Rugby-WM Götter des harten Aufpralls

Von Iris Hartl, Paris
Er sieht nicht aus wie David Beckham. Trotzdem genießt der baumlange Kerl, Typ Naturbursche, in Frankreich Kultstatus - wie seine Kollegen auch. Sebastien Chabal ist Rugby-Spieler und hat mit der französischen Mannschaft am Wochenende das WM-Halbfinale erreicht. Frankreich steht Kopf.

Sie haben seltsame Spitznamen wie "Bernardo", "Traille de Nay" oder "der Anästhesist". Sie sind stark, schnell, kampfeslustig und haben keine Angst vor dem harten Aufprall. Gemeinsam sind sie "Frankreichs XV". Mit ihrer Leidenschaft für den ovalen Ball haben sie inzwischen auch ihre Landsleute angesteckt. Rugby war zwar schon immer ziemlich beliebt bei den Franzosen, aber was sich momentan im Hexagon abspielt, ist etwas noch nie da Gewesenes. Während anfangs noch Keiner so richtig an die Rugbymänner glauben wollte, werden sie spätestens seit diesem Samstag als absolute Helden gefeiert. Denn da besiegten sie völlig überraschend die gefürchteten "All-Blacks" aus Neuseeland und stehen nun im Halbfinale.

"Der Anästhesist" räumt alles aus dem Weg

"Die Blauen sind Wahnsinn", "unglaublich", "magisch". Die französische Sportzeitschrift "Equipe" überschlug sich nach dem Spiel fast vor Lob für die Rugby-Mannschaft. Da wurde auch großzügig übersehen, dass das entscheidende Tor, mit dem sie schließlich 20 zu 18 in Führung ging, nur gezählt wurde, weil der Schiedsrichter einen Fehler übersehen hat. Und auch insgesamt waren die Neuseeländer spieltechnisch überlegen. Dem französischen Team stand vor Spielbeginn, als ihre Gegner den Haka, einen Furcht erregenden Ureinwohner-Tanz, aufführten die Angst förmlich ins Gesicht geschrieben. Dementsprechend schlecht verlief die erste Halbzeit. Doch nach der Pause, als alle dachten es wäre schon verloren, legten sie auf einmal zu. Wie 1999 gegen Neuseeland im Halbfinale kamen die Franzosen nach der Halbzeit zurück und zeigten es allen.

Zu dem Sieg hat vor allem der eingewechselte Sebastien Chabal beigetragen, der seinem Spitznamen "Anästhesist" wieder einmal alle Ehre machte. Der 1,92 Meter große Hüne ist für seine wilde Kraft gefürchtet. In seinem Kampfeseifer überrennt er auch schon mal einen Schiedsrichter und ist schier nicht aus dem Weg zu bekommen. Er wird wegen seinen langen braunen Haaren und seinem Rübezahl-Bart von seinen Fans auch liebevoll "Höhlenmensch" oder "Rasputin" genannt. Um seine Person ist mittlerweile ein richtiger Mythos entstanden, so dass die französischen Medien von einer wahren "Chabalmania" sprechen.

Harte Kerle in provokanten Posen lassen Frauen schmelzen

Dabei entspricht er eigentlich nicht dem gängigen Schönheitsideal. Er ist kein Beau so wie andere Sportler, sondern vielmehr ein rauer Naturbursche, den man sich nur schwer als sexy Modell in einer Frauenzeitschrift vorstellen kann. Doch genau beim weiblichen Publikum kommt er an. Im September veröffentlichte das People-Magazin "Paris-Match" eine Fotoserie, in der die Spieler als Männer mit harter Schale, aber weichem Kern dargestellt wurden. Chabal sei zum Beispiel ein richtig liebevoller Familienmensch. Da entwickelten plötzlich viele Französinnen Interesse für Rugby.

Neben der Medienberichterstattung hat insbesondere ein Merchandising-Artikel zu der wachsenden Beliebtheit der "Rugbymen" beigetragen: ein Nacktkalender. In pompös-luxuriösem Ambiente oder freier Natur stellen die Profispieler darauf ihre durchtrainierten Körper erotisch zur Schau. Chabal und ein paar Andere sind auf dem Kalender allerdings nicht zu sehen. Ob dies auf ihr Aussehen oder ihren eigenen Wunsch zurückzuführen ist, sei dahin gestellt. Dem Erfolg des Produkts hat das jedenfalls keinen Abbruch getan. Das gute Stück nennt sich "Dieux du stade", zu Deutsch "Götter des Stadions", und wurde von dem Fotografen Steven Klein realisiert.

Der amerikanische Starfotograf hatte schon Leute wie Madonna und Brad Pitt vor der Linse. Als er sich bereit erklärte, die französischen Rugbyhelden abzulichten, stand fest: da kann nur etwas Interessantes dabei herauskommen. Und in der Tat finden die Bilder mit den eingeölten Männerkörpern, bei denen das entscheidende Körperteil stets brav von einem eiförmigen Ball verdeckt ist, reißenden Absatz. Da manche abgebildeten Szenen stark an Schwulenmagazine erinnern, verkauft sich der Kalender auch bei homosexuellen Männern sehr gut. Dies scheint paradox angesichts der Tatsache, dass Rugby eigentlich als Machosport verschrien ist.

Sie träumen davon den Titel zu holen

Offensichtlich hat das französische Rugby es dank dieser WM geschafft, einen Imagewandel zu vollziehen. Die Spieler werden von der Öffentlichkeit als individuelle Persönlichkeiten wahrgenommen. Jeder von ihnen hat eine besondere Ausstrahlung, ein besonderes Talent. Dies haben die Medien gekonnt hervorgehoben und Rugby jenseits gängiger Vorurteile für ein breit gefächertes Publikum interessant gemacht.

Mit der Sympathie der Franzosen auf ihrer Seite, wartet die Mannschaft nun auf nächsten Samstag. Da müssen sich die Spieler gegen England beweisen. Wenn sie gewinnen, stehen sie im Finale. Betrachtet man die aktuelle Stimmung in Frankreich, hat man das Gefühl: mit dieser Mannschaft ist alles möglich. Die französischen Gastgeber träumen im Moment den gleichen Traum wie die Deutschen bei der letzten Fußball-WM: den Titel ins eigene Land holen.

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