Champions-League-Finale Untergang im Fausthagel

Von Helge Buttkereit, Kiel
Das Finale endet im Tränenmeer. Der THW Kiel hat das Champions League Finale gegen Ciudad Real vergeigt. Titelverteidiger Kiel präsentierte sich farblos, ideenlos und nervös. Die Spanier hingegen schlugen zu. Am Ende sogar mit Fäusten.

Das Publikum trotzt der Tragödie. "THW, THW, THW" hallt es durch die Arena. Die schwarz-weißen Fahnen der "Zebras" werden geschwenkt. 10.000 Kieler skandieren für ihren THW. Auf dem Spielfeld ausgelassene Freude. Beim Gegner. Ciudad Real hat das geschafft, was die meisten nicht mehr für möglich gehalten haben. Sie haben gewonnen. Mit 31:25 gegen das beste Handball-Team der Welt. Und jetzt sind sie es selbst. Die besten. Ausgerechnet in der Halle des großen Konkurrenten von der Förde findet die Wachablösung statt. Zumindest für ein Jahr. Noch im Hinspiel hatte der THW Kiel eine Demonstration der Stärke abgeliefert, die Spanier in eigener Halle fast demontiert und mit 29:27 gewonnen. Das war‘s, hieß es überall. Es war es nicht. Denn nach dem überragenden Hinspiel der Kieler ist das Rückspiel eine schwarz-weiße Tragödie.

Wie eingegipst

Sie begann schon vor dem Anpfiff. Seltsam angespannt sei sein Team gewesen, erzählt Kiels Trainer Zvonimir "Noka" Serdarusic später. Ihre Gesichter wirkten wie eingegipst, das Ergebnis des Hinspiels sei eine einzige Last gewesen. Serdarusic, der väterliche Freund, der seine Spieler nur "meine Jungs" nennt, stellt sich nach der Partie mit dem breiten Rücken des Erfolgstrainers vor die Mannschaft. Die Mannschaft, die über 60 Minuten alles schuldig blieb, was sie als eben noch bestes Team der Welt ausgemacht hatte. "Ich habe es nicht geschafft, die besorgten Gesichter fröhlicher zu machen", sagt er. Als er das sagt, eine halbe Stunde nach der Siegerehrung, lacht er schon wieder und wirkt eigenartig entspannt. Neben ihm: Rechtsaußen Vid Kavticnik. Sein Blick hingegen ist leer. Die Aufgabe, ein paar Worte zum Spiel zu sagen, fällt ihm unheimlich schwer. Das gibt er zu, das spürt jeder im Raum. Der Druck auf die Kieler, hinter denen nicht nur 10000 Zuschauer in der Halle sondern eine ganze Stadt steht, lastet wie Blei auf den Schultern des Slowenen, der dabei noch der sicherste Kieler Schütze an diesem Tag war. Aber auch seine acht Treffer reichten nicht. Die Tragödie konnte er nicht aufhalten.

Olafur Stefansson nicht zu halten

Der Druck zeigt sich schon wenige Sekunden nach dem Angriff. Filip Jicha verwirft aus vermeintlich leichter Position. Es folgen Fehler von Handball-Superstar Nikola Karabatic und wieder von Jicha. Geschlagene fünf Minuten brauchen die Kieler, bis sie das Tor einmal treffen. Sonst erzielen sie in der gleichen Zeit vier bis fünf. Auch der Gegner glänzt nicht mit einer Torflut, das ist auch gar nicht sein Spiel. Aber in Olafur Stefansson haben sie an diesem Abend den personifizierten Willen in ihren Reihen. Stefansson, der mit Magdeburg 2002 die Champions League gewann, tankt sich mit allem, was er hat, durch die Kieler Abwehr und ist einfach nicht zu stoppen. Über das ganze Spiel erzielt er zwölf Treffer, die Kieler kommen nicht mit ihm klar und scheitern ansonsten am zweiten großen Akteur an diesem Abend: Torwart Arpad Skerpik. Der Schüssel des Erfolgs der Spanier ist aber, dass es ihnen gelingt, Nikola Karabatic auszuschalten.

Star im Korsett

Der Superstar auf Seiten der Kieler wird eng gedeckt. Es sind immer zwei Spieler von Ciudad Real da, wenn er am Ball ist und so entfaltet sich seine Klasse nie. Im Gegenteil. Wie seinen Mitspielern unterlaufen Karabatic seltsame Fehler im Spielaufbau und in der Ballannahme. Der Druck scheint so zentnerschwer auf ihm zu lasten, dass ihm das Spielgerät zuweilen einfach aus der Hand fällt. Kein anderer nimmt das Heft in die Hand. Kapitän Stefan Lövgren bleibt draußen, da Filip Jicha mehr Durchschlagskraft aus dem Rückraum hat. Normalerweise. Heute nicht. Kim Andersson auf Halbrechts ist ein Totalausfall, Weltmeister Christian Zeitz trifft zwar mit seiner ersten Aktion, dann aber nur noch ein zweites Mal. Da kann auch die gute Leistung von Markus Ahlm am Kreis nichts mehr retten. Kiel geht unter, erlebt seine Tragödie. Auf das kurze Hoch in er ersten Hälfte, als sie mit zwei Toren führen, folgen zunächst vier spanische Treffer in Folge, dann eine zweite Halbzeit, in der die Kieler nie ins Spiel finden und selbst die so euphorische Halle langsam leiser wird. Das wird nichts, spüren eine Viertelstunde vor Schluss die meisten in der Halle, das Klatschen wirkt aufgesetzt, die Standing Ovations gewollt. Es wird nichts.

Prügel-Chaos am Ende

"Vor dem Ende der Kieler Tragödie aber folgt noch ein Kampf. Ein Boxkampf. Als das Spiel entschieden ist, die Spanier bereits auf der Bank den zweiten Erfolg in der Königsklasse des europäischen Handballs feiern, liegt auf einmal Weltmeister Christan Zeitz auf Ciudads Alberto Entrerios. "Ich habe nichts gemacht", sagt Zeitz später. Entrerrios und seine Mannschaftskollegen sehen das anders. Sie haben einen Schlag von Zeitz gesehen, der zuvor von Entrerrios eingeklemmt wurde. Zeitz hat seine Emotionen in solchen Situationen oft nicht im Griff und wird später von Serdarusic ("Das war dumm") kritisiert und in Schutz genommen ("Die Nerven liegen blank"). Zwei Spanier haben die Nerven ebenso wenig im Griff. Ales Pajovic und Didier Dinard gehen auf Zeitz los. Es bildet sich ein Rudel. Aus dem Publikum schlägt ein Rentner auf Entrerrios ein, Mittelmann Uros Zormann provoziert derweilen das Publikum mit schlüpfrigen Gesten. Die Polizei rennt aufs Spielfeld, es fliegen Gegenstände. Das Champions League Finale, das eben noch eine Feier war, droht im Chaos zu enden. Die Spanier mittendrin. Auch deswegen pfeifen die Kieler, als Ciudad den Pokal überreicht bekommt. Und sie skandieren "THW, THW, THW". Das werden sie weiter tun. Schließlich steht kommende Woche doch noch eine Feier an. Die Meisterfeier. Auch wenn auch der Verteidigung des Triples aus dem Vorjahr nichts geworden ist, so sollte es mit dem Double aus Meisterschaft und Pokalsieg klappen. Dann folgt nach der Tragödie doch noch eine Jubelfeier."

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