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SPD-Parteitag So sieht also eine Zeitenwende bei der SPD aus

Die neuen SPD-Parteichefs Norbert Walter-Borjans and Saskia Esken
Die neuen SPD-Parteichefs Norbert Walter-Borjans and Saskia Esken
© Michele Tantussi / Getty Images
"In die neue Zeit", da will die SPD hin. Wo ist das? Wann soll das sein? Die Fragen bleiben auf dem Parteitag mitunter ungeklärt. Protokoll einer Zeitenwende, die auch ein Aufbruch in die Ungewissheit ist.

Sitzen fünf Genossinnen und Genossen in der S3 nach Spandau… Klingt nach dem Beginn eines schlechten Witzes. Ist es für die zwei Damen und drei Herren irgendwie auch.

"Wir kommen mit denen so verbissen rüber, als Spaßbremsen."

"Das wollen die Leute doch nicht."

"Die ist unwählbar!"

"Also mein Wunschkandidat ist ja nicht durchgedrungen …"

"Sagt der, der die GroKo-Kritiker dann doch gewählt hat!"

Nein, glückliche Sozialdemokraten klingen anders. Dabei wollen (oder sollen) sie doch heute "In die neue Zeit" aufbrechen. So lautet jedenfalls das Motto des SPD-Bundesparteitages, der an diesem Wochenende im CityCube Berlin stattfindet. Es ist 9.22 Uhr, ein nasskalter Freitagmorgen, erster Tag des Parteitags, und, es ist - zumindest für diese Genossen älteren Semesters - zu früh für die rote Revolution. 

Andere Genossen dürften sich die Uhr nach dem erhofften Umschwung gestellt haben. Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken haben bei den Parteimitgliedern große Erwartungen geweckt, nicht zuletzt, weil sie im innerparteilichen Wahlkampf um den Parteivorsitz offensiv mit dem Koalitionsbruch geliebäugelt haben. Die rund 600 Delegierten sollen sie nach dem Mitgliedervotum, das zum Putsch gegen das Parteiestablishment wurde, nun im Amt bestätigen.

Dass die SPD mit ihrer neuen Führungsspitzen mitnichten den Weg "In die neue Zeit" einschlagen wird, ist am Morgen noch unklar und soll zum eigentlichen Witz an diesem Wochenendes werden. Stattdessen wird sich die krisengebeutelte Partei für ein "Weiter so" entscheiden. Soll halt nur nicht mehr so genannt werden.

Schlagzeilen, die Unheil versprechen

In dem bunkerähnlichen Tagungssaal reiht sich Tisch an Tisch, Genosse an Genossin. Müde bis muntere Blicke richten sich zunächst auf die Schlagzeilen in den Tageszeitungen, die Unheil versprechen: "SPD erwartet Kampfkandidatur" ("Süddeutsche Zeitung") oder "SPD ringt weiter um Verbleib in Koalition" ("Frankfurter Allgemeine Zeitung"). Und als dann die kommissarische Parteivorsitzende Malu Dreyer um 10.16 Uhr mit leichter Verspätung die Bühne betritt, hinter ihr "in die neue Zeit" in übergroßen Lettern auf der weißen Bühnenwand steht und sie dann noch sagt, "Ihr merkt, dass heute kein gewöhnlicher Parteitag ist", da weht kurz eine Hoffnung auf Veränderungen durch den Raum. 

Malu Dreyer wird recht behalten. Es wird kein gewöhnlicher Parteitag. Aber nicht, weil es radikale Veränderung gibt, sondern weil ausgerechnet Walter-Borjans und Esken, die vermeintlichen Heilsbringer – von vielen liebevoll, aber auch vergebens "Nowabo" oder "Eskabo" abgekürzt – die rote Revolution vertagen und die Aufbruchstimmung etwas dämpfen. Und sich die SPD am Ende entscheiden wird, erstmal weiter zu machen in der Regierung. Weiter GroKo.

Am Freitag, um 12.02 Uhr, tritt zunächst Esken auf die Bühne. Es wird still im Saal. Und gefühlt bleibt er es in ihrer streckenweise blassen Bewerbungsrede auch. Das liegt weniger daran, was sie sagt – sie wettert gegen AKK und den Niedriglohnsektor, sie beschwört die SPD und ihr neues Profil: "Klare Kante, klarer Kurs, klare Sprache!" Der pflichtschuldige Beifall der Delegierten ist eher dem Umstand geschuldet, wie sie es sagt. Walter-Borjans, der um 12.28 Uhr die Bühne betritt, ist rhetorisch stärker und erfahrener. Auch seine Spitzen gegen FDP-Chef Christian Lindner und Bekenntnisse zur "linken Volkspartei" und einem "ordentlichem Linksschwenk" sorgen für deutlich mehr Begeisterung. Die spiegelt sich letztlich auch im Wahlergebnis wider: 89,2 Prozent für Walter-Borjans, 75,9 Prozent für Esken. Ab 14.53 Uhr wird die SPD offiziell von einem Mann geführt, der sich gestärkt fühlen darf, und einer Frau, die sich nur stark fühlt.

Knapp 24 Stunden später geht es mit der neuen Zeit so weiter wie bisher. Es gibt neue Umfrageergebnisse und, immer noch, keine guten Neuigkeiten für die SPD. Laut "Trendbarometer" von RTL und N-TV geht es weitere drei Prozent bergab, nur noch 11 Prozent würden demnach die SPD wählen. Das scheint die Genossinnen und Genossen aber nicht allzu sehr zu verstimmen: Sie berauschen sich an ihren Beschlüssen, verabschieden einmütig das Konzept für einen "neuen Sozialstaat". Laut dem Beschluss soll es kein Hartz IV mehr, sondern ein Bürgergeld mit weniger Sanktionsmöglichkeiten geben – der ausgiebige Applaus dafür wirkt beinahe ehrlicher als bei "Nowabo". Paradox: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil erinnerte daran, dass die SPD unter ihrer früheren Chefin Andrea Nahles die Arbeit am neuen Sozialkurs begonnen habe: "Das ist ihr Vermächtnis." 

Am Freitag, nach den Reden von Walter-Borjans und Esken, sind viele Delegierte erst einmal zufrieden, wie es scheint. Sie verlassen das Plenum, um sich eine Stärkung zu holen – zwischen den Ständen der Aussteller auf Ebene 1, da, wo auch die Fressbuden stehen. Man sieht etwa einen Vizekanzler Olaf Scholz, vertieft in ein Gespräch, tapfer sein Scholz-Lächeln lächelnd, oder eine Simone Lange, die auch mal SPD-Chefin werden wollte, mit einem Pappbecher Kaffee in der Hand. Kurz bleibt man verwundert stehen, als man den beleuchteten Stand von Huawei sieht – obwohl die SPD von dem chinesischen Telekommunikationsausrüster ja bekanntlich nicht so viel hält. Sponsor sein dürfen sie trotzdem. Vielleicht ist das ja auch Teil dieser fast schon merkwürdig geschlossen auftretenden SPD an diesem Tag.  

"Nur Einigkeit macht stark"

Denn derweil debattieren einige tapfere (und offenbar nicht-hungrige) Delegierte über einen Antrag, der in seinem einstigen Ursprung wohl GroKo-Aus zu Nikolaus besiegelt hätte. Wäre er nicht vom alten Parteivorstand zusammen mit "Nowabo" entschärft worden, in dem Wissen, dass nicht alle Parteimitglieder den Notausgang aus Koalition suchen. Nun lautet der Tenor des Papiers: War gar nicht so schlecht, was wir bislang mit der Union geschafft haben. Und wir reden jetzt noch mal mit CDU und CSU, wie es noch besser gehen könnte. Ein Kompromiss, aber ohne rote Linien.

"Nur Einigkeit macht stark", rief Walter-Borjans den Genossinnen und Genossen schon in seiner Bewerbungsrede ins Gewissen. Namhafte Mitglieder, darunter ausgerechnet GroKo-Großkritiker Kevin Kühnert ("Wir haben keine Oppositionssehnsucht"), stärkten dem Duo und ihrem Plan den Rücken  – wohl auch, um ihnen die erste Pleite im Amt zu ersparen. Und so wird Freitag, um 18.22 Uhr, beschlossen: Gespräche statt GroKo-Aus an Nikolaus. Die Revolution ist vertagt.

So setzt sich der Abend fort. Es soll keine Verlierer geben. Und so werden später auch fünf Vize-Parteivorsitzende gewählt, obwohl es ursprünglich nur drei Plätze an der Seite von "Nowabo" geben sollte. Man wollte eine Kampfkandidatur vermeiden und die Ausgewogenheit an GroKo-Kritikern und -Befürwortern wahren. Es kommt eigentlich alles so, wie es die Neuen sich vorstellen.

Am Samstag wird deutlich, dass sich die "neue Zeit" zunächst vor allem im Personal widerspiegelt. Die alten Granden verlieren – und müssen (fast) abtreten.

Um 13.03 Uhr steht fest, dass der bisherige Parteivize Ralf Stegner und Berlins Bürgermeister Michael Müller künftig nicht mehr im SPD-Bundesvorstand sitzen werden. Beide sind im ersten Wahlgang durchgefallen und treten für den zweiten Wahlgang nicht mehr an. Bundesaußenminister Heiko Maas fällt im ersten Wahlgang durch, rutscht später im zweiten aber noch nach. Stegner, Müller, beinahe Maas. Dazu Scholz. Markante Gesichter des SPD-Niedergangs.

Das neue Gesicht, Walter-Borjans, sprach in seiner Rede davon, dass "nur Einigkeit“ stark mache. Der aktuelle Parteitag zeigt: Einig sind sich die Genossinnen und Genossen darin, dass es mal wieder Neue richten müssen. Am besten auch mit alter Politik.

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