Carhartt gilt nicht nur in den Vereinigten Staaten als eine der beliebtesten Marken für Arbeits- und Freizeitkleidung. Nun rufen Republikaner und die amerikanische Neue Rechte zum Boykott auf. Das Unternehmen hatte am Donnerstag eine allgemeine Impfpflicht für seine Angestellte verkündet.
In kaum einem westlichen Land verläuft ein so tiefer Graben durch die Bevölkerung wie in den Vereinigten Staaten. Seit Beginn der Pandemie ist die Unterscheidung der beiden gesellschaftlichen Lager allerdings nicht mehr nur an den politischen Parteien, dem sozio-ökonomischen Status oder der Hautfarbe zu erkennen, sondern zusätzlich auch am Impfstatus.
Zwischen Michigan und Hollywood
Eine Marke, welche in der Vergangenheit stets als Ausnahme der Regel galt, war Carhartt. Der Modekonzern aus Michigan erfreute sich sowohl bei den Farmern der republikanischen Peripherie als auch in den demokratisch geprägten Metropolen großer Beliebtheit. Seit der Gründung 1889 stand man für robuste Kleidung hart arbeitender Menschen.
In den vergangenen Jahren hat sich der Konzern mit seiner Linie "Work in Progress" auch in der Fashion-Szene Europas und Amerikas einen Namen gemacht. Carhartt-Jeans und -Mäntel waren ähnlich zu ihrem großen Konkurrenten Levi’s sowohl auf Baustellen im Rust Belt als auch auf dem roten Teppich der Golden Globes zu sehen.
Lange Zeit schien Carhartt diesen Balanceakt problemlos zu meistern. Nun erfährt die Firma erstmals einen größeren Shitstorm. Das Unternehmen hat sich mit der Gewerkschaft auf eine allgemeine Impfpflicht geeinigt. Ab Mitte Januar sollte jeder der 5500 Angestellten in den Vereinigten Staaten einen gültigen Impfnachweis vorzeigen können.
Supreme Court kippt Impfpflicht
Ähnlich wie in Deutschland, wird die Impfpflicht derzeit auch in Amerika in nahezu allen Sendern und Zeitschriften debattiert. Der Supreme Court kippte erst kürzlich die Pläne von US-Präsident Joe Biden für eine solche Verordnung in staatlichen Behörden. Im Gegensatz zu anderen großen Unternehmen wie Starbucks, welche seither von ihren ursprünglichen Positionen Abstand genommen haben, will Carhartt weiter an seiner internen Impfpflicht festhalten.
"Die Sicherheit unserer Mitarbeiter besitzt an unseren Arbeitsplätzen die höchste Priorität. Die Entscheidung des Supreme Court ändert an dieser Einstellung nichts", gab CEO Mark Valade unter der Woche bekannt. "Während wir anerkennen, dass es hierzu unterschiedliche Meinungen gibt, wollen die Unternehmensführung und die Gewerkschaft unserer Angestellten beim Gesundheitsschutz keine Kompromisse machen. Eine ungeimpfter Teil der Arbeiterschaft ist ein Risiko, was wir nicht eingehen möchten."
Konservative rufen zu Boykott auf
Die Diskussion steht sinnbildlich für den politischen Umgang mit der Supreme-Court-Entscheidung. Bereits kurz nachdem Valades Statement im Internet die Runde machte, meldeten sich einige prominente Mitglieder der republikanischen Partei zu Wort. Die konservative Anwältin Moll McCann schrieb auf Twitter, die Entscheidung wäre ein Schlag ins Gesicht der Farmer und Arbeiter, welche die Vereinigten Staaten groß gemacht hätten und ihre Freiheit und Werte bis heute verteidigen. Die bekennende Impfgegnerin rief daraufhin zum Boykott von Carhartt auf.
Am Donnerstag trendete der Hashtag #boycottcarhartt für einige Stunden auf Twitter. Neben einer Flut an hassvollen Kommentaren und Tweets gab es allerdings auch Verständnis und Unterstützung für den Schritt. Auch Georgias Abgeordnete Rebecca Mitchell stellte sich hinter das Unternehmen.
Die Diskussion schlug wohl besonders hohe Wellen, da Sportartikelhersteller Nike in der vergangenen Woche ebenfalls verkündet hatte, an seiner Impfpflicht festhalten zu wollen. Seit dem 15. Januar haben alle Arbeiter:innen am Nike-Hauptsitz ihren Job verloren, wenn sie den monatelangen Impfaufrufen nicht nachgekommen sind.
Mehrheit befürwortet Impfpflicht am Arbeitsplatz
Amerikanische Impfgegner:innen fühlen sich von den Einschränkungen zunehmend in die Ecke gedrängt. Die Auswirkungen eines tatsächlichen Boykotts fallen wohl dennoch überschaubar aus. Nur wenige Tausend Arbeitnehmer:innen seien wirklich bereit, ihren Job aufgrund ihrer Impfskepsis aufzugeben, berichtet National Public Radio (NPR). Laut dem Sender machen diese radikalen Impfgegner:innen kaum ein Prozent der Belegschaft aus.
Eine Studie des amerikanischen Meinungsforschungsinstitut Gallop ermittelte Mitte Dezember, dass 55 Prozent der US-amerikanischen Arbeiterschaft eine Impfpflicht am Arbeitsplatz begrüßen würde. Bisher ist allerdings nur ein Drittel der Arbeiternehmer:innen von einer solchen Vorschrift betroffen. Durch die Entscheidung des Supreme Courts werden wohl auch nicht viel mehr dazukommen.
Auch Carhartt erklärte gegenüber dem US-Sender CBS, dass die Diskussion im Netz in keiner Weise die Atmosphäre am Arbeitsplatz widerspiegeln würde. Ein Großteil der eigenen Mitarbeiter:innen sei bereits seit langer Zeit geimpft. Zusätzlich würde man jeden Antrag auf religiöse oder medizinische Befreiung von der Regelung unvoreingenommen prüfen. Die ursprünglich für Mitte Januar festgelegte Frist wurde bis zu 15. Februar verlängert.
Quellen:BBC, CBS, NPR, Highsnobiety