Herr Gropp, die deutsche Wirtschaft ist im dritten Quartal mal wieder geschrumpft – wenn auch nur knapp um 0,1 Prozent. Wie sehr müssen uns solche Zahlen alarmieren?
Einzelne Daten sollten uns nie großartig besorgen. Gerade vor dem Hintergrund der langfristigen Transformation nicht. Kurzfristige Daten wie die Q3-Wirtschaftsleistung sind allenfalls ein kleines Warnzeichen, dass wir einige strukturelle Probleme haben. Die haben wir definitiv, denn sonst hätten andere Industrieländer ganz ähnliche Zahlen. Im Gegensatz zu uns wachsen die aber.
Warum stehen wir denn so viel schlechter da als unsere europäischen Nachbarn oder die USA, wenn die Herausforderungen doch grundsätzlich ähnlich sind?
Das hat mehrere Gründe. In erster Linie natürlich die Energiestrategie, der Umstieg vom russischen Gas auf andere Energielieferanten und erneuerbare Formen. Deswegen stehen Frankreich durch sein Atom- und die USA durch ihr Fracking-Programm gerade besser da. Und das spielt geradewegs in den Konsum hinein, der knapp 70 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Wenn die Energiepreise hoch sind, können sich die Menschen weniger leisten. Wenn die Menschen nicht konsumieren, schrumpft die Wirtschaft zunächst – bis irgendwann höhere Löhne durchgesetzt sind. Hier werden wir in den kommenden Monaten aber einen gewissen Aufholeffekt erleben.
Genau so sieht es das Ifo-Institut, das für das vierte Quartal mit einem leichten Wachstum rechnet. Vor allem aufgrund der steigenden Kaufkraft. Würden Sie unterschreiben?
Ja. Wir haben relativ langfristige Lohnabschlüsse in Deutschland, was in puncto Planungssicherheit gut ist. Wenn die Inflation dann aber mal überraschend stark steigt, kommt es zu einem vorübergehenden Kaufkraftverlust. Irgendwann haben sich die Löhne aber an das neue Preisniveau angepasst. Diesen Aufholeffekt erleben wir jetzt.
Neben gestiegenen Löhnen erholt sich die Kaufkraft gerade durch sinkende Energiepreise. Das klingt doch alles sehr rosig.
Ja, wobei: das können wir langfristig nicht wollen. Unser Ziel ist die Klimaneutralität bis 2045. Und wenn wir das wirklich wollen, brauchen wir höhere Energiepreise.
Wie bitte?
Höhere Energiepreise führen einerseits dazu, dass wir weniger Energie verbrauchen. Und zweitens liefern sie Unternehmen Anreize, effizientere Verfahren zu entwickeln.
Da spricht der Ökonom. Aber glauben Sie, dass sich das in reale Politik übersetzen ließe? Beim Gebäudeenergiegesetz gab es zuletzt massive Widerstände.
Lust hat darauf niemand. Auch ich zahle lieber weniger für meine Energie. Deswegen muss das Ganze ja auch sinnvoll flankiert und kommuniziert werden. Geringverdiener müssen in diesen Paketen netto entlastet werden. Und mehr zahlen müssen diejenigen, die weiter an fossiler Energie hängen wollen. Gute Unternehmen überlegen sich bei höheren Preisen sehr genau, ob sie nicht doch ihre Produktion umstellen wollen. Diese Umstellung können wir dann mit Subventionen begleiten.
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Das klingt ja ein wenig nach der Idee des Klimagelds: Die Einnahmen aus CO2-Preisen werden gleichmäßig an alle ausgezahlt und dafür CO2-intensive Produkte teurer. Diejenigen, die weniger dieser Güter verbrauchen profitieren und Großverbraucher zahlen mehr. Gute Idee?
Ja, das kann man alles tun. Das zentrale Element jeder Strategie ist einfach, und muss lauten: Wer CO2 produziert, muss mehr dafür zahlen. Da führt kein Weg dran vorbei.
Das würden aber zunächst massive Kostensteigerungen für Privathaushalte und Unternehmen bedeuten.
Ja, bis wir unsere Energie irgendwann komplett aus erneuerbaren Energien beziehen. Bis dahin hätten wir steigende Energiepreise, und die sollten wir auch nicht verhindern – aber, wie gesagt, flankiert durch Entlastungsmaßnahmen.
Robert Habeck hat in der vergangenen Woche seine neue Industriestrategie vorgestellt. Auch dort ging es viel um Energiepreise – er will sie aber senken. Hat Sie die Strategie also nicht überzeugt?
Grundsätzlich wurden die drei Herausforderungen dort richtig diagnostiziert. Wir haben geopolitische Probleme, Fachkräftemangel und die Transformation zur Klimaneutralität. Ich glaube aber, dass der Industrie zu viel Bedeutung beigemessen wird. Rein von den Zahlen steht sie nur noch für 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Seit 1991 sind drei Millionen Industriearbeitsplätze verloren gegangen, aber gleichzeitig zehn Millionen Stellen in anderen Branchen entstanden – vor allem im Dienstleistungsbereich. Das zeigt, wie massiv die Transformation ist, aber auch, wie gut sie funktioniert. Und deshalb ist es für mich schon ein falscher Ansatz, wenn die Bundesregierung sagt, sie wolle den Trend umkehren. Dazu würde ich die einzelnen Herausforderungen anders angehen.
Woran denken Sie?
Mir geht es vor allem um die aktive Förderpolitik, um die Standortbedingungen zu verbessern. Wenn er darunter versteht, dass wir Forschung und Entwicklung fördern sollten, dann würde wohl jeder zustimmen. Wenn er aber meint, dass man einzelne Fabriken, einzelne Sektoren subventionieren sollte, um Chipfabriken wie die von Intel anzusiedeln, dann halte ich das für eine sehr schlechte Idee.
Was schlagen Sie stattdessen vor?
Zwei Dinge: Wir müssen zum einen die Rahmenbedingungen verbessern. Und damit hätten wir schon genug zu tun. Allein mit dem Bürokratieabbau. Das sagen wir zwar seit Jahrzehnten, aber trotz einiger Verbesserungen wird es unterm Strich immer schlechter. Das Problem ist das Selbstverständnis vieler Beamter. Um es mal ökonomisch zu formulieren: Das Wohl der Unternehmen ist kein Teil der Beamten-Nutzenfunktion. Es ist ihnen egal, ob irgendein Unternehmen wegen irgendeiner Regel schließen muss. Und dieses Verständnis ist in anderen Ländern wie der Schweiz komplett anders. Wenn ich dort eine Fabrikhalle bauen will, hilft mir der Leiter des Bauamtes dabei. Und das zieht sich noch durch viele andere Bereiche.
Und zweitens?
Müssen wir uns auf Europa und unsere Verbündeten fokussieren – also eine globale Wertegemeinschaft mit Demokratien wie den USA, Japan oder Südkorea bilden. Das führt zu einer viel pragmatischeren Politik als die Insel EU, die umgeben von Feinden ist.
Benötigte Energie und Rohstoffe kommen aber selten aus Demokratien.
Richtig, deswegen müssen wir diversifizieren. Ob das jetzt Länder in Afrika, Südamerika oder Asien sind: Alle mögen für sich genommen politisch instabil sein. Wir dürfen aber nie wieder in eine Abhängigkeit geraten wie bei russischem Gas – und zwar bei keinem wichtigen Rohstoff.
Damit würden Vorprodukte deutlich teurer werden. Für viele Unternehmen könnte sich die Produktion in Deutschland nicht mehr rechnen.
Ja, das viel zitierte Chemieunternehmen. Hier sind zwei Dinge wichtig: Der Chemieindustrie muss einerseits unmissverständlich klar gemacht werden, dass es keinen subventionierten Strompreis gibt. Dann kann sie überlegen, ob sie bestimmte Produkte nicht mehr in Deutschland herstellen will. Das macht, zweitens, aber nur Sinn, wenn man das mit europäischen Klimazielen verbindet. Wenn wir zum Beispiel Klimazölle einführen, dann ist es egal, wo das CO2 ausgestoßen wird. Der Preis wäre indifferent mit einer Produktion in Europa. Ich nehme an, dass viele Unternehmen dann doch lieber in einem stabilen Umfeld wie Europa produzieren – beziehungsweise ihre Produktion grüner machen. Am Ende wären wir dadurch wettbewerbsfähiger.
Dieses Interview erschien zuerst an dieser Stelle beim Wirtschaftsmagazin "Capital", das wie der stern zu RTL Deutschland gehört.