Kjersti Buaas steht am Start, rückt ihre Snowboard-Brille zurecht, zupft noch einmal an der Startnummer. "Come On, Schörsti", rufen ihr die anderen Fahrerinnen aufmunternd zu. Die 25-jährige blonde Norwegerin mit dem unaussprechlichen Namen ("Kirsti, Tschörsti - ich habe eigentlich schon alles gehört") ist eine der besten Snowboarderinnen der Welt. Sie wurde 2006 in Turin Olympiadritte in der Halfpipe. Am Start nickt sie noch einmal kurz zu dem Hip-Hop-Beat, der aus den Boxen dröhnt. Dann rutscht sie ein Stück nach vorne, wird schneller. Justiert im Fahren noch kurz ihre Bindung und hebt wenig später ab. "Fifty-Fifty to Backside Boardslide”, sagt der Moderator über die Lautsprecher. Die Zuschauer johlen.
Höher, weiter, schöner
Kjersti gehört zu den Favoritinnen beim Roxy Chicken Jam - ein Wettkampf bei dem nur Snowboarderinnen teilnehmen dürfen. 30 sind dabei, die Besten der Welt. Aus Skandinavien, USA, den Alpenländern, auch aus Australien und den Niederlanden kommen sie. Slopestyle heißt das Wettkampfmodell - es ist die Königsdisziplin des Snowboardens, weil sie am ehesten dem Geist des Sports entspricht. Stoppuhr und Maßband bleiben im Tal, die Fahrerinnen können verschiedene Schanzen und obstacles, Hindernisse, ansteuern. Mal rutschen sie über Geländer, dann springen sie über Schanzen verschiedener Größen. Hoch, weit, technisch, elegant - es geht um Höhe, den Schwierigkeitsgrad der Tricks, vor allem aber geht es um den style. "Natürlich springen die Jungs höher und weiter", sagte Kjersti vor dem Wettkampf. "Aber statt immer höheren Sprüngen, mit immer mehr Drehungen, kann man auch einfach einen perfekten, sauberen Sprung hinlegen, oder?" Sie grinst selbstbewusst. "Es geht doch beim Snowboarden um den Style - und den haben wir genauso wie die Jungs."
Es ist nicht nur der Style, der die Frauen in der einstigen Jungsdomäne immer mehr in den Mittelpunkt rücken lässt. Es ist vor allem das stark angestiegene Leistungsniveau in der Breite. Es gibt nicht mehr bloß eine oder zwei Ausnahmefahrerinnen, die den Rest des Starterfeldes nach Belieben dominieren. Bei jeder Teilnehmerin, die an diesem Wochenende über die eisigen Schanzen fliegt, wird deutlich: Die Frauen springen längst zu hoch, um nicht wahrgenommen zu werden. "Die Anzahl der guten Fahrerinnen hat sich in den letzten drei Jahren fast verdoppelt", sagt Kjersti.
"Noch vor 5 Jahren konnte man die Snowboarderinnen, die von ihrem Sport leben konnten, an zwei Händen abzählen. Das hat sich mittlerweile geändert", sagt auch Vera Janssen. Die deutsche Boarderin ist seit sieben Jahren Profi. Männliche Spitzenfahrer wie der Amerikaner Shaun White oder die norwegische Legende Terje Haakonsen sind längst Multimillionäre. Bei den Mädchen geht es langsam in eine ähnliche Richtung - Torah Bright, 20 Jahre alte Australierin, hat das Zeug zum ersten weiblichen Superstar der Szene. Und mittlerweile ist eine ganze Generation hochtalentierter Snowboarderinnen nachgerückt, die erst Ende der Achtzigerjahre geboren wurden - zu einer Zeit, als Jake Burton und die anderen Erfinder des Snowboardens schon längst hunderte Tiefschneehänge mit ihren Boards durchpflügt hatten. Erst in den letzten Jahren entdeckte die Wintersport-Industrie die Boarderinnen als Zielgruppe. "Nach einem schlechten Winter wie letztes Jahr hätte die Hälfte der Firmen ohne uns Frauen dicht machen können", erklärt Vera Janssen. "Manche Firmen machen mittlerweile 30 Prozent ihres Umsatzes mit Mädchenprodukten."
Sturm am Hang
Oben auf dem Berg, 3000 Meter über dem Meer steht Matthias Hoffmann. Männer wirken beim Roxy Chicken Jam nur im Hintergrund, sind als Organisatoren dabei, als Wettkampfrichter oder Schanzenbauer. Wie Matthias. Der 35-jährige Innsbrucker ist der Contest Director. Er sorgt dafür, dass die Fahrerinnen auf perfekten Rampen antreten. "Der Park ist perfekt", brüllt er gegen den Wind. Mehr als einen Monat hat er mit seinen Kollegen an den Schanzen gebaut - mit Pistenraupen und schwerem Gerät. Jetzt aber macht der Sturm jeden Start unmöglich. Matthias blickt zum Himmel. In seiner weißen Daunenjacke und mit der großen Skibrille sieht er aus wie ein Astronaut. Der Wind peitscht die Schneekristalle über das blanke Eis. "Wir haben Südföhn, in Spitzen mehr als 100 km/h. Der wird so schnell nicht abflauen." Er schüttelt den Kopf. Eigentlich sollte der Contest längst in Gang sein. Stattdessen entscheidet er: Der Wettkampf wird abgeblasen, in einen zweiten Park weiter unten am Berg verlegt, wo es windgeschützter ist. Die Schwerkraft können die Fahrerinnen zwar temporär austricksen. Aber ein Sturm holt auch die besten Boarder zurück auf den Boden der Tatsachen. Die Fahrerinnen sitzen gemeinsam an den Holztischen auf der Hütte an der Mittelstation, reden miteinander, trinken heißen Tee und hoffen gemeinsam auf ein Ende des Sturms.
Abgehoben
Am nächsten Morgen sieht es ganz anders aus. Es ist immer noch eiskalt, aber der Himmel ist strahlend blau, kein Wind. Perfekte Verhältnisse. Als die ersten Fahrerinnen über den Parcours fliegen, staut sich auf der Piste nebenan der Abfahrtsverkehr. "Sind das wirklich Mädchen, die da springen?" fragt ein 16-jähriger Snowboarder ungläubig. Er weiß: Er wird niemals auch nur annähernd so gut werden, wie die Fahrerinnen, die vor ihm reihenweise mehrfache Drehungen springen.
Kjersti Buaas, die Norwegerin, legt einen soliden Lauf hin. Sie springt hoch und weit wie immer, hat aber bei den Landungen leichte Probleme. Bei Torah Bright, der Favoritin und wohl besten Fahrerin im Feld, läuft es gar nicht rund. Sie wagt viel, stürzt und kommt am Ende nicht einmal unter die besten zehn. Das liegt einerseits daran, dass sie einen schwarzen Tag erwischte, andererseits auch, dass es mittlerweile im Feld mindestens zehn Fahrerinnen gibt, die an guten Tagen einen hochkarätig besetzten Wettkampf gewinnen können. "Es ist längst nicht mehr so, dass die Mädels, die hoch springen automatisch gewinnen. Heute springen alle hoch und technisch anspruchsvoll", sagt Christian Reinhardt. Er ist der Head Judge, der oberste Wettkampfrichter.
Kjersti wird letztlich fünfte - und ist trotzdem eine Gewinnerin. Ihr Frontside 360 Stylefish wurde zum besten Sprung des Tages gekürt. Bei den Snowboardern zählt diese Auszeichnung fast genauso viel wie ein Sieg in der Gesamtwertung. Kjersti strahlt: "Das hat wahnsinnig Spaß gemacht heute". Nach der Siegerehrung - die Niederländerin Cheryl Maas siegt vor der erst 17-jährigen Jamie Anderson - sitzen die Fahrerinnen gemeinsam in der Hütte. Sie werden sich heute Abend wieder in Skigebiete auf der ganzen Welt aufmachen. Zu Fotoshootings, Filmaufnahmen und anderen Verpflichtungen, die man als Profi hat. Vera Janssen nach Kalifornien, Kjersti Buaas nach Saas Fee. Und Torah Bright, die eigentliche Favoritin, kann wieder lächeln. Am Kitzsteinhorn bildet sich derweil wieder eine Föhnwolke. Die Sonne verschwindet, der Sturm kehrt zurück.