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Corona-Krise "Ein guter Zeitpunkt, um das Grundeinkommen auszuprobieren"

Michael Bohmeyer MeinGrundeinkommen
Michael Bohmeyer ist Gründer und Vorsitzender des Berliner Vereins "MeinGrundeinkommen"
© MeinGrundeinkommen
Könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen uns durch den Corona-Wirtschaftscrash helfen? Grundeinkommens-Aktivist Michael Bohmeyer erklärt, welche Chance er für das Konzept in der Krise sieht.

Mit seinem Verein "MeinGrundeinkommen" treibt Michael Bohmeyer seit 2014 die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen voran. Der Verein verlost regelmäßig einjährige Grundeinkommen von 1000 Euro im Monat - finanziert durch Spenden. Bohmeyers 2019 erschienenes Buch "Was würdest du tun?" über die Erfahrungen seiner Gewinner wurde ein Bestseller (mehr dazu lesen Sie hier). Wir haben mit ihm über das Grundeinkommen als mögliches Mittel gegen Existenzangst in der Corona-Krise gesprochen.

Herr Bohmeyer, Sie erproben mit Ihrem Experiment seit Jahren im Kleinen das bedingungslose Grundeinkommen. Nun bedroht die Corona-Krise Millionen Bürger in ihrer wirtschaftlichen Existenz. Der perfekte Zeitpunkt, um das Konzept endlich umzusetzen?

Es ist ein guter Zeitpunkt, um das Grundeinkommen einfach mal auszuprobieren. Weil es jetzt eine offensichtliche Notwendigkeit gibt. Und wir hätten die Chance, zu lernen, was passieren würde, wenn jeder Mensch 1000 Euro garantiert hätte. Würde es die Konjunktur stabilisieren? Würde es Arbeitsplätze sichern, weil Leute in ihrem Gehalt runtergehen können und damit vorübergehend ihren Arbeitgeber retten könnten? Wir könnten herausfinden, ob ein Grundeinkommen tatsächlich ein Schlüsselbaustein sein kann, um die Gesellschaft krisenfester zu machen.

Sie sagen, wir sollten das Grundeinkommen einfach mal ausprobieren. Dahinter steckt aber ein radikaler Systemwechsel. Denn mit der Einführung des Grundeinkommens fallen laut gängiger Theorie andere staatliche Leistungen wie Arbeitslosengeld und Sozialhilfe weg. Würde das inmitten dieser chaotischen Lage nicht zu noch mehr Chaos führen?

Wir müssen hier unterscheiden. Einen Systemwechsel auf ein dauerhaftes bedingungsloses Grundeinkommen macht man nicht mal so eben und das sollte man jetzt sicher nicht übers Knie brechen. Was wir jetzt als Gesellschaft ausprobieren sollten, sind kurzfristige Geldzahlungen an alle, wie es die USA machen. Das ist erstmal nur ein Sofortprogramm gegen die Krise. Ein nachhaltiges Grundeinkommen funktioniert dagegen nur, wenn man gleichzeitig eine Umverteilung in Form einer Steuerreform organisiert. Das heißt: Jeder Mensch bekommt Grundeinkommen, aber alle müssen dafür auch mehr Steuern zahlen, sodass am Ende nicht jeder 1000 Euro mehr in der Tasche hat. Aber jeder hat mindestens 1000 Euro und damit mehr Sicherheit.

Die Bundesregierung will mit ihrem Corona-Hilfspaket unter anderem Selbstständige und Kleinunternehmer mit milliardenschweren Hilfen unterstützen. Ist das nicht der bessere Weg: bestimmte Gruppen gezielt zu unterstützen statt mit der Gießkanne ein bisschen Geld an jeden zu verteilen?

Tatsächlich ist es in Krisenzeiten sinnvoll, Menschen zu unterstützen, bei denen die Not am größten ist. Aber beim Grundeinkommen geht es letztlich darum, keine Unterscheidung mehr zwischen Gruppen zu machen, sondern das Potenzial in allen Menschen zu entfalten. Wir merken bei unserem Experiment, dass das Grundeinkommen vor allem bei denen wirkt, die es rein rechnerisch überhaupt nicht brauchen, die aber trotzdem die ganze Zeit eine Existenzangst mit sich rumtragen. Die das Gefühl haben, immer weiter rennen zu müssen, um nicht unterzugehen. Und dieses Gefühl rauszunehmen, würde kreative und produktive Potenziale in der Gesellschaft freilegen. Das ist aber natürlich etwas anderes, als im Krisenfall Bedürftigen zu helfen.

Sie würden also trennen zwischen akuter Krisenhilfe und einem Grundeinkommen als Dauerlösung?

Was jetzt passiert, das ist Aufgabe des Sozialstaats. In Not geratenen Menschen zu helfen und das möglichst unbürokratisch - wobei abzuwarten bleibt, ob das funktioniert. Aber das Grundeinkommen ist eigentlich keine sozialstaatliche Maßnahme, sondern ein neuer Gesellschaftsvertrag. Wir einigen uns darauf, dass wir uns die unteren 1000 Euro von dem Geld, das wir ohnehin haben, bedingungslos gewähren, um die Spannung aus dem Überlebenskampf rauszunehmen.

Die vorübergehende Akuthilfe würden Sie aber - wie beim Grundeinkommen - jedem geben?

Ja. In Krisen haben wir immer Unternehmen Geld gegeben, das ist sicher auch funktional gewesen. Aber am Ende geht es darum, dass wir konsumieren. Marktwirtschaft heißt halt eben Massenkonsum. Ich denke, wir können darauf vertrauen, dass die Menschen nicht nur Alkohol und Zigaretten kaufen, sondern sinnvolle Investitionen tätigen, um ihr normales Leben zu bewältigen. Und dies auszuprobieren, darin liegt die Chance dieser Krise. Wenn wir das einmal gelernt haben, und gemerkt haben, die Welt geht nicht unter, können wir in aller Ruhe weiter übers richtige Grundeinkommen debattieren.

Corona-Krise: "Ein guter Zeitpunkt, um das Grundeinkommen auszuprobieren"

Was für Rückmeldungen bekommt Ihr Verein in den letzten Tagen?

Es gibt einen starken Zulauf an Anmeldungen, auch an Spenden. Darunter sind sehr viele Freiberufler, Selbstständige, viele Einzelkämpfer, die häufig von der Hand in den Mund leben. Die das auch mit Stolz tun. Aber es geht eben nicht mehr, wenn alle Aufträge wegbrechen. Wir kriegen viele Hilferufe, Menschen die ihre Geschichten erzählen. Viele, die nicht zum Amt gehen wollen.

Selbst wenn jetzt auf die Schnelle kein wie auch immer ausgestaltetes Grundeinkommen beschlossen wird. Denken Sie, dass die Chancen, dass es kommt, nach der Krise höher sind?

Ich könnte mir vorstellen, dass wir eine ganz neue Debatte bekommen über Grundabsicherung, weil einfach viel mehr Menschen davon betroffen sein werden und sich das Thema nicht mehr so leicht an den Rand drängen lässt. Beim Grundeinkommen wird immer davon gesprochen, dass keiner mehr arbeiten würde, wenn das Geld einfach so kommt. Aber jetzt haben wir eine Situation, dass viele nicht mehr arbeiten können. Die Leute wollen, aber sitzen zu Hause und können nicht. Also genau das, was uns durch den Wegfall von Jobs in der Digitalisierung sowieso drohen könnte. Gleichzeitig üben wir jetzt Kulturtechniken wie flächendeckendes Home Office, kürzere Arbeitszeiten, familienfreundliche Arbeitszeiten. Es wird sichtbar, dass ein anderes Leben möglich ist. Das könnte dem Thema bedingungsloses Grundeinkommen einen entscheidenden Schubs geben.

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