Turn-Weltmeisterschaft "Tschusso" im Finale

Ihre WM-Teilnahme für das deutsche Team stand lange auf der Kippe, doch nun hat Oksana Tschussowitina sich auf ihre Art für die rechtzeitige Einbürgerung bedankt. Die 31-jährrige konnte als erste Deutsche seit zwölf Jahren ein Gerätefinale erreichen.

Schon seit 14 Jahren hat sie nicht mehr in einer Mannschaft geturnt. Doch ob Ex-Weltmeisterin Oksana Tschussowitina über ihre Premiere im deutschen Auswahl-Dress wirklich glücklich war, darf bezweifelt werden. Zu dürftig war der Auftritt ihrer jungen Team-Gefährten: Seit nunmehr 20 Jahren turnen die deutschen Frauen der Weltspitze hinterher.

Der Abstand ist in Aarhus eher noch größer geworden, trotz einer "Turn-Oma" Oksana Tschussowitina, die auch mit 31 Jahren ihr Leistungsvermögen ordentlich abrufen konnte und damit fast fünf Punkte mehr turnte als ihre besten Mannschafts-Kolleginnen. Am Dienstag gab es dann dennoch große Freude im deutschen Lager: Mit "Tschusso" zog erstmals seit zwölf Jahren wieder eine Deutsche in ein WM-Gerätefinale ein. Beim Sprung kann sie nun ihr Vorjahrs-Silber vielleicht sogar vergolden.

Bereicherung für das deutsche team

Ihre neuen Teamgefährtinnen freuten sich natürlich riesig über die Verstärkung aus Usbekistan. "Sie strahlt solche Ruhe aus, das beeindruckt uns. Wir können und müssen viel von ihr lernen", meinte die Kölnerin Daria Bijak, die nach dem Hoch im Vorjahr mit WM-Platz acht nun in Aarhus einen bitteren Absturz erlebte.

Gerade mal zehn Tage ist es her, dass "Tschusso" in Köln die Einbürgerungs-Urkunde erhielt. Als der Weltturnverband FIG danach grünes Licht für ihren neunten Start bei Weltmeisterschaften seit 1991 - mit 16 wurde sie schon Titelträgerin am Boden - gab, kündigte sie an: "Ich turne für Alisher und für Deutschland." Ihr fast siebenjähriger Sohn ist ihr Ein und Alles. Für Alisher, der mit drei Jahren schwer an Leukämie erkrankte, wurde sie nun Deutsche. Nach dem sie zuvor für die Sowjetunion, die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) - mit diesem Team wurde sie 1992 Olympiasiegerin - und Usbekistan startete, streifte sie nun das vierte Nationaltrikot über.

Deutschland ist jetzt ihr Lebensmittelpunkt

Dankbar ist sie, dass es Alisher heute wieder gut geht, er sich bewegen kann, wie alle Kinder in seinem Alter. Das war vor vier Jahren noch ganz anders. In Taschkent gab es keine Möglichkeit zur Therapie, in Moskau lehnte man die Behandlung von Alisher ab, wenn sie nicht 20.000 Dollar als Vorauskasse aufbrächte. Dank guter Kontakte zu Gerd-Peter Brüggemann, einem Professor von der deutschen Sporthochschule, führte sie ihr Weg nach Köln. Der Vater der Turnerin Lisa Brüggemann vermittelte sie und ihren Sohn in die Hände eines Spezialisten und sorgte dafür, dass über Spenden die 120.000 Euro Behandlungskosten gedeckt wurden. "Als Alisher am 23. Oktober 2002 nach Köln kam, ging es ihm sehr schlecht. Es war eine Frage von Leben oder Tod", erinnert sich die noch immer nur leidlich Deutsch sprechende Turnerin an die schwersten Stunden für Alisher und die gesamte Familie.

Seit 1997 turnt Tschussowitina schon für das Turnteam Toyota Köln, seit 2002 ist die Rheinmetropole ihr zu Hause. Wenn sie auf lange Reisen geht, kümmert sich ihr Mann, der usbekische Ringer Bachadir Kurbanow, um den Jungen. Auch ihre Mutter hilft, wo sie kann. "Oksana hat für sich entschieden, dass sie ihren Lebensmittelpunkt weiter in Köln haben will, weil sie hier in einer sozialen Gemeinschaft lebt, in der sie sich wohlfühlt", unterstrich DTB-Präsident Rainer Brechtken. Stets legt er Wert darauf, dass es nicht vordergründig darum ging, die schon vor Jahren ins Mittelmaß abgesackte Riege durch den Star aufzuwerten. Dennoch ist Tschussowitina ein Glücksfall für das deutsche Turnen. Ohne sie wäre für die Deutschen schon die Qualifikation für die WM 2007 in Stuttgart ins Wanken geraten.

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