DM im Bürostuhlrennen Fünf Rollen für ein Halleluja

  • von Christian Schnohr
Wok-WM war gestern. Kettensägen-Jonglage? Einfach langweilig! Die neue Trendsportart heißt ab sofort „Bürostuhlrennen“. Am Wochenende fand die erste Deutsche Meisterschaft im Odenwald statt - dabei waren die skurrilsten Outfits zu bewundern.

Jochen Friedrich rückt seinen schwarzen Motorradhelm zurecht. Er blickt noch einmal fest in die Augen seines Widersachers und holt tief Luft. Startschuss. Todesmutig stürzt sich Friedrich die hölzerne Rampe hinunter, um die 170 Meter lange Rennstrecke hinabzurasen.

Doch unter ihm sind weder Ski noch Snowboard oder Motorrad. Jochen Friedrich sitzt auf einem Bürostuhl und gibt Vollgas. Mit seinen Beinen holt der 27-jährige Industriemechaniker immer wieder Schwung und treibt den Stuhl mit 24 Stundenkilometern abwärts. Nach gut einer halben Minute ist er im und fast am Ziel: Er steht im Finale von Deutschlands 1. Offiziellen Bürostuhlrennen.

Vorbild Schweiz

Veranstalter des skurrilen Wettbewerbs waren die Kerbbursche Zell. „Einer von uns sah im Skiurlaub in der Schweiz plötzlich Bürostühle durch die Straßen flitzen. Und dachte, das wäre was für uns“, so Mitorganisator und Moderator René Karg.

Was in der Schweiz schon länger existiert, soll nun also Deutschland erobern. Und so riefen die Kerbbursche mutige Recken auf ins beschauliche Bad König-Zell im Odenwald. Und mobilisierten den halben Ort: 60 Freiwillige waren im Einsatz, dazu Feuerwehr und Rotes Kreuz. Imbissbuden, Tanzgruppen und Livebands durften da nicht fehlen.

Jede Menge Sponsoren

Die Rennstrecke wurde abgesperrt, der Auslauf mit Strohballen gesichert. Im Ziel hingen selbst gestaltete Banner mit der Aufschrift „Wer bremst, verliert“ und vom DJ gab es Fassnachtsmusik vom Band. „Finger im Po - Mexiko“ oder „Döner macht schöner“.

Doch selbst das konnte weder die rund 600 Zuschauer noch die insgesamt 45 Sponsoren abschrecken. Offensichtlich wollten lokale Firmen, ein Schweizer Energy-Drink und ein Hersteller für Öle und Schmiermittel den vermeintlichen Trend um keinen Preis verpassen.

Skurrile Rivalen

Insgesamt 66 Teilnehmer waren dem Ruf des Stuhles gefolgt, um sich und ihre teilweise fantasievoll aufgemöbelten Untersätze zu präsentieren. Und so trat „Familie Flodder“ an gegen die „After-Burner“, riesige gelbe Hühner kämpften gegen pinkfarbene Hasen um jeden Meter.

Andere Gruppen hatten mehr mit sich und dem Material zu tun. Die Folge: Stuhlbruch, Rollentausch, Verzweiflung. Am Ende sollten Hunderte Kabelbinder das Aus verhindern, doch auch sie hielten Geschwindigkeit und Asphalt nicht stand.

Ehrgeizige Premiere

Solche Probleme hatte Jochen Friedrich nicht. Zusammen mit seinen Vereinskollegen aus dem benachbarten Kerweclub Michelstadt hatte er zwei Tage lang an seinem blau-gelben Gefährt geschraubt und getüftelt. „Ich bin gestern das erste Mal überhaupt gefahren“, so Friedrich.

Doch spätestens als der leichte untersetzte Hasardeur mit geschickten Einsatz des Körperschwerpunkts im Achtelfinale Streckenrekord fuhr, keimte Hoffnung auf. „Eigentlich wollte ich hier nur Spaß haben, aber langsam rechne ich mir gute Chancen auf den Titel aus.“

Die musste sich Ilka Diehl schon im Achtelfinale abschminken. Zwar war die 33-jährige Tierheilpraktikerin mit ihren langen blonden Haaren, dem Cowboyhut und den schwarzen Lederhosen im Westernstyle optischer Hingucker, aber auf ihrem mit Ledersattel und Steckenpferdkopf gepimpten Bürostuhl hatte sie im Achtelfinale keine Chance mehr.

Strenge Regeln

Da half auch das langgezogene „Yehaa“ beim Start nichts mehr. Immerhin: Ilka Diehl war die beste von insgesamt fünf angetretenen Frauen. Und sie gewann auch den familieninternen Wettstreit. „Mein Mann wollte unbedingt hierher, aber leider ist er schon in der Qualifikation gescheitert“, konnte sie sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Doch es wäre keine Deutsche Meisterschaft, wenn es nicht jede Menge Regeln geben würde. „Für die Versicherung“, erklärte René Karg. Und so durften die Geschosse eine maximale Radgröße von 20cm im Durchmesser nicht überschreiten. Dafür musste der Bürostuhl fünf freidrehbare Rollen aufweisen. Helme waren sowieso Pflicht.

Schmiermittel als Preisgeld

Am Ende ist es tatsächlich Jochen Friedrich, der den Sieg davon trägt und sich künftig Deutscher Meister im Bürostuhlrennen nennen darf. Stolz reckte er Pokal und Meisterschale in den Odenwälder Nachthimmel. Zur Nationalhymne, versteht sich. Marco Scior gewann mit seinem Rollstuhl-Bürostuhl den Preis für das kreativste Gefährt.

Dank der Sponsoren bekam aber jeder Teilnehmer seine Belohnung - eine Dose Schmiermittel von Hauptsponsor WD-40. Vielleicht läuft es damit im nächsten Jahr wie geschmiert. Denn dann wollen die Kerbbursche eine Neuauflage des Rennens organisieren. Bleibt zu hoffen, dass es bis dahin keine neue „Trendsportart“ gibt. Aber Hauptsache, man kann seinen Enkeln später jeden Tag erzählen, dass man einmal Deutscher Meister gewesen ist. Die werden sich freuen.

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