Wie es der SPD so geht nach diesem verlängerten Parteitags-Wochenende? Sagen wir mal so: Es geht noch. Irgendwie. Manfred Güllner und sein Forsa-Institut haben die Sozialdemokraten zwar kurzerhand mit Hilfe der befragten Bürger auf 11 (elf) Prozent runtergeratet. Aber das ist jetzt keine wirkliche Überraschung. Überraschender ist da schon, dass sich die Partei nicht endgültig zerlegt hat – und die Regierung gleich mit. Weit davon entfernt war sie nicht nach dem Mitglieder-Votum für das Anti-Groko-Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Man kann das zentrale Ergebnis dieses Parteitags am besten mit den Worten eines Ministerpräsidenten zusammenfassen: Es hat zwar keinen Aufbruch gegeben, aber wenigstens auch nicht den von vielen befürchteten Abbruch. Dafür ein paar Gewinner und etliche Verlierer – wobei die Trennlinie nicht immer ganz leicht zu ziehen ist.
Die Gewinner des SPD-Parteitags
- Ohne Frage und mit großem Abstand: Kevin Kühnert. Der talentierteste 30-Jährige in der deutschen Politik seit langer, langer Zeit. Oder noch länger. Der Shooting-Star der SPD. Ein brillanter Redner und noch besserer Strippenzieher. Hielt die beste Rede des Parteitags, hatte aber jenseits von Arbeitsminister Hubertus Heil auch keine große Konkurrenz. Hat Esken und Walter-Borjans zum Parteivorsitz verholfen; viele halten ihn sogar für den heimlichen Vorsitzenden. Gibt gute Gründe für diese Annahme. Parteivize ist er schon mal, das hat noch kein amtierender Juso-Chef vor ihm geschafft. Könnte die SPD vielleicht tatsächlich mal in eine neue – und bessere – Zeit führen und wie einst Oskar Lafontaine wieder von sich selbst begeistern. Darf sich nur auf dem Weg dahin nicht in seinen Strippen verheddern.
- Norbert Walter-Borjans. Der Mann war in seinem langen Arbeitsleben unter anderem: Regierungssprecher, Staatssekretär, Minister. Fast drei Jahrzehnte in der Regierungsverantwortung. Trotzdem hat er es geschafft, sich als Mann des Anti-Establishments zu inszenieren und von der SPD-Basis an die Spitze der Partei katapultiert zu werden. Muss man auch erst mal hinkriegen. Steht jetzt in einer Reihe mit August Bebel und Willy Brandt. Allerdings stehen in dieser Reihe auch Kurt Beck oder Rudolf Scharping, der auch nach einem Mitgliederentscheid Vorsitzender wurde. Lange geblieben ist er es nicht.
- Angela Merkel. Hat einigermaßen friedliche Weihnachten vor sich. Muss nicht bei Grünen und FDP anklopfen, ob die nicht doch eventuell für die Aussteiger-SPD einspringen würden, nur um sich von beiden einen Korb zu holen und dann selbst vor der Frage zu stehen: Auch flüchten? Oder standhalten und mit einer Minderheitsregierung mindestens bis Herbst weiterregieren? Kann nun auch weiter Annegret Kramp-Karrenbauer auf Distanz halten (siehe unter Verlierer). Lernt nach Müntefering, Platzeck, Beck, Steinmeier, Gabriel, Schulz, Nahles, Scholz, Schäfer-Gümbel. Dreyer und Schwesig mit Walter-Borjans ihren 12. SPD-Verhandlungspartner kennen. Kleiner Wermutstropfen: Der eigentlich nette Herr Nowabo bringt auch Saskia Esken als Nr. 13 mit. Andererseits: Seit Putin mal seinen imposanten Hund zum Treffen mitnahm, schreckt Merkel so leicht nichts mehr.
- Olaf Scholz. Nein, wir sind nicht in der Kategorie verrutscht, wirklich nicht. Für den Finanzminister galt: Nach der Niederlage ist vor dem Sieg. Hat mit seiner Schlappe im Mitgliederentscheid mit hoher Wahrscheinlichkeit die Große Koalition gerettet. Denn beides hätten die Delegierten kaum übers Herz gebracht: Scholz zum Vorsitzenden wählen zu müssen – und ihn auch noch weiterregieren zu lassen. Ist zwar nicht mehr Partei-Vize, aber als Vizekanzler in allen wichtigen Sitzungen und bei allen Entscheidungen beteiligt.
- Saskia Esken. Von ihrer Rede bleiben vor allem sechs Worte haften: "Klare Kante, klarer Kurs, klare Sprache." Ein Satz von Münteferingscher Schlichtheit und Größe. Außerdem nicht nur ihre Anforderung an die SPD, sondern auch eine passende Selbstbeschreibung. Hält viel von sich und ihren Fähigkeiten. Das unterscheidet sie von einer ganzen Menge Genossen. Fiel bei der Wahl auf dem Parteitag klar gegenüber ihrem Partner Walter-Borjans ab. Aber wie Willy Brandt gesagt hätte: 75,9 Prozent sind auch ein schönes Ergebnis.
Die Verlierer des SPD-Parteitags
- Saskia Esken. Wollte raus aus der Groko. Lieber gestern als morgen. Die Ansage war einer der Gründe, warum sie an die Partei-Spitze gewählt wurde, wenn nicht sogar der einzige. Muss sich nun gedulden, möglicherweise bis ans reguläre Ende der Legislaturperiode. Und in als Parteivorsitzende in einer Bundestagsfraktion sitzen, in der sie bislang als eher isoliert galt – und in der sie wenig zu bestimmen haben dürfte.
- Annegret Kramp-Karrenbauer. Stimmen die Gerüchte, die in den vergangenen Tagen durch Berlin schwirrten, dann hoffte die CDU-Chefin regelrecht darauf, dass sich die SPD auf knallharte Nachverhandlungen des Koalitionsvertrags versteifen– und ihr damit zum Aufstieg ins Kanzleramt verhelfen würde. Sie hätte dann, so das Ondit, die Koalition aufgekündigt, Neuwahlen angestrebt und sich die Kanzlerkandidatur gesichert. Kann sie nun knicken. Vorläufig jedenfalls.
- Dietmar Niethan. Der Schatzmeister ist im wahrsten Sinne die ärmste Sau der SPD. Amtiert sozusagen am Ende der Nahrungskette. Weil die Wähler der SPD weglaufen, gibt es immer weniger Wahlkampfkosten-Erstattung; zudem schrumpft die Zahl der Mitglieder, ergo schrumpfen die Beiträge. Heißt: Niethan muss sparen und Stellen streichen. Weil die Kohle fehlt, sollte es künftig nur noch drei statt sechs Partei-Vizes geben. Dagegen sprach der innerparteiliche Frieden. Weil eine Kampfabstimmung zwischen Hubertus Heil und Kevin Kühnert und damit eine sichtbare Spaltung der SPD vermieden werden sollte und gleichzeitig die Quote erfüllt werden musste, gibt es künftig fünf Stellvertreter. Die geplante Verkleinerung der Parteitage von 600 auf 450 Delegierte verhinderten die Delegierten. Wer schafft sich schon gerne selber ab. Niethan kann jetzt nur hoffen, dass er künftig weniger außerordentliche Parteitage bezahlen muss. Prognose: Die Hoffnung wird trügen.
- Peter Hartz. Ist jetzt in seiner Transformation als Hartz IV "überwunden", zumindest im Sprachgebrauch und laut jüngster Beschlusslage der SPD. Soll durch ein "Bürgergeld" ersetzt werden. Was das bedeutet? Erst mal nicht sehr viel mehr als eine semantische Änderung, den Abschied vom verhassten Wort. Wenn's der Parteifriedensfindung dienlich ist…
- Michael Müller und Ralf Stegner. Stehen am Ende beziehungsweise kurz vor dem Ende ihrer politischen Karrieren. Stegner kam als SPD-Vize in den Parteitag und ging als Nichts heraus. Er scheiterte mit seiner Bewerbung für einen der 24 Beisitzerplätze im Parteivorstand. 290 Stimmen wären im ersten Wahlgang nötig gewesen, Stegner bekam 165. Im zweiten Wahlgang trat er nicht mehr an. Müller kam als Regierender Bürgermeister, ging auch als solcher. Aber das Zeichen des Parteitags dürfte er verstanden haben. Franziska Giffey, die ihn beerben könnte und wohl auch will, bekam 327 Stimmen, Müller 168. Auch Müller verzichtete wie Stegner auf die Zweitklatsche.
- Dirk von Lowtzow und seine Band Tocotronic. Müssen weiter auf Gema-Gebühren aus der Kasse von Dietmar Niethan verzichten. Die Genossen singen zum Abschluss gerne wahrheitswidrig "Wann wir schreiten Seit' an Seit'" statt auf einen passenderen Klassiker aus der Hamburger Schule zurückzugreifen: