klar: Alles andere als ein deutlicher – wahrscheinlich sogar vorzeitiger – Sieg des WBC-Weltmeisters wäre eine Sensation.

Nichtsdestotrotz gibt sich der Brite Chisora selbstbewusst, während der Champion Vitali Klitschko seinen Kontrahenten stark redet. Wir gehen einen Schritt zurück und vergleichen Chisoras letzten Kampf, in dem er ebenfalls einen Zwei-Meter-Riesen boxte, mit dem zu erwartenden Fight und erklären, warum Chisora verlieren wird, aber trotzdem nur gewinnen kann.

Eine Niederlage als Türöffner zur WM

Schon in seinem letzten Kampf hat Dereck Chisora bewiesen, wie man aus einer Niederlage seinen größten Sieg machen kann. Gegen den Finnen Robert Helenius aus dem Berliner Sauerland-Stall verlor der Brite im Dezember 2011 in Helsinki knapp und höchst umstritten nach Punkten. Für die meisten neutralen Beobachter hätte Chisora den Kampf gewinnen müssen. Und auch die Schlagstatistiken sprechen klar für den Briten: Chisora konnte 278 seiner insgesamt 672 Schläge ins Ziel bringen (Trefferquote 41%), während bei Helenius nur 140 von 647 Schlägen trafen (22%).

"Ich war sehr beeindruckt, als ich den Kampf gesehen habe“, sagte Klitschko in dieser Woche gegenüber der Presse. "Vor dem Kampf sprach jeder von Helenius, als wäre er der nächste Weltmeister. Chisora hat den Kampf verloren, aber viele Experten sahen, dass er den Kampf dominierte." Laut eigener Aussage rief Vitali nach dem Kampf sofort seinen Manager an und sagte, dass er gegen den Briten boxen wolle. "Ich möchte die stärksten Herausforderer, und Chisora ist einer von ihnen“, so Klitschko.

100 Meilen schnell? Chisora ist kein Cruisergewicht

Auf diese Weise verdiente sich der "Del Boy“ - so der Nickname des Briten - mit einer Niederlage eine WM-Chance und den mit Abstand größten Zahltag seiner noch jungen Profi-Karriere, obwohl seine sportliche Bilanz alles andere als herausragend ist. Der 28-Jährige hat erst 17 Profi-Kämpfe absolviert und zwei davon verloren. Zum Vergleich: Beim 40-jährigen Vitali Klitschko stehen ebenfalls zwei Niederlagen insgesamt 43 Siege gegenüber, davon allein 40 durch KO.

Die Erfahrung spricht also klar für den Weltmeister, der Herausforderer sieht sich durch seine Jugend im Vorteil. "Er wird mit meiner Schnelligkeit nicht Schritt halten können“, so Chisora. "Ich werde 100 Meilen pro Stunde schnell sein und seine alten Knochen werden damit nicht Schritt halten können.“

Aus unserer Sicht ist der Brite zwar jung, aber trotzdem nicht so schnell wie zum Beispiel Tomas Adamek. Und nicht mal dem gewachsenen Cruisergewichtler und letzten Gegner von Vitali hat sein Schnelligkeitsvorteil etwas genützt. Das Problem: Klitschko ist trotz seines fortgeschrittenen Alters in Topform, gegen Adamek präsentierte er sich fit und athletisch wie selten zuvor.

Klappern gehört zum Handwerk

Der zweite Trumpf des Briten Chisora ist nach eigener Aussage seine Unvorhersehbarkeit. "Das Klitschko-Team mag mich nicht, weil ich ein wilder und unvorhersehbarer Boxer bin. Ich bin nicht wie einer der vorherigen Gegner, der vor ihm kuscht. Es macht ihnen Angst, denn sie können mich nicht kontrollieren“, sagte Chisora bei der Pressekonferenz.

Es ist zwar verständlich, dass sich der Herausforderer stark reden will, und Klappern gehört natürlich vor allem im Box-Business zum Handwerk. Aber uns erschließt sich trotzdem nicht, warum Chisora so offensichtlichen Unsinn redet. Wenn ihn das Klitschko-Team wirklich nicht mögen würde, hätte man ihn kaum als Gegner für eine freiwillige Titelverteidigung ausgesucht. Und mit Sicherheit boxt der Brite nicht so unvorhersehbar, wie er denkt.

Klitschko ist nicht Helenius

Ganz im Gegenteil: Mit seinen 1,87 Metern ist Chisora ganze 15 Zentimeter kleiner als Vitali. Damit lässt sich sehr genau vorhersagen, dass er irgendwie in den Infight kommen muss, wenn er überhaupt eine Chance haben will, den Weltmeister zu treffen und in Bedrängnis zu bringen. Zugegeben: Gegen Robert Helenius (mit exakt 2 Metern fast genauso groß wie Vitali) sah Dereck Chisora sehr gut aus.

Der Brite zeigte sich fitter als Helenius und der Trainer des Finnen, Ulli Wegner, es erwartet hatten. Chisora boxte dynamisch und variantenreich, ging gut auf den Körper, zeigte sich beweglich im Oberkörper und kam mit Haken über die Außenbahn zum Erfolg. Diese Stärken wird er wohl auch am Samstag in die Waagschale werfen wollen, doch eines ist klar: Vitali Klitschko ist nicht Robert Helenius!

Zu kurze Arme

Gerade die Stärke von Chisora, die Haken über die Außenbahn, zu denen der Brite weit ausholt, kann Vitali lange kommen sehen und exzellent verteidigen. Die meisten Boxer blocken Schläge des Gegners nah am Körper, Vitali Klitschko kann diese Schläge durch seinen langen Jab außerhalb der Inzone blocken. Es ist eine unkonventionelle Art uns Weise, sich zu verteidigen, aber der Erfolg gibt Klitschko Recht, der auch gegen offensive Gegner wie z. B. Chris Arreola kaum getroffen wurde.

Vitali blockt den gegnerischen Schlag mit seinen Unterarmen und lehnt sich im Oberkörper weit zurück wenn nötig. Es bedarf schon einer enormen Reichweite, wie sie z.B. Kevin Johnson (2,08 Meter) nutzte, um Spuren in Vitalis Gesicht zu hinterlassen. Dereck Chisora hat diese Reichweite nicht (1,88 Meter). Chisora muss die Distanz überbrücken und dort ansatzlose kurze Punches anbringen.

Nach Punkten chancenlos

Das wohl größte Problem, das alle letzten Gegner von Vitali Klitschko hatten, ist die fast schon beängstigende Dominanz, die der Ukrainer in jedem Moment im Ring ausstrahlt. In den vergangenen Jahren hat Vitali kaum eine Runde verloren und jeden seiner Gegner mit einer Vielzahl an Schlägen und Treffern beherrscht. Gegen Adamek landete Klitschko bei 608 Schlägen 230 Treffer (in nicht mal 10 Runden), während sein polnischer Gegner bei 301 Versuchen gerade mal 89 Treffer ins Ziel bringen konnte.

Noch deutlicher war die Überlegenheit bei Vitalis beiden letzten Kämpfen über die volle Distanz: Gegen Kevin Johnson feuerte der Weltmeister 1013 Schläge ab und traf 298 mal, während der Amerikaner bei 332 Schlägen nur 65 Treffer landen konnte. Shannon Briggs wurde von Klitschko 302 mal getroffen (bei 727 Schlagversuchen) und konnte dem nur 73 eigene Treffer (bei 316 Schlägen) entgegensetzen.

Selbst wenn Chisora also mit Vitali über die kompletten 12 Runden kommt und dabei seine guten Werte aus dem Helenius-Kampf bestätigen könnte – was beides stark bezweifelt werden muss –, wird Klitschko aller Voraussicht nach trotzdem öfter schlagen und treffen sowie gleichzeitig deutlich seltener getroffen werden als der Finne.

Lewis gibt seinem Landsmann trotzdem eine Chance

Ex-Weltmeister und Klitschko-Bezwinger Lennox Lewis räumt seinem Landsmann trotz seiner offensichtlichen Außenseiter-Rolle eine Chance ein: "Ich denke, es gibt derzeit niemanden, der den Klitschkos Probleme bereiten könnte, doch Dereck, du weißt, du hast die Chance eines jeden Punchers. Das bedeutet, wenn du mit einem Punch durchkommst, kann es sein, dass er Sternchen sieht“, so Lewis laut skysports.

Grundsätzlich hat der "Lion“ natürlich vollkommen recht. Im Schwergewicht hat jeder die Chance auf einen Lucky Punch. Allerdings ist Vitali – anders als sein Bruder Wladimir – für seine Nehmerfähigkeiten und sein stahlhartes Kinn bekannt. Der ältere Klitschko ist in fast fünfzig Kämpfen noch nie zu Boden gegangen. Seine beiden Niederlagen resultierten aus verletzungsbedingten Aufgaben. Bisher konnte noch kein Gegner beweisen, dass auch Vitali Klitschko auszuknocken bzw. auch nur ernsthaft in Bedrängnis und an den Rand einer KO-Niederlage zu bringen ist.

Die Prognose:

Der starke Jab und die brutale Rechte werden Vitali Klitschko den Sieg bringen. Der Vergleich des starken Chisora-Auftritts gegen Robert Helenius mit dem zu erwartenden Kampf gegen Vitali Klitschko bringt uns zu dem Ergebnis: Sollte Chisora seinen großen Worten Taten folgen lassen wollen, auf eigene Offensive setzen und nicht ausschließlich im "duck and run“-Modus unterwegs sein, wird er KO gehen. Wir tippen auf die achte Runde. Und weil es wenige Experten gibt, die etwas anderes prophezeien, kann der Brite am Samstag eigentlich nur gewinnen.

Michel Massing

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