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Fotoprojekt "1000 Dreams" Die eine kann endlich als Frau frei sein, der andere ohne Angst tanzen. Geflüchtete erzählen von ihrem Traum eines neuen Lebens

Portrait von Samen
Sanem: "Die Leute verstehen nicht, dass wir nicht nach Europa kommen, weil es der tollste Ort der Welt wäre"
© Baxi / Witness Change for OSF
Für das Fotoprojekt "1000 Dreams" erzählten Geflüchtete aus aller Welt von ihren Träumen, Ängsten und Wünschen. Fotografiert wurden sie von den Fotografinnen Esra Gültekin, Baxi und Nooshin Sanjabi, die selbst ihrer Heimat den Rücken kehren mussten.

Wax*: "Ich habe so viel Energie in mir. Ich will mich beweisen, mich nicht mehr schämen"

Portrait von Wax
Wax
© Baxi / Witness Change for OSF

"Ich war Tänzer in Lagos. Einmal habe ich einen Musiker gesehen und mir gedacht: Eines Tages wirst du auch auf dieser Bühne stehen! Aber als bisexueller Mann wird man in Nigeria gejagt, das Land ist sehr homophob. Man hat mein Leben bedroht. In Hamburg habe ich im Theater gearbeitet, bis meine Arbeitserlaubnis eingezogen wurde. Was hat das zu bedeuten? Was soll ich ohne machen? Ich habe so viel Energie in mir. Ich will mich beweisen, mich nicht mehr schämen, zeigen, wer ich wirklich bin. Ich hoffe, dass ich als DJ Erfolg haben werde. Wenn ich Musik auflege und die Menschen, die mir zuhören, tanzen, fühle ich mich wohl."

* Name geändert

Sanem: "Heute kann ich tragen, was ich verdammt nochmal will"

Portrait von Samen
Sanem
© Baxi / Witness Change for OSF
Die Stiftung stern unterstützt Initiativen, die sich für die Integration von Geflüchteten engagieren. Wir leiten Ihre Hilfe weiter. IBAN DE90 2007 0000 0469 9500 01, Stichwort „Integration Geflüchtete“
Die Stiftung stern unterstützt Initiativen, die sich für die Integration von Geflüchteten engagieren. Wir leiten Ihre Hilfe weiter. IBAN DE90 2007 0000 0469 9500 01, Stichwort „Integration Geflüchtete“

"Die Leute verstehen nicht, dass wir nicht nach Europa kommen, weil es der tollste Ort der Welt wäre. Wir kommen, weil wir müssen. In der Türkei ging es nach den Gezi-Protesten bergab. Dazu die Zwänge als Frau. Ich habe mich den Normen immer verweigert, ich war immer rebellisch. Aber nachts allein auf der Straße musste ich trotzdem Angst haben. Ich will die sein, die ich sein will – und nicht Rollen entsprechen, die mir aufgedrängt werden von Familie und Gesellschaft. Heute kann ich um zwei Uhr nachts unterwegs sein und die Kleider tragen, die ich verdammt noch mal tragen will. Heute bin ich eine freie Frau."

Hamid: "Ich möchte endlich mein Studium anfangen"

Portrait von Hamid
Hamid
© Baxi / Witness Change for OSF

"In meiner Heimat wurde ich politisch verfolgt. Ich musste mich verstecken, dann bin ich mit meinen Freunden abgehauen. Meine Flucht dauerte 43 Tage. Wir wurden von unseren Schleppern bedroht und beraubt. Sie haben uns alles genommen und gesagt: ‚Wenn ihr umkehrt, bringen wir euch um.‘ Manchmal ist es im Leben so, dass man nicht mehr zurückkann. Dass es nur noch vorwärts geht. Und daran glaube ich. Ich möchte mir jetzt ein Leben aufbauen, ein kleines, ruhiges Leben. Ich will nicht jemand sein, der seinen Träumen nur im Fernsehen zusieht. Ich möchte meine eigenen Träume leben. Und das heißt: Ich möchte endlich einen Job oder ein Studium anfangen, das ist es, was ich brauche.

Mana*: "Eines Tages möchte ich mein Land wiedersehen, meine Stadt"

Potrait von Mana
Mana*
© Nooshin Sanjabi / Witness Change

"Im Iran ist man als Frau an den Vater oder Ehemann gebunden, sie sind wie deine Besitzer. Man nimmt uns Frauen nicht ernst. Ich will aber ernst genommen werden. Ich wollte nach Großbritannien fliehen, am Hamburger Flughafen haben sie mich schon herausgegriffen. Vor der Unterkunft in Berlin, in der ich gelandet bin, haben sich jeden Freitag Flüchtlingsgegner versammelt und Steine geschmissen. Am liebsten wäre ich Anwältin, dann könnte ich die Armen und Schwachen beschützen. Im Iran war ich für eine Weile Sozialarbeiterin in einem Jugendgefängnis. Ich wünschte, ich könnte den Kindern, die dort eingesperrt sind, helfen. Die können doch nichts dafür, dass sie falsch erzogen wurden und auf die schiefe Bahn geraten sind. Eines Tages möchte ich mein Land wiedersehen, meine Stadt und die Straßen ablaufen, die ich kenne."

* Name geändert

Mudi: "Wieso ich mich so offen im Internet zeige? Weil es mein Recht ist"

Portrait von Mudi
Mudi
© Nooshin Sanjabi / Witness Change

"Ich liebe das Nachtleben! Nachts, als Dragqueen, kann ich frei sein. Auch deshalb arbeite ich in einem Club, organisiere Partys, mache die Kasse. Und ich will auf Social Media für meine Fans ganz offen sein. Ich komme ausSyrien, aber dort gab es kein Leben für mich. Meine Träume waren zu groß für Syrien. In Dubai, wohin ich zuerst floh, war es nicht viel besser. Es gab keinerlei Schwulenrechte. In Deutschland haben sich meine Probleme gelöst. Aber wenn ich durch Berlin laufe, gucke ich trotzdem über meine Schulter. Die arabische Community droht mir: ‚Wenn wir dich finden, töten wir dich.‘ Wieso ich mich dann trotzdem so offen im Internet zeige? Weil es mein Recht ist!"

Konte*: "Ich bin jung, ich bin gesund, aus mir kann was werden"

Portrait von Konte
Konte*
© Baxi / Witness Change for OSF

"Ich bin seit 2014 in Deutschland. Sieben Jahre! Und trotzdem habe ich noch keine Arbeitserlaubnis. Ich habe den Behörden gesagt: Ich bin jung, ich bin gesund, aus mir kann was werden. Wieso gebt ihr mir jeden Monat 350 Euro? Lasst mich eine Ausbildung machen! Lasst mich arbeiten! Mehr will ich gar nicht, das ist mein Traum. Nicht mehr auf Sozialleistungen angewiesen sein. Steuern zahlen in einem freien Land. Ich möchte in der Altenpflege arbeiten. Ich sehe doch, wie die Alten hier leiden. Über mich soll man sagen: Dieser Junge war mal ein Flüchtling, aber heute hat er es geschafft, heute ist er ein guter Typ, der seinen Teil beiträgt."

* Name geändert

Javier: "Eines Tages möchte ich auch hier als Journalist arbeiten"

Portrait von Javier
Javier
© Baxi / Witness Change for OSF

"Ich hätte nie gedacht, dass ich irgendwann mal mein Land verlassen würde. Ich liebe mein Land doch. Ich hatte Familie, ein festes Gehalt, ein gutes Zuhause. Aber ich bin Journalist und habe in Nicaragua für eine Zeitung gearbeitet, die gegen das politische System und die Regierung angeschrieben hat. Wir waren unbequem. Deshalb wurde die Zeitung geschlossen. Die Regierung lässt regimekritische, freie, unabhängige Journalisten gnadenlos verfolgen. Ich wollte meine Familie nicht länger gefährden, also bin ich fortgegangen. Jetzt lebe ich in einem Container. Ich kannte niemanden, als ich nach Deutschland kam. Ich habe erst mal einen Putzjob gemacht, und ich lerne die Sprache. Eines Tages, davon träume ich, möchte ich auch in Deutschland wieder als Journalist arbeiten."

Sarah: "Ich wollte zu den Olympischen Spielen"

Portrait von Sarah
Sarah
© Esra Gultekin / Witness Change for OSF

"Viele Menschen kennen meine Geschichte. Und das ist okay. Meine Schwester und ich, wir sind die Syrerinnen, die ein Boot bis nach Lesbos mitgezogen haben. Was hätten wir tun sollen? 15 Minuten nachdem wir abgelegt hatten, ging der Motor aus. Wir sind Schwimmerinnen, in Syrien schon gewesen, also sind wir geschwommen. Dreieinhalb Stunden, bis die Küste in Sicht kam. Und alle, die auf diesem Boot waren, wurden gerettet. Wir wussten einfach: Wir wollen leben. Wir dürfen nicht aufhören. Aber bin ich deshalb eine Heldin? Ich bin Schwimmerin. Als Kind habe ich geträumt, Gold bei Olympia zu holen, und alle stehen auf, wenn die syrische Hymne ertönt. Heute will ich selbst Geflüchteten helfen. Ich arbeite bei Projekten wie der Seenotrettung mit. Wir müssen eine Lösung für das finden, was in Europa die Flüchtlingskrise genannt wird."

Erschienen in stern 48/21

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