Herr Schmidt, Sie beobachten derzeit die Tour in Marseille: Welchen Effekt hatte die Ankündigung von ARD und ZDF, die Live-Berichterstattung zu streichen?
Das hat schon für Aufruhr gesorgt. Vor den Übertragungswagen von ARD und ZDF stehen eine Menge Leute und wollen mit den Verantwortlichen sprechen.
Halten Sie die Reaktion der TV-Sender für angemessen?
Das war konsequent. ARD und ZDF hatten vorher angekündigt, nicht mehr zu berichten, sollte ein Dopingfall auftreten. So ist es nun gekommen. In ein paar Tagen geht es vielleicht weiter.
Dennoch ist das eine bislang beispiellose Reaktion.
Das Problem ist: ARD und ZDF haben jahrelang sehr unkritisch über die Tour berichtet. Nun müssen sie umso schärfer einschreiten. Das Problem ist also auch hausgemacht.
Dr. Achim Schmidt
… ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Natursport und Ökologie der Deutschen Sporthochschule Köln, Radsport-Experte und Initiator einer Antidoping-Initiative: www.cleanrace.de
Werden sich weitere TV-Stationen in Europa dem Boykott anschließen?
Das glaube ich nicht. Jedes andere Land hatte bereits seine Dopingaffäre. Die Spanier mit Fuentes, die Belgier, die Italiener, die Franzosen, die Amerikaner … Nun hat es eben die Deutschen erwischt.
Was bedeutet es für die Tour, wenn ein Medienpartner wie ARD und ZDF ausfällt?
Zunächst einmal nicht viel. Aber es werden sich mittelfristig wohl weitere Sponsoren zurückziehen. Die großen Teams werden das nächstes Jahr spüren.
Ist das Image des gesamten Radsports nicht inzwischen völlig am Boden?
Es hat gelitten, keine Frage. Die größten Opfer jedoch müssen die kleinen Vereine bringen. In Deutschland gibt es jedes Jahr 500 Radrennveranstaltungen. Und wie soll ich den Bäcker um die Ecke oder das Elektrofachgeschäft dazu bewegen, ein Rennen zu sponsoren, wenn sie das Gefühl haben, sie sollen in eine dubiose Geschichte investieren? Problematisch ist natürlich auch der Rückgang an Zuschauern. Das macht den Sport für Investoren noch uninteressanter.
Haben ARD und ZDF damit einen Präzedenzfall geschaffen - und müssten sie nicht, wenn sie konsequent sein wollten, auch die Übertragung der Olympischen Spiele streichen?
Eigentlich schon. Aber der Radsport ist auch eine Ausnahme. Keine andere Sportart ist derart dopingverseucht.
Das Team T-Mobile hatte vor der Tour geprotzt, es würde die härtesten Kontrollen durchführen ...
... und trotzdem war ein Fahrer gedopt. Es ist nun einmal so: Wer auf die vorderen Ränge will, weiß was er nehmen muss, um seine Leistung zu steigern. Also wird im stillen Kämmerlein doch gedopt. Alle präventiven Kontrollen haben versagt. Das sollte uns eine Warnung sein.