Am vergangenen Samstag hätte es Wolfgang Clement fast wieder geschafft. Mit der rechten Hand in der Sakkotasche und vorgestrecktem Kinn wiederholte er vor 100 Unternehmern in der Stadthalle Rostock das Versprechen der Bundesregierung, "dass jeder Jugendliche, der ausgebildet werden will, auch einen Ausbildungsplatz erhält". Dann warnte er vor den "Horrorzahlen", die über den Lehrstellenmangel kursierten, um schließlich bei seiner Sicht zu landen, wonach dieses Jahr am Ende nur "zwischen 20.000 und 40.000 Lehrstellen fehlen". Eine Summe, die man noch schaffen könne... wenn alle sich anstrengen... usw.
Die Herren im Saal schienen kurz davor, einzunicken, als eine Hand voll Jugendlicher die Bühne stürmte. Linda Schütz, 23, die derzeit von einem Minijob lebt, stellte sich hinter Clement und forderte, "diese Heucheleien der Politik" nicht mehr hinzunehmen. "Wir wollen keine bescheuerten Warteschleifen oder Praktika, wir wollen echte Lehrstellen."
Zeittotschlagen bis zum nächsten Bewerbungstermin
Die junge Frau hat Recht. Clements geschönte Zahlen werden selbst bei der Bundesanstalt für Arbeit nicht mehr ernst genommen. So geben die Experten der Nürnberger Behörde zu, dass in diesem Jahr etwa 40 Prozent der Jugendlichen, die eine Lehrstelle suchen, keine finden werden.
Ein Blick aufs vergangene Jahr verdeutlicht die Misere: Werden die Statistiken der Handwerkskammern, der Industrie- und Handelskammern mit der des Arbeitsamtes verknüpft, kommt man auf rund 936.000 Lehrstellensuchende in ganz Deutschland. Davon erhielten nach Angaben der Kammern 512.000 eine richtige Lehrstelle, das sind gerade mal 55 Prozent. Weitere 60.000 bekamen eine staatlich finanzierte, außerbetriebliche Lehrstelle in einem Ausbildungszentrum. Die restlichen 39 Prozent (364.000 Jugendliche) verschwanden aus der Statistik, weil sie zum größten Teil in Warteschleifen geparkt werden. So wurden mehr als 34.000 Jugendliche in diverse Grundlehrgänge gesteckt, die sie aufs Berufsleben vorbereiten sollen (G-Lehrgang, F-Lehrgang. Tipp-Lehrgang, BBE-Lehrgang). Knapp 12.000 Jugendliche absolvierten ein Berufsgrundschuljahr (BGJ) oder ein Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) - für die meisten reines Zeittotschlagen bis zum nächsten Bewerbungstermin.
Jahr für Jahr landen Jugendliche in Warteschleifen
Weiteren 45.000 Schülern wurde nahegelegt, noch mal ein Schuljahr, etwa die zehnte Hauptschulklasse, zu belegen. Weitere 64.000 Jugendliche, die keine Lehrstelle fanden, absolvierten eine Berufsfachschule oder eine sonstige "berufsbildende Schule", die aber zu keinem Berufsabschluss führen. Dazu kommen 68.000 junge Leute, die sich arbeitslos melden oder jobben, um die Zeit zu überbrücken, und 12.000, die den Wehrdienst, Zivildienst oder ein freiwilliges soziales Jahr machen.
42,8 Prozent aller Bewerber sind Schulabgänger aus vorherigen Jahren. "Wir schieben da einen immer größeren Bug vor uns her", klagt Volker Rebhan, 48, Referatsleiter bei der Bundesanstalt für Arbeit. "Jahr für Jahr landen immer weniger Jugendliche in Ausbildung und immer mehr in Warteschleifen." In diesem Jahr ist die Zahl der Lehrstellenbewerber etwa genauso groß wie im vergangenen Jahr, während die Zahl der Lehrstellen bundesweit um knapp zehn Prozent zurückging.
Für Clement sicher ein schöner Erfolg
Wie der Mangel verwaltet wird, sieht man an der Klasse 9d der Werner-von-Siemens-Schule in Schwerin, einer ganz normalen Hauptschulklasse. Mitte Juli hatten von 24 Schülern nur vier eine Lehrstelle. Heute sieht die Situation ähnlich mies aus: Nur zwei Schüler haben noch eine echte Lehrstelle gefunden: einer als Fleischer in Schwerin, der andere ist nach Wuppertal gezogen, um eine Ausbildung als Großhandelskaufmann zu beginnen. Sechs Schüler hoffen auf eine staatliche Lehrstelle im IHK-Ausbildungszentrum. Eine Schülerin hat sich um einen berufsvorbereitenden Lehrgang beworben. Zwei wiederholen die 9. Klasse, acht der Schüler machen ein zehntes Hauptschuljahr, obwohl das ihre Chancen, später eine Lehrstelle zu finden, kaum erhöht.
Bis auf einen Schüler, der immer noch nichts gefunden hat, werden die Schüler der Klasse 9d nach der Definition des Bundeswirtschaftsministers Ende des Monats als vermittelt gelten. Aus der Statistik der Lehrstellensuchenden sind sie dann verschwunden. Für Wolfgang Clement sicher ein schöner Erfolg.