Eine Gruppe kamerabewaffneter Touristen schlendert durch das leere Skistadion von Garmisch-Partenkirchen und blickt auf die kleinen Schneehaufen, die sich auf dem braun-grünlichen Abhang gegen die Sonne wehren. Die Besucher beobachten den Mann, der die Plastikmatten im Auslauf der Skisprungschanzen säubert. Am steinernen Eingangsportal prangen die Olympischen Ringe, in goldenen Buchstaben steht, dass in diesem Skistadion die Winterspiele 1936 abgehalten wurden. Auch die Wettkämpfe 1940 hätten hier stattfinden sollen, heißt es weiter. Und dann: "Die Feier musste wegen des Krieges abgesagt werden."
78 Jahre später könnte das ehrwürdige Skistadion von Garmisch-Partenkirchen wieder zur Ausrichtungsstätte Olympischer Wettbewerbe werden. Am 6. Juli entscheidet das IOC, ob die Stadt München, und mit ihr die Zugspitzgemeinde, den Zuschlag für die Spiele 2018 bekommt. Doch Garmisch wehrt sich. Sträubt sich. Seit Monaten ist das Klima hier auf 700 Metern keineswegs alpin-kühl sondern zerstritten-hitzig. Ein guter Teil der Garmischer Bürger will nämlich überhaupt nichts wissen von Olympia, befürchtet Schulden für ihre Gemeinde. Bauern weigern sich, ihr Land bereitzustellen, Naturschützer warnen vor Umweltzerstörung. Die Bürgerbewegung „NOlympia“ hat sich gegründet, dann als Antwort der Verein „OlympiaJA“. Am 8. Mai sollen Garmischs 25.000 Bewohner nun bei zwei Bürgerentscheiden über die weitere Beteiligung ihrer Gemeinde an der Olympiabewerbung abstimmen. Stimmen sie dagegen, wackelt das ganze Vorhaben „München 2018“.
Freitagabend, Bayernhalle im Ortsteil Garmisch. Die örtliche Tageszeitung Garmisch –Partenkirchener Tagblatt lädt kurz vor der Abstimmung zu einer Podiumsdiskussion von Olmpiagegnern und -unterstützern. Vor dem Eingang steht ein junger Mann und verteilt Flyer und Prospekte der Olympiabefürworter. Im Saal hängen Girlanden in den bayerischen Landesfarben an den hölzernen Deckenstreben, an den langen Tischen sitzen dicht gedrängt rund 300 interessierte Bürger vor Weißbier und Brezn. Eine friedliche Atmosphäre mit stummen Beobachtern - hinter der Bühne ragt das bloße Gestein in den Raum, ausgestopfte Gemsen und Greifvögel blicken von dort herab. Auf dem Podium vor ihnen haben vier Männer Platz genommen, die Vertreter von Pro und Contra Olympia. Zwischen ihnen sitzt Tagblatt-Journalist Matthias Holzapfel. Der Moderator eröffnet die Diskussion. "Unermesslich viel Porzellan" sei in den vergangenen Monaten durch den Streit über die Spiele in der Marktgemeinde zerschlagen worden. "Am 8. Mai dürfen die Bürger von Garmisch-Partenkirchen nun abstimmen. Es ist eine wichtige Entscheidung für den Ort, sein Zukunft, auf die aber auch die ganze Republik schaut."
Bürger sollen über Olympia-Ausrichtung abstimmen
In den folgenden zwei Stunden zeigt sich die gesamte Bandbreite des Garmischer Olympia-Streits. Da ist der Herr, der sich von den Organisatoren der Bewerbung nicht ausreichend und frühzeitig über die Kosten informiert sieht. Da sind mehrere Bürger, die einen lohnenden Imagegewinn für ihre Gemeinde in Zweifel ziehen. Da sind aber auch die Garmischer, die den Olympia-Gegnern fehlende Alternativen für die Ortsentwicklung vorwerfen, die sich einen Aufschwung versprechen und die, die wissen wollen, wie es überhaupt nach dem Bürgerentscheid weitergeht.
Eine durchaus berechtigte Frage. Schließlich ist die Situation ziemlich kompliziert. Eigentlich hat Garmischs Gemeinderat längst entschieden, dass man Teil der München 2018-Bewerbung sein will. Die Olympia-Gegner stellen in ihrem Bürgerentscheid deshalb die Frage: "Sind sie dafür, dass die Marktgemeinde Garmisch-Partenkirchen (…) prüfen lässt, ob (…) sie aus der Vorbereitung und Durchführung der Olympischen (…) Winterspiele (…) aussteigen kann." Für diese Prüfung soll ein Staatsrechtler beauftragt werden. Da wollten sich die Olympia-Fans nicht lumpen lassen und haben ihrerseits einen Bürgerentscheid angestrengt, dessen Frage auf demselben Stimmzettel steht. "Sind sie dafür, dass der Markt Garmisch-Partenkirchen die Bewerbung (…) fortführt." Für den Fall, dass beide Entscheide mehrheitlich mit ja beantworten werden, muss der Bürger - ebenfalls auf dem selben Blatt – vorsorglich die Stichfrage beantworten: "Welche Entscheidung soll dann gelten?"
Ein zunächst schwer zu durchschauendes Fragengewirr. Und was passiert dann, akzeptieren die beiden Seiten das Votum der Bürger? Axel Doering, Förster in Garmisch und Gesicht der Olympia-Feinde: "Man kann es nicht mit ja oder nein beantworten." Höhnisches Gelächter im Publikum. Aber so richtig beantworten auch die Olympiabefürworter die Frage nicht, die Unklarheit bleibt.
Das Pulverfass Garmisch ist noch nicht entschärft
Ebenso unklar bleiben die Pläne, wie die hochverschuldete Gemeinde ohne Olympia vorankommen soll. Diesen wunden Punkt der Gegner versuchen die Befürworter zwar für sich zu nutzen und weisen auf die erfolgreichen Spiele 1936 oder den enormen Schub für München durch die Sommer-Wettbewerbe 1972 hin. Immer wieder betonen Marcel Huber, Leiter der bayerischen Staatskanzlei und Heinz Mohr, Chef von "OlympiaJA", welch umfangreichen Infrastrukturinvestitionen geplant seien, von denen Garmisch profitieren könnte - viel schneller als ohne Olympia. Zudem seien die Kosten für die Marktgemeinde gedeckelt, "sie müssen keine Angst vor Kostensteigerungen haben", versichert Huber.
Die Gegner haben Zweifel an einem goldenen Zeitalter durch Goldmedaillen: „Nach der Ski-WM 1978 sind die Besucherzahlen gesunken. Also: Wo sind sie denn geblieben, die Leut‘?“, sagt Axel Doering. „Der Benefit von Olympischen Spielen wird immer als gesetzt angesehen, Es ist aber nur eine Hoffnung.“ Sein Mitstreiter Dieter Janecek, bayerischer Grünen-Chef, ätzt: „Olympia, das ist ein gescheites Fest, ein gescheiter Rausch und danach ein gescheiter Kater. Es werden viele Leute davon profitieren, aber nicht sie als Marktgemeinde.“
Selbst wenn sich diese Marktgemeinde am 8. Mai mehrheitlich zu der Bewerbung bekennt, haben die Olympia-Macher das Pulverfass Garmisch noch nicht entschärft. Denn nach wie vor wollen einige Landwirte ihre Wiesen nicht für Maria Riesch und Co freigeben. Darunter ist auch ein rund 6500 Quadratmeter großes Grundstück im Auslauf der alten Abfahrtsstrecke "Kandahar". Dieses Land gehört Heinz Buchwieser. Der Bauer, ein gebürtiger Garmischer und Vater eines Eishockeynationalspielers, sitzt nach der Podiumsdiskussion mit seinen Freunden beim Weißbier zusammen. An seiner Entscheidung hat dieser Abend nichts geändert: "Ich habe Angst davor, dass sie mein Land nicht so erhalten wie versprochen. Von mir bekommen sie keinen einzigen Flecken. Die müssen mich schon mit der Polizei abführen." Garmisch-Partenkirchen und Olympia: Seit 1936 eine Hassliebe.