Hunde, wollt ihr ewig rennen? Offenbar. Seit Tagen hecheln sie nun schon durch den Schnee, zerren und ziehen vor den Schlitten. Immer geradeaus, unentwegt. Nicht mal für das Tierische, das allzu Tierische gönnen sie sich Rast. Nehmen kurz das Tempo raus, das Bein hoch, spritzen Ballast ab und spurten weiter. Zähe Burschen, diese Huskies.
Schlappe Burschen dahinter auf den Schlitten. Wir bibbern still vor uns hin. Der Wind fegt eisig von vorn ins Gesicht. Schnee friert an Brauen, Wangen und Lippen fest. Bitter kalt ist es, fast 25 Grad unter null. Und die nächste »Stuga«, die Holzhütte, liegt weit in der Ferne, verdammt weit.
Beeindruckende Nacht
Wie kuschelig warm war es noch gestern Nacht in der letzten Stuga! Wir hatten Holz gehackt fürs Ofenfeuer, ordentlich Fleisch in die Pfanne gehauen, munter geschwatzt, heißen Tee und Grog getrunken.
Dann sind wir raus vor die Tür, einer nach dem anderen. Dick vermummt, die Mützen tief über beide Ohren gezogen, haben wir andächtig in den Winterhimmel geschaut, das Funkeln der Sterne bewundert, ein gigantisches Freiluft-Planetarium. Nur Christer blieb drinnen. Der kennt das schon, der alte Schwede.
Geschäft in einer schneesicheren Region
Christer ist unser Boss. Der 47-Jährige war mal Feuerwehrmann in Göteborg. Hatte aber irgendwann keine Lust mehr auf die Großstadt, zog mit seiner Lebensgefährtin Kristin nach Sörsjön im Westen des Landes, in der Nähe des Wintersportortes Idre. Gründete eine Hundefarm mit mehr als 50 Huskies und anderen Schlittenhunden.
Seit vier Jahren führt er nun im Winter Touristen auf mehrtägige Touren über das Fjäll, die Hochebene. Ein verlässliches Geschäft, denn dieser Teil Skandinaviens gilt als eine der schneesichersten Regionen Europas.
Vor der Kurve bremsen
Sechs Deutsche gehören diesmal zu seinem Tross, dazu Anders, ein junger Schwede, der sich die Tour als Praktikum für die Uni anrechnen lässt. Anders hat schon Erfahrung als »Musher«, als Hundeführer. Wir anderen, Banker, Studenten und ein Rentner, sind Anfänger. Und verlassen uns blind auf Christer, der mit Schmackes vorneweg zieht.
»Auf keinen Fall dürft ihr den Schlitten loslassen«, hat er in einer Teepause gepredigt. »Und bremst vor, nicht in der Kurve. Müsst ihr ein Hindernis umschiffen, dann gebt dem Schlitten einen leichten Schubs. Alles verstanden?«
Verstanden.
Stundenlang stehen
Dumm nur, dass er sonst wenig erzählt. Hat glatt unterschlagen, wie mühsam das ist. Wie die Stahlleinen in die Kniekehlen beißen, wenn's in die Kurve geht. Dass die Waden schlapp machen, weil wir auf schmalen Kufen stundenlang aufrecht stehen müssen wie Ben Hur beim Wagenrennen.
Morgentliche Schneedusche
Nee, Christer ist eher Typ großer Schweiger. Morgens, viel zu früh für uns verweichlichte Städter, rammt er an die Tür der Stuga und holt uns mit einem knappen Gruß aus dem Schlaf.
Weil's kein frisches Wasser gibt, rubbelt er seinen nackten Oberkörper mit einer Handvoll Schnee ab. Wir haben lange gezögert, aber keiner von uns will als Warmduscher verspottet werden; alle folgen seinem Beispiel. Und mampfen hinterher ein paar Rentierwurstbrote zum Frühstück.
Hilfe für die Hunde
200 Kilometer lang ist die fünftägige Tour, die Christer gesteckt hat. Und abwechslungsreich wie ein Etappenrennen im Radsport. Mal wählt er ein leichtes Profil, dann schaffen die Huskies auf gerader Strecke fast 20 Kilometer in der Stunde. Zeit, die schier unendliche Weite zu genießen, dem Knirschen der Kufen zu lauschen, zu träumen.
Dann wieder schickt Christer uns in die Hölle des Nordens. Steile Anstiege sollen wir bewältigen, an denen selbst die kräftigsten Hunde passen. Wir muten ihnen ja auch irre viel zu. 20 Kilogramm Gepäck und zusätzliche Spezialausrüstung schleifen sie hinter sich her, dazu Säcke mit Futter und das Gewicht eines Mannes. Bergan brauchen sie einfach menschliche Hilfe. Dann müssen wir vom Schlitten und schieben.
Der Scheiß mufft aus den Öffnungen
Jeder Schritt durch den tiefen Schnee fällt schwer, unsere Füße sinken bis über die Knöchel in die zähe Masse. Immer wieder hält einer inne, um sich Schnee zur Abkühlung und gegen den Durst in den Mund zu stopfen. Oder einen Müsliriegel, um den stets nagenden Hunger zu dämpfen.
Eine gewaltige Plackerei, bei der sich die Luft in der zwiebelhautartig geschichteten Winterschutzkleidung aufheizt; wir muffen, aus den Öffnungen dampft der Schweiß, aus trockenen Mündern kalter, rauer Atem.
Ist das noch Spaß? Urlaub gar?
Freude an den Hunde
Aber wie! Wir haben ja die Hunde, »unsere« Hunde, die wir längst beim Namen nennen können. Lo und Fina, Aki, Dork und Ugly, die sich abends zu Wollknäueln ballen und vergnügt bellen und rangeln, wenn wir für sie Snackriegel aus dem Rucksack ziehen.
Sie springen uns an, reiben ihr nasses Fell an unseren Ski-Overalls, betteln aus treuen Augen um noch ein Häppchen. Manchmal toben sie so wild, dass der Musher den »Leitwolf« spielen muss und die wildesten mit einem kräftigen Biss ins Ohr zur Räson bringt.
Unvermögen der Großstätter
Und wir haben uns, in unserer ganzen Blödheit. Keiner stellt sich wirklich geschickter an als der Nächste. Schwedische Kommandos haben wir gelernt; »vänster« heißt links, »höger« ist rechts. Doch den Huskies sind die heiseren Befehle meist ziemlich schnuppe.
Bei kleineren Abfahrten touchieren unsere Schlitten immer wieder mal, die Leinen verheddern sich, Hunde purzeln übereinander, wir landen im Schnee. Dann stehen wir da, mitten in einem keifenden Tohuwabohu und warten, dass Christer vorn bremst, umkehrt und geduldig das Chaos entwirrt.
Spartanisches Übernachten
Abends hocken wir bei Kerzenlicht, halten Manöverkritik, lachen über unser Ungeschick und spüren, wie gut es tut, wenn die steif gefrorenen Finger wieder zu kribbeln beginnen und der Schmerz im Nacken und den Beinen wohliger Müdigkeit Platz macht.
Dann würfeln wir aus, wer als »Freiwilliger« den Koch spielen darf. Und wer auf der Isomatte schlafen muss, weil nicht jede Hütte mit genügend Betten für acht Mann ausgerüstet ist. Würfeln darum, wer als Erster mit der Taschenlampe zum Plumpsklo geht.
Kaffeepause als Vision
Die Hunde rennen immer noch. Der Sturm hat endlich eine Auszeit genommen. Allmählich senkt sich die Abendsonne. Schneeflocken tanzen über dem Boden in einer nun leichten Brise, ganz dicht bei dicht. Das Dämmerlicht lässt sie erstrahlen wie ein rot gefärbtes Meer.
45 Kilometer liegen hinter uns, wir haben keine Menschenseele gesehen. Nur in der Ferne mal eine kleine Ansiedlung, die uns kurz in Versuchung führte abzudrehen, auf einen Kaffee Halt zu machen.
Raucher enteisen Schlösser
Wir haben die Idee dann schnell verworfen. Ist ja noch viel zu schaffen, bevor die Nacht hereinbricht. Die Fäustlinge abstreifen, mit klammen Fingern die Karabinerhaken der Hundeleinen öffnen, die Tiere anketten, Wasser in ihr Kraftfutter mischen und ihren Hunger stillen. Holz hacken, Feuer machen, Suppe kochen.
Wenn wir Pech haben, ist das Schloss der Stuga vereist. Dann müssen die Raucher mit ihren Feuerzeugen ran und das Ding mühsam auftauen.
Besser in die Kurven
Eine Nacht noch, eine Tagestour, die wir hoffentlich mit Anstand und ohne Kollisionen hinter uns bringen werden. Christer nutzt eine letzte kurze Rast, unsere Kurventechnik wenigstens theoretisch zu verbessern. Wer nach »höger« biegen will, soll sein Körpergewicht doch bitte auch nach rechts verlagern, »wie beim Motorradfahren.« Ob's hilft?
Der Luxus einer Dusche
Morgen sind wir zurück in Sörsjön. Und übermorgen in Deutschland. Wir werden noch einmal kuscheln mit Lo und Fina, die restlichen Snacks verfüttern. Und vermutlich ein wenig traurig sein. Einerseits. Aber andererseits: Wir werden nicht mehr nachts ein Plumpsklo suchen müssen. Und wieder richtig warm duschen dürfen.
Hat auch was für sich.
von Ludger Voetz