Roxy Jam 2007 Adrenalin auf Brettern

Von Kai Behrmann
Surfen ist für Crystal Dzigas außer Spaß vor allem eins: Nervenkitzel. Im Duell gegen ihre Freundin und Teamkameradin Kassia Meador erlebte die 23-jährige bei der Longboard-WM die aufreibendsten Minuten ihres Lebens.

Den Kopf gesenkt, das Surfbrett unter dem Arm stapft Crystal Dzigas über den Strand von Biarritz. Am Fuß der Granitfelsen, die steil zur Uferpromenade hinaufführen, bleibt sie stehen, setzt sich auf ihr Board und starrt hinaus auf das Meer. Das Leben als Profi-Surferin könnte so schön sein - wären da nicht die Wettkämpfe. Oder "heats", wie die eins gegen eins Duelle auf dem Wasser um die besten Wellen und elegantesten Kunststücke im Fachjargon der Brettartisten heißen. "Ich bin kein Wettkampftyp", verrät die US-Amerikanerin.

Für Crystal Dzigas bedeutet Surfen in erster Linie eins: Spaß. Nirgends entspannt die 23-Jährige so wie alleine auf dem Brett vor der Küste ihrer Heimat Hawaii. Die fünf Punktrichter bei der Longboard-Weltmeisterschaft der Frauen, die hinter den Glasscheiben eines Containers hoch über dem Strand an der Côte de Basques thronen und in wenigen Minuten jede ihrer Bewegungen beurteilen werden, jagen Crystal Dzigas dagegen Adrenalinschübe durch den zierlichen Körper. "Ich kann mit Stress nicht gut umgehen", gesteht sie. Um ihre Nerven vor einem Wettkampf in den Griff zu bekommen, zieht sie sich bereits einen Tag vorher zurück.

Fast ein bisschen sehnsüchtig wandert ihr Blick für einen kurzen Moment nach links und ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Dort, etwa hundert Meter entfernt, genießen Familien und Freizeitsportler den französischen Nationalfeiertag. Doch Crystal Dzigas erlaubt sich nur eine kurze Konzentrationspause. Rechts neben ihr steht Kassia Meador, die Rivalin um den Einzug in das Viertelfinale. Nicht irgendeine Gegnerin. Die beiden US-Amerikanerinnen gehen nicht nur für das gleiche Team an den Start, sondern sind zudem auch noch gut miteinander befreundet. Heute müssen die Sympathien füreinander allerdings 25 Minuten ruhen. "Am Strand sind wir Freunde, im Wasser Gegnerinnen", stellt Kassia Meador klar. Als eine der wenigen Profi-Surferinnen kann die 23-jährige Kalifornierin von ihrem Sport leben. Sie gilt als eines der Aushängeschilder ihrer Zunft. Auf dem Brett verkörpert sie, was die Faszination des Wellenreitens ausmacht: Technik und Eleganz. Die Preisgelder sind allerdings der kleinste Teil ihres Einkommens. Für den Weltmeistertitel kassiert die Siegerin des Roxy Jam 2007 gerade einmal 5000 US-Dollar. Ein Betrag, über den der siebenfache Surfweltmeister der Männer, Kelly Slater, nur müde lächeln würde. Ohne Sponsoreneinkünfte wären die Reisen an die schönsten Strände der Welt für Meador und Co. nicht möglich.

"Mehr als nur ein hübsches Gesicht im Wasser"

Aber nicht nur in finanzieller Hinsicht haben die Frauen gegenüber ihren männlichen Kollegen Nachholbedarf. Auch bei der Akzeptanz des Publikums hinken sie noch etwas hinterher. Trotzdem: Die Tage, in denen Frauen in knappen Bikinis lächelnd am Strand saßen und die muskelbepackten Beachboys bei ihren waghalsigen Manövern in den Wellen anhimmelten, sind vorbei. "Die Leute sehen uns mittlerweile immer mehr als professionelle Athletinnen und nicht mehr nur als ein hübsches Gesicht im Wasser", sagt Crystal Dzigas.

Drei, zwei, eins, los - aus den Lautsprechern ertönt das Startsignal. Die beiden Freundinnen stürzen sich auf ihre Bretter und durchpflügen mit beiden Armen das Wasser. Crystal hat Glück. Gleich die erste Welle trägt sie. Den einen Fuß an der äußersten Spitze des Brettes, den anderen ein Stück versetzt dahinter gleitet sie parallel zum Strand. "Hang Five" - den Punktrichtern gefällt es, die Zuschauer toben. Bei der Hawaiianerin weicht Zuversicht der Nervosität, dem Duell gegen die Teamkameradin nicht gewachsen zu sein. Doch die gibt sich nicht geschlagen. Kämpft um jede Welle. Mit allen Mitteln. Als die Uhr noch 30 Sekunden anzeigt, wittert sie ihre letzte Chance. Eigentlich ist Crystal Dzigas eher an der Welle, doch der Blick zurück in die Augen ihrer Gegnerin ist Furcht einflößend. "Sie sah so entschlossen aus", sagt Crystal später am Strand, "so, als könnte sie nichts aufhalten." Während Kassia Meador der Welle hinterher jagt, erlebt Crystal tatenlos "die 30 stressigsten Minuten" ihres Lebens. Würde es zum Sieg reichen? Es reichte. 5,55 zu 5,25. Ganze 0,30 Punkte trennen die beiden Surf-Schönheiten als die Schlusssirene schrillt.

Der Fan schlägt sein Idol

Gelöst und mit einem breiten Grinsen steigt die Siegerin aus dem Wasser. Ein Fernsehteam erwartet sie. Ob die Freundschaft mit Kassia Meador durch diesen Sieg leiden wird, will die Journalistin wissen. "Nein, wir sind als Wettkämpferinnen nach Frankreich gekommen und wussten, dass am Ende nur eine vorne stehen kann", sagt die Siegerin. Fast entschuldigend fügt sie hinzu: "Kassia ist eine außergewöhnliche Surferin, zu der ich immer hinaufgeschaut habe." Die Unterlegene schleicht derweil wortlos vom Wettkampfort. Sie braucht eine Weile, um das Ausscheiden zu verdauen. "Es war so knapp, das ist schon ärgerlich", gibt sie zu.

Als Kassia Meador am Abend zum Feiertags-Feuerwerk an den Strand zurückgekehrt, hat sie jedoch ihr Lächeln wieder gefunden - und kann sich auch noch als Siegerin fühlen. Für den elegantesten Wellenritt des Tages erhält die Vorjahres-Fünfte eine Gibson-Gitarre. Den Blues wird sie darauf allerdings nicht anstimmen. Surfen ist mehr als Sieg oder Niederlage. "Surfen ist mein Leben, meine größte Leidenschaft und bedeutet mir alles", verrät Kassia Meador. Und außerdem: "Ich freue mich für Crystal. Alles ist gut."

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