Handel Stahlzölle auch in den USA umstritten

Tag der Entscheidung: Das Weltschiedsgericht in Handelssachen wird diesen Montag sein Urteil verkünden, ob die US-Schutzzölle rechtens sind. US-Präsident Bush sitzt in jedem Fall in der Klemme.

"Die amerikanischen Stahlzölle brechen uns das Genick", sagt Nels Leutwiler. Er ist Chef des Auto- und Elektronikzulieferers Parkview Metal Products aus Chicago. Dass Leutwiler jeden siebten seiner vormals knapp 500 Beschäftigten entlassen musste, liegt aus seiner Sicht vor allem an den Zöllen. Sie trieben die Stahlpreise in die Höhe. Damit gerieten Leutwilers Produkte gegenüber asiatischen Herstellern ins Hintertreffen. Die Stahlindustrie ist hingegen heilfroh über die Importbarrieren. "Die Stahlindustrie wurde von unfairem Wettbewerb ramponiert", sagt Tom Usher, Chef des Branchenprimus United States Steel (USS).

Vergeltungszölle über zwei Milliarden Dollar drohen

In Kürze könnte sich entscheiden, ob US-Präsident George W. Bush die Schutzzölle vorzeitig aufhebt oder die vollen drei Jahre laufen lässt. An diesem Montag (10. November) verkündet das Weltschiedsgericht in Handelssachen, die Welthandelsorganisation (WTO) in Genf, voraussichtlich das Urteil im Berufungsverfahren gegen die USA. Im Juli hatte die WTO der Europäischen Union und sieben weiteren Nationen Recht gegeben und die US-Schutzzölle für unrechtmäßig erklärt. Bestätigt die WTO ihr Urteil, könnten die Kläger Vergeltungszölle für amerikanische Güter in Höhe von mehr als zwei Milliarden Dollar (1,75 Mrd Euro) erheben. Damit wären in Amerika zehntausende Arbeitsplätze in Gefahr.

Keine klaren Zahlen über die Auswirkungen

Wie viele Jobs die Stahl-Schutzzölle bislang gerettet und vernichtet haben, ist unter Experten äußerst umstritten. Die Stahl verarbeitende Industrie - vertreten durch die Consuming Industries Trade Action Coalition - legte Studien vor, in denen von bis zu 200.000 verlorenen Jobs die Rede war. Im Namen der Stahlhersteller erklärte das American Iron and Steel Institute (AISI), 16.000 Jobs seien in der Stahlbranche wieder hergestellt und mehr als eine Million Arbeitsplätze bei Zulieferern gesichert worden. Die US-Handelsbehörde ITC, Fürsprecher der Importschranken, geht von einem Verlust von knapp 400 Millionen Dollar an Arbeitsleistung in den USA aus. Das entspricht maximal 12.000 Arbeitsplätzen. Der Wirtschaftswissenschaftler wie Gary Hufbauer hält es für realistisch, dass die Importbarrieren rund 25.000 Jobs in der stahlverarbeitenden Industrie gekostet haben - im Vergleich zu nur 5.000, die in der Branche geschaffen wurden.

Primäres Ziel durch Zölle erreicht

Ihr primäres Ziel haben die Zölle nach Ansicht der Stahlindustrie aber auf jeden Fall erreicht. "Die Zölle bewirken genau, was sie sollten: Sie ermöglichen es Amerikas Stahlindustrie zu konsolidieren, restrukturieren und gesund aus der Krise hervorzugehen", sagt AISI- Präsident Andrew Sharkey. 3,6 Milliarden Dollar sind in den vergangenen 18 Monaten in Akquisitionen geflossen. USS hat die insolvente National Steel gekauft und die International Steel Group die maroden Firmen LTV, Bethlehem Steel und Acme Steel übernommen.

Konsolidierung eher durch Tarifvertrag erreicht

"Die Befürworter der Schutzzölle haben nie wirklich erklärt, wie die Schutzzölle die Konsolidierung beschleunigt haben", kritisiert Hufbauer. Höhere Stahlpreise verbesserten auch die Geschäftslage maroder Firmen und trieben damit die Preise für Akquisitionen in die Höhe. "Die Schutzzölle haben vor allem mehr Geld in die Taschen der Gläubiger gespült", sagt der Ökonom. Nach Ansicht von Marktbeobachtern hat insbesondere ein neuer Tarifvertrag, der drastische Einsparmaßnahmen erlaubt, die Konsolidierung vorangebracht. Die starke Stahlarbeitergewerkschaft USWA konnte dabei durch Zugeständnisse gewonnen werden, die mit den höheren Einnahmen der Konzerne bezahlt werden sollen.

Gewerkschaft mobilisierte Anhänger

"Sie können uns nicht nach halber Wegstrecke den Teppich unter den Füßen weg ziehen", sagt der USWA-Direktor im Bundesstaat Indiana, Mike Millsap. Um Druck zur Beibehaltung der Zölle zu machen, hat die Gewerkschaft ihre Mitglieder mobilisiert. Im September gingen Zehntausende auf die Straße. "30.000 Stahlarbeiter vor dem Weißen Haus - so haben wir die Zölle im Jahr 2002 bekommen", erinnert sich Millsap.

Bush sitzt in der Klemme

Für Präsident Bush ist das politische Kapital wohl auch erheblich wichtiger als die Stahlzolleinnahmen, die nach Angaben der US- Handelsbehörde ITC 650 Millionen Dollar jährlich betragen. Der Präsident steht vor einer schwierigen Entscheidung: Behält er die Zölle nach einer WTO-Niederlage bei, könnten Vergeltungsaktionen aus Europa politische Gegner stärken. Stoppt Bush hingegen die Zölle, könnte ihn das bei der Wahl im November 2004 Stimmen in Stahl produzierenden US-Bundesstaaten kosten.

DPA
Arno Schütze