Arbeitslosengeld I "Umverteilung hat hier nichts verloren"

SPD-Chef Beck will das Arbeitslosengeld I länger an Ältere auszahlen. Leider - meint Hilmar Schneider, Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Institut zur Zukunft der Arbeit. Im Gespräch mit stern.de erklärt er, warum zu viel Sozialstaat hier nur schadet.

Was halten Sie von dem Vorschlag von Kurt Beck, das Arbeitslosengeld I (ALG I) für Ältere länger auszuzahlen?

Der Vorschlag bringt uns ein Stück weit dahin zurück, woher wir gekommen sind: Das heißt, es werden sich wieder mehr ältere Arbeitnehmer arbeitslos melden.

Wie können Sie sich da so sicher sein?

Es ist ein bekannter Effekt, den Versicherungsexperten "moral hazard" (zu deutsch "sittliche Versuchung") nennen: Jede Versicherung beeinflusst durch bestimmte Anreize das Verhalten ihrer Versicherten. Der Einzelne geht dann sorgloser mit dem Risiko um als er es ohne Versicherung täte. Auf diese Weise führt die Versicherung in gewissem Ausmaß das Risiko herbei, vor dem sie eigentlich schützen soll.

Zu Hilmar Schneider

Der renommierte Arbeitsmarktexperte ist Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA). Seine Forschungsschwerpunkte umfassen neben der Arbeitsmarktpolitik unter anderem Fragen der Sozialen Sicherung, der Lohnpolitik und der Demographie.

Was bedeutet das nun für das Arbeitslosengeld für Ältere?

Die Arbeitslosenversicherung erzeugt den Anreiz, am Ende des Erwerbslebens wieder das rauszuholen, was man da eingezahlt hat. Und je größer der Versicherungsanspruch, desto größer die Versuchung. Das hat bereits in der Vergangenheit dazu geführt, dass Unternehmen ihre Angestellten zwei oder drei Jahre früher verabschiedet haben: Die Unternehmen kündigten den Betroffen und zahlten zusätzlich zum ALG I noch Abfindungen. Das fanden dann alle Beteiligten gut. Gezahlt hat das dann allerdings auch jemand: Die Beitragszahler, die noch im aktiven Erwerbsleben stehen. Und diejenigen, die wegen der hohen Lohnnebenkosten ihren Job verloren haben, sieht man zwar nicht, doch der Effekt ist da.

Haben das die Hartz-Reformen geändert?

Ja, für Unternehmen ist das Entlassen von Älteren nun nicht mehr so attraktiv wie vor der Hartz-Reform. Man muss sich nur mal die Statistik anschauen. Die Erwerbstätigenquote der Älteren hat innerhalb von drei Jahren von 40 auf 50 Prozent zugelegt. Das ist das Ergebnis der veränderten Bezugsbedingungen und der veränderten Frühverrentungsmöglichkeiten. Und da ist noch kein Ende des Trends absehbar. Diesen Effekt will Beck jetzt wieder kaputt machen.

Aber Kurt Beck argumentiert, Ältere hätten es schwerer bei der Stellensuche und bräuchten länger Hilfe.

Wenn man so argumentiert, sind das selbsterfüllende Prophezeiungen. Ältere haben auch deswegen keine Chancen, weil man sie dazu anregt, das Arbeitslosigkeitsrisiko aktiv herbeizuführen. Und weil sie dank Arbeitslosengeld und Abfindung schon abgesichert sind, ist die Chance gering, dass die noch mal einen Job finden, wo sie noch mehr verdienen. Denn diese Sorte Jobs ist nicht so häufig.

Es gibt also gar kein echtes Problem mit Arbeitslosigkeit im Alter?

Die falsche Frühverrentungspolitik hat in Deutschland auch die mentale Wahrnehmung verändert. Wir denken, dass Ältere auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben. Aber man muss nur nach Norwegen oder in die Schweiz gucken, wo das faktische Renteneintrittsalter bei 65 liegt. Ältere haben also sehr wohl eine Chance. Wir haben sie nur hierzulande systematisch kaputt gemacht. Mittlerweile denken auch Personalchefs, dass Ältere nicht mehr so leistungsfähig sind.

Mehr zum Thema...

lesen Sie im aktuellen stern Heft 43/2007: "Beck irrt! - Fünf Thesen gegen den Populismus

Kann man berechnen, was das ALG I die Solidarkassen und die Beitragszahler kostet?

Wenn Sie heute 18 Monate früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden, dann verbrauchen Sie die Versicherungsbeiträge von 24 Jahren. Das bedeutet, dass Sie von den 40 Jahren, die im Durchschnitt jemand erwerbstätig ist, nur etwa 14,5 Jahre (anderthalb Jahre Frührente muss man ja von den 40 Jahren abziehen) überhaupt Beiträge gezahlt haben zur solidarischen Absicherung des Arbeitslosigkeitsrisikos. Das heißt aber auch: Wenn es nur um die Absicherung des Arbeitslosigkeitsrisikos geht, könnten die Beiträge eigentlich um bis zu zwei Drittel niedriger sein. Faktisch dürfte die Arbeitslosenversicherung etwa 2 Prozentpunkte teurer sein, als sie sein müsste. Und das kostet ungefähr 200.000 Arbeitsplätze. Denn die Faustregel lautet: Ein Prozentpunkt Beitragssatz zur Sozialversicherung kostet ungefähr 100.000 Arbeitsplätze.

Und wenn das ALG I wie von Beck gefordert auf 24 Monate ansteigt?

Bei 24 Monaten müssten Sie schon 32 Beitragsjahre aufwenden, das heißt, für das solidarische Risiko blieben dann nur noch sechs Jahre übrig. Wir brauchen aber offenbar, wenn man von dem heutigen Risiko ausgeht, 14,5 Jahre. Um diese Lücke zu schließen, müsste man also den Beitragssatz mittelfristig entsprechend erhöhen, mindestens um geschätzte 0,7 Prozentpun kte. Und das würde dann noch mal weitere Arbeitsplätze kosten. Über den Daumen gepeilt würde ich sagen, da gehen mindestens noch mal 100.000 Arbeitsplätze bei drauf. Man muss den Leuten auch mal vorrechnen, was sie eigentlich für diesen Unfug zahlen.

Was würden Sie den Menschen raten?

Es müsste auch weniger Begabten einleuchten, dass die Arbeitslosenversicherung keine gute Idee ist, wenn es um Vorsorge-Sparen geht. Wenn man mit einem niedrigeren Beitragssatz auskäme, indem man die Frühverrentungsmöglichkeiten einschränkt, könnten die Versicherten die Differenz zum tatsächlichen Beitragssatz sparen. Da kommt am Ende mit Zinseszins garantiert mehr raus als das, was ich heute aus der Arbeitslosenversicherung ziehe. Dort wird das Geld ja für alles Mögliche ausgegeben, weil die Bundesagentur für Arbeit dem Gesetzgeber unterworfen ist. Und der neigt dazu, das Geld für nutzlose Arbeitsmarktpolitik und die Umlenkung in den Gesamthaushalt zu vergeuden.

Und der Sozialstaat soll sich komplett zurückhalten?

Der Sozialstaat kann sehr wohl mit den Bedürftigen großzügiger umgehen. Wenn er dafür sorgt, dass nur diejenigen Sozialleistungen beziehen, die wirklich darauf angewiesen sind. Dazu müsste man eine Art Eigenbeteiligung einrichten: Man könnte zum Beispiel dafür sorgen, dass jemand, der wenig arbeitslos war, einen Teil seiner Beiträge zur Rentenversorgung mitnehmen darf. Oder man richtet zum Beispiel je nach Berufsgruppe risikoabhängige Wahltarife ein. Wer ein hohes Arbeitslosigkeitsrisiko hat, müsste mehr zahlen. Denn es ist ein typisches Phänomen: Wer zu zu günstigen Konditionen versichert ist, geht auch zu leichtfertig mit der Inanspruchnahme um. Und wer zu viel zahlt, sucht im Gegenzug nach Möglichkeiten, das Geld wieder rauszuholen. Umverteilungsaspekte haben in der Sozialversicherung nichts verloren. Die führen nur zu Verhaltensweisen, die der Solidargemeinschaft insgesamt schaden. Das mag ein Sozialdemokrat nicht wahrhaben wollen, aber das ist einfach so.

Interview: Roman Helfik

PRODUKTE & TIPPS