Sonne, Meer, endlose Dünen –Urlaubsatmosphäre am Strand von St. Peter-Ording. Braungebrannte, muskulöse Menschen liegen mit großen Sonnenbrillen in Liegestühlen, völlig entspannt. Dabei geht es in diesen Tagen am Nordseestrand um den Weltmeistertitel im Kitesurfen. Und diese lässigen Jungs und Mädels mit ihren Kopfhörern und Hawaiishorts stellen die Weltelite der Trendsportart dar. Eine Woche lang haben sie Zeit, auf den richtigen Wind zu warten und ihr Können in den Disziplinen Freestyle, Course Race und Boardercross unter Beweis zu stellen. Heute stellt sich das nicht so einfach dar: Flaute. Der Wind will einfach nicht so recht in die Gänge kommen. Nichts Neues für die Surfer, die an tagelanges Warten gewöhnt sind.
Ein Ausnahmetalent auf Erfolgskurs
Eine von ihnen scheint nicht so richtig Lust auf tatenloses Herumhängen zu haben: Die 13-Jährigen Gisela Pulido schlendert gut gelaunt über den Platz, Stillsitzen ist so gar nicht ihr Ding. Es ist das erste Jahr, in dem die kleine Spanierin beim Profi-Weltcup (PKRA) der Kitesurfer mitfahren darf – und sie liegt in der Gesamtwertung schon vor der amtierenden Weltmeisterin Kristin Boese aus Potsdam in Führung. Pulido besitzt ebenfalls mehrere Weltmeister-Titel, allerdings in der KPTW, der nicht-professionellen Weltcup-Serie. Ein einziges Mal ist sie zuvor gegen die 17 Jahre ältere Deutsche angetreten und konnte dieses Duell auf Fuerteventura für sich entscheiden. "Gisela ist zwar süß und nett, aber sie surft wie der Teufel. Sie hat den Vorteil, dass sie jung ist, viel Energie und wenig Angst hat. Außerdem ist sie noch nicht so anfällig für Verletzungen und erholt sich schneller," urteilt Boese. Ein wenig Neid schwingt in diesen Worten mit. Neid darauf, dass Pulido Dinge zufliegen, für die andere Sportler hart arbeiten müssen. Als ob sie sich über so etwas keine Gedanken macht, stapft die Spanierin grinsend durch den Sand. Jeder grüßt sie, sie winkt cool zurück.
Kampf der Generationen
Mittlerweile ist der Jungspund kein Star mehr, man hat sich an Gisela gewöhnt. Sie ist eine von ihnen, eine Sportlerin. Eine ebenbürtige Gegnerin im Wettkampf und gleichzeitig das Nesthäkchen der beschaulichen Surfer-Familie. Eine Familie, deren Oberhaupt vielleicht Pulidos größte Konkurrentin Kristin Boese darstellt. Es ist wie ein Kampf zwischen Generationen. All die anderen Surfer sind für Pulido eher Geschwister, die die "Kleine" beschützen und mit denen sie Spaß haben kann. Und dann gibt es noch den Großvater: Detlev Teichmann, der mit 59 Jahren das erste Mal an einem Kitesurf-Worldcup teilnimmt. "Er könnte wirklich mein Opa sein," schmunzelt Pulido, "das fühlt sich schon etwas merkwürdig an."
Info Kitesurfen
Der Kiter lässt sich von einem Lenkdrachen über das Wasser ziehen, die meiste Zeit gleitet er dabei mit einer Art Surfbrett auf den Wellen. Durch den Auftrieb des Drachens lassen sich extreme, fast flugartige Sprünge vollbringen. Das Kitesurfen ist die am rasantesten wachsende Wassersportart der Welt. Über 160.000 Adrenalinbegeisterte jagen rund um den Globus über das Wasser, mehr als 10.000 sind es allein schon in Deutschland. Kein Wunder, wenn man sieht, was dieser Sport seinen Anhängern bietet: Bis zu 15 Meter schrauben sich die Surfer in den Himmel, rund 40 Meter weit können sie springen. Dabei sind „Flüge“ von fast 10 Sekunden möglich. Kaum eine andere Sportart verbindet solch einen Höhenrausch mit Geschwindigkeiten bis zu knapp 80 km/h.
Surfen als Lebensstil
Während Teichmann erst im Alter von 52 mit dem Kitesurfen angefangen hat, steht sie seit ihrem achten Lebensjahr auf dem Board. Von Anfang an übernimmt ihr Vater die Trainerfunktion, kurze Zeit später wird er auch zum Berater und Manager seiner Tochter. Mit neun Jahren nimmt sie das erste Mal an den Europäischen Juniorenmeisterschaften teil und belegt auf Anhieb den zweiten Platz. Ihren ersten internationalen Wettkampf beendet sie 2004 als Dritte, kurze Zeit später wird sie Weltmeisterin der KPWT. Die Pulidos sehen sich gezwungen, von Barcelona nach Tarifa (Andalusien) zu ziehen. Das spanische Kitesurfmekka ermöglicht es Gisela, intensives Training und Schule zu verbinden. Vieles im Leben der Familie Pulido wird vom Sport bestimmt. Die Wettkämpfe finden an den bekanntesten Surfspots rund um den Globus statt, meist reisen die Pulidos gemeinsam an. Surfen ist Lebenseinstellung, für die ganze Familie.
Der Profisportler im Kind
Der Sport spaltet das Leben des jungen Mädchens in zwei Hälften: Sie ist der erfolgreiche Kitesurf-Profi, der einen Titel nach dem anderen abräumt und kurz davor steht, seine erste Profi-WM zu gewinnen (Anm.: Einen Tag später gewinnt Gisela tatsächlich den Freestyle-Wettbewerb). Und sie ist ein Kind. Mit ganz normalen Interessen, wie sie erzählt. Als wolle Pulido ihre eigene Kindheit und Jugend vor dem Profisport schützen. Sie spricht von Hobbys, die sie mit vielen Teenagern teilt: Fernsehen, Eisessen, Freunde treffen, Playstation spielen. Es mag diese Zweiteilung sein, die ihr einen unbekümmerten Blick auf den Sport ermöglicht: "Kitesurfen ist für mich wie Freizeit, ich muss mich zum Training nie zwingen." Sie ist sich sicher, dass der Sport sie ein Leben lang begleiten wird – ob professionell oder einfach nur zum Spaß, das ist ihr egal. "Ich möchte später einmal Journalistin oder Tierärztin werden." Gisela sagt das ganz beiläufig, als ob sie sich noch nicht festlegen möchte, was in ihrer Zukunft passieren soll. Der Blick auf ihr Leben und die Welt geschieht mit einer Leichtigkeit, wie sie eigentlich nur Kinder haben. Es ist eine Leichtigkeit, die die junge Dame im doppelten Sinn waghalsige Stunts vollführen lässt. Angst habe sie fast nie, versichert Pulido.
Nur keine Angst haben
Den Spaß merkt man ihr auf dem Wasser an. Mit viel Feingefühl zeigt sie Sprünge, die vor ihr bislang keine gewagt hat. "Gisela ist auf dem Meer groß geworden und hat ein tolles Feeling für Wind, Wasser und Bewegung," beschreibt Kristin Boese die Qualitäten ihrer Konkurrentin. "Früher hat ihr noch ein wenig Kraft gefehlt, das kommt jetzt aber auch." Pulido denkt nicht viel nach über die möglichen Gefahren, sie fährt einfach. Größtes Vertrauen hat sie in die Sicherheitssysteme, die mittlerweile sehr ausgereift seien. Tatsächlich sind die neuen Kites flexibler, lassen sich schneller aus dem Wind nehmen. Der Surfer kann die Leinen, die ihn mit dem Drachen verbinden, bei Gefahr komplett lösen. Als das Kitesurfen am Anfang seiner Entwicklung stand, hätte es einfach noch an Material- und Technologieerfahrung gemangelt. "Heute ist das ganz anders," spricht der Profi im Kind. "Ich liebe dieses Gefühl im Bauch. Es ist wie Achterbahn fahren – nur besser."