Australien Gummibärchen des Grauens

Sarah Faupel
Andere Länder, andere Sitten - auch beim Zoll. Australien zum Beispiel hat ein sehr strenges Quarantäneregime: da kommt selbst ein kleines Gummibärchen nicht so schnell dran vorbei.

Sie hat es nur gut gemeint. Nein, böswillige Absicht ist ihr wirklich nicht zu unterstellen. Eigentlich war es sogar unglaublich lieb von ihr, mir den langen Flug von Düsseldorf nach Brisbane mit einem kleinen Überraschungspaket zu versüßen. Wer kann denn schon ahnen, dass einem fünf Gummibärchen soviel Ärgern bescheren können. Fünf kleine, unschuldige, Gummibärchen mit 0 Prozent Fett.

Schon kurz nach dem Start

überwiegt meine Neugier. Ohne den nötigen Respekt vor dem liebevoll eingepackten Paket reiße ich das Geschenkpapier ab und den Karton auf: eine Frauenzeitschrift, Kinderschokobons, eine Liste mit den bitte nicht zu vergessenden Mitbringseln und eine Tüte Gummibärchen. "Damit dir auf dem langen Flug nicht langweilig wird oder du verhungerst, bevor du in Australien überhaupt angekommen bist", lese ich auf der Karte. Wie lieb.

Die Kinderschokobons sind schnell aufgegessen, die Frauenzeitschrift durchgeblättert, die Liste mit den ja nicht zu vergessenden Mitbringseln unauffindbar unter die Sitze drei Reihen hinter mir gerutscht. Mein Hintern tut jetzt schon weh, die Füße kribbeln. Ich probiere die Zehengymnastik gegen drohende Thrombose auf Seite 37 aus. Mein letzter Reiseproviant, die Gummibärchen, sind fällig. Sind ja nur noch fünf Stunden bis zum langersehnten Zwischenstopp in Singapur.

Angeblich soll der Flughafen

in Singapur mit einer der schönsten und der sauberste der Welt sein. Das hat mir zumindest die Frau im Reisebüro erzählt, wahrscheinlich wollte sie mir nur den sechsstündigen Aufenthalt dort schmackhaft machen. Aber es stimmt wirklich. Das Flughafengebäude zu verlassen traue ich mich allerdings nicht. Ist mir zu unsicher - wenn einem schon beim Kaugummikauen eine deftige Geldstrafe oder gar Haftstrafe droht.

Singapur - Brisbane. Der letzte Flug. Langsam wird's langweilig. So weit weg kann das andere Ende der Welt doch gar nicht sein. Das Kind und die ständigen Tritte in meine Rücklehne nerven, ebenso mein Sitznachbar, über dessen Lebensgeschichte ich nun schon eine dreibändige Biographie schreiben könnte. Nur die Gummibärchen halten mich noch bei guter Laune. Eine Stewardess verteilt Zoll- und Einreise-Formulare. Kann Australien nicht der EU beitreten? Dann müsste ich mich nicht mit so einem Schnick-Schnack rumquälen.

Schwangerschaft, nein,

unerlaubte Einfuhr von Lebensmitteln, nein, Vorstrafen...waren ein langes Strafregister vor rund 200 Jahren nicht Voraussetzung, um in dieses Land einreisen zu dürfen? "Was ist mit meinem Kuschelkissen, enthält Gänsefedern", frage ich die Stewardess. "Ausnahmsweise. Aber beim nächsten Mal lassen Sie es bitte zu Hause". Wie bitte? Das sollte ein Scherz sein.

Kurz bevor wir das Flugzeug verlassen dürfen, wird der Flieger mit Desinfektionsmittel ausgesprüht. Die spinnen doch, die Aussies. Bin ich Ungeziefer? Ich wurschtel mich durch die Menschenmengen zum Gepäckband durch. Wie immer kommt mein Koffer - der mit den Marienkäfer-Aufkleber drauf, damit ich ihn auch wieder erkenne - mit als letzter an. Ich bin müde und könnte eine Dusche vertragen. Schon über 24 Stunden bin ich jetzt unterwegs.

Plötzlich spüre ich

etwas nasses an meinem Hintern. Erschrocken drehe ich mich um. Ein kleiner brauner Hund mit wedelndem Schwanz schnüffelt an mir und meinem Rucksack herum. "Haben sie Lebensmittel oder Rauschgift im Rucksack?" fragt mich ein großer, bärtiger Mann in einer neon-orangen Weste, scheinbar der Besitzer des kleinen Hundes und Zollbeauftragter hier am Flughafen. "Nein", erwidere ich. Mehr ist nicht aus mir herauszukriegen. Muss mich schließlich erstmal an die fremde Sprache gewöhnen.

Die nächste Kontrolle. Mein Rucksack verschwindet durch die Röntgen-Röhre. Die Kontrolleurin lächelt und wünscht mir einen schönen Aufenthalt. Puh, geschafft. Ich atme tief durch. Das Abenteuer Australien kann kommen.

Zu früh gefreut.

Nochmal anstehen. Pass vorzeigen, Zoll- und Einreiseformulare abgeben. "Kann ich bitte Ihren Rucksack sehen." Erst will ich protestieren, doch dann reiche ich der Frau resigniert meine Tasche rüber. Wie viel Aufmerksamkeit verdient eigentlich ein so kleiner Beutel? Nun gut, die Handtasche einer Frau gehört zu den wenigen noch zu erforschenden Geheimnissen dieser Welt, aber man kann's auch übertreiben.

Meine Zahnbürste und Zahnpasta, meine fünf Bücher, die ich nicht mehr in den Koffer bekommen habe, meine Sonnenbrille, mein CD-Player, meine dreckigen Flugzeug-Socken und mein Kuschelkissen mit Gänsefedern sind auf dem Tresen verstreut, für jedermann hinter mir in der immer größer werdenden Schlange sichtbar. So was mag ich ja gar nicht. Schon mal was von Intimsphäre gehört? "Was haben wir denn da?", fragt die Frau mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich versuche mich zu verteidigen: "Die Stewardess im Flugzeug hat gesagt, ich darf das Kissen mit rein nehmen."

Doch es ist nicht

das Kissen, das die Aufmerksamkeit der Frau geweckt hat. Triumphierend hält sie die aufgerissene, fast leere Packung Gummibärchen in die Höhe. "Das haben Sie nicht in ihren Formularen deklariert", tadelt mich die Frau. Ups, die hab ich wohl vergessen. "Es sind ja auch nur noch fünf Stück drin, und die sind wohl kaum der Erwähnung wert", sage ich. Ich nehme eins der Gummibärchen, ein gelbes, die ich eigentlich gar nicht mag, und stecke es mir in den Mund. "Vier, um genau zu sein".

Zitat:

Und wer am Zoll sitzt, ohne reich zu werden, ist ein Pinsel.
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

Die Frau schaut mich böse an. "Das ist nicht lustig. Das kostet Sie 220 Dollar". Wie bitte? Ich frage noch mal nach, schließlich ist mir der australische Slang noch nicht ganz vertraut. "220 Dollar". Was geht denn bitte hier ab? Ich denke an meine viel- und weitgereiste Freundin. Hat sie mir die Gummibärchen extra untergejubelt, weil sie neidisch auf meinen Australien-Urlaub ist? In meinem Kopf spielen sich im Schnelldurchlauf sämtliche Foltermöglichkeiten ab. Nein, rede ich mir immer wieder ein, sie hat es ja nur gut gemeint. "Das sind fünf, nein vier Gummibärchen, um die sie so ein Theater machen!" protestiere ich gereizt. Die Leute hinter mir fangen an zu murren. Ich bekomme einen Zettel vor die Nase geschoben. Ich lese: Bei Ankunft in Australien wird sämtliches Gepäck geröngt oder von Quarantänebeamten und Spürhunden kontrolliert. Wenn Sie quarantänepflichtige Gegenstände nicht deklarieren oder wegwerfen oder falsche Angaben machen,
- werden Sie erwischt
(ach ne!)
- können Sie mit einem Bußgeld von A$ 220 bestraft werden; oder
- können Sie strafrechtlich verfolgt und mit einer Strafe von über A$ 60.000 belegt werden und riskieren 10 Jahre Freiheitsstrafe

"Ah, dann hab ich wohl mit 220 Dollar noch Glück gehabt oder was?" Ihr Blick bleibt böse. Verstehen die hier gar keinen Spaß? Strategiewechsel: Die Mitleidstour: Es tut mir leid, ich hab die Gummibärchen einfach vergessen, ich wusste nicht, dass ich selbst so etwas deklarieren muss...bla bla bla. Die Frau zeigt sich ungerührt. Dafür gebe es schließlich die Formulare, auf denen solche Informationen drauf ständen. Mist, Mist, Mist! Kann diese kaltherzige, besserwisserische Frau kein Mann sein, der auf ein bisschen Augengeklimper hereinfällt?

Plan B also:

"Wissen Sie, ich habe all meine Ersparnisse - und da kommt man als Student nicht wirklich auf größeren Summen - zusammengekratzt, um in dieses faszinierende Land zu reisen und...

Das ist nicht fair, ein gerichts-ähnliches Plädoyer in einer fremden Sprache halten zu müssen... "und vor allem", gurre ich weiter, "diese unglaublich hilfsbereiten Menschen kennen zu lernen, von denen man auf der ganzen Welt schwärmt..." Jetzt ist es raus und ich habe eine riesige Schleimspur im ganzen Flughafengebäude hinterlassen.

Sie bemüht sich,

wirklich, aber es klappt nicht. Ein kleines spöttisches Grinsen kann die Frau einfach nicht unterdrücken. Jetzt kommt's bestimmt, das "Ich-will-ja-mal-nicht-so-sein". "Ich will ja mal nicht so sein", sagt die Frau. Puhh, ich sollte über eine Umschulung zur Schauspielerei nachdenken... "Aber ich warne Sie!" Hergott, hat das hier denn nie ein Ende? "Sie sind nun bei uns im Computer registriert. Sie dürfen sich keine Ausrutscher mehr erlauben. Sonst dürfen Sie gleich wieder die Heimreise antreten". Hallo, hab ich jemanden zusammengeschlagen? Es geht um - mittlerweile - vier Gummibärchen, ich buchstabiere: v-i-e-r. Ich gehe.

Zwei Wochen später: Selber Ort, ähnliche Uhrzeit, andere Statisten. In meinen kühnsten Albträumen habe ich mir nicht ausmalen können, so schnell an den Ort des Grauens zurückkehren zu müssen. Aber ich hätte mir ja denken können, dass man als Praktikantin bei einem lokalen Fernsehsender einen Beitrag über die Arbeit eines für den Zoll schnüffelnden Hundes am Flughafen drehen muss.

Und schwups,

kaum begrüße ich die Hunde besitzenden Zollfahnder hab ich schon gleich zwei nasse Schnauzen an meinem Popo kleben. "Die mögen Sie wohl. Oder haben Sie etwa Lebensmittel oder Drogen im Rucksack?" "Ja", gebe ich zu. "Das ist hier offenbar die einfachste Art, unglaublich nette Menschen kennen zu lernen."