Nach der Wahl ist vor … ja, vor was eigentlich? Die SPD hat sich auf ihrem Parteitag entschieden, jedenfalls personell. Die Delegierten haben nun auch formal vollzogen, was ihnen die Basis in ihrem Putsch gegen das Parteiestablishment vorgegeben hat – sie haben das praktisch aus dem Nichts gekommene Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu neuen Parteivorsitzenden gewählt. Den einen mit eindeutiger Mehrheit, die andere mit deutlicher Skepsis. Sie haben einen klugen Unterschied gemacht. Und damit auch ein klares Zeichen gesetzt, gegen einen zu unversöhnlichen Ton und gegen einen zu radikalen Umbruch. Die SPD wird nun geführt von einem Mann, der sich gestärkt fühlen darf, und einer Frau, die sich nur stark fühlt. Esken hat den gar nicht so kleinen Unterschied tapfer weggelächelt. Die Frage ist allerdings, ob sie ihn auch verstanden hat.
Betreutes Verhandeln für neue SPD-Führung
Beiden dürfte zumindest schnell klar geworden sein, dass nach dem kurzen Höhenflug nun die Mühsal der (Regierungs-)Ebene kommt. Und das ganz anders, als es zumindest Esken vorschwebte. Die beiden hätten gerne allein mit der Union über die Zukunft der Großen Koalition verhandelt. Sie sind dabei schon vor dem Parteitag ausgebremst worden. Im Parteivorstand wurde ihnen – auch und gerade von SPD-Linken – sehr schnell sehr klar gemacht, dass das nicht in Frage kommt. Olaf Scholz als Vizekanzler und Rolf Mützenich als Fraktionschef werden sie begleiten. Eine Art betreutes Verhandeln. Und eine eingebaute Sicherung gegen einen für gut möglich gehaltenen Versuch der neuen Vorsitzenden, das Regierungsbündnis mutwillig zu sprengen. Man könnte auch sagen: Das Parteiestablishment putschte zurück.

Nikolaus ist Groko-Aus, hatten vor allem die Jusos vor dem Parteitag getönt. Der Traum ist erstmal ausgeträumt. Der Parteitag billigte mit extrem großer Mehrheit die Halbzeitbilanz der Großen Koalition, die der alte Parteivorstand zusammen mit Esken und Walter-Borjans vorgelegt hatte. Tenor: Gar nicht mal so schlecht. Und jetzt reden wir mal mit CDU und CSU, wie es noch besser gehen könnte. Es sind dabei keine roten Linien festgelegt und keine Sollbruchstellen beschrieben worden. Eher Wünsche als knallharte Forderungen. Es ist ein Weiter so, aber unter neuen Bedingungen.
Denn die SPD hat nun beides: Zwei Parteichefs, die der Großen Koalition mindestens skeptisch gegenüberstehen, und zwei weitere Machtzentren, die gerne in Ruhe noch bis zum Ende der Legislaturperiode weiter regieren würden – die Fraktion und die Regierungsmitglieder. Ein schwieriger Balanceakt. Das kann gut gehen, muss aber nicht. Aber wenigstens kann sich nun der gar nicht mal so kleine Teil der SPD, der vom schnellen Ende der Groko träumt, auch an der Spitze der Partei vertreten fühlen. Die SPD hat nun jenseits der Regierung wieder eine eigene Stimme. Das könnte zur Schärfung des SPD-Profils ebenso beitragen wie zur Befriedung der notorisch streitverliebten Genossen. Das wäre nicht nichts, im Gegenteil. Es wäre die Grundbedingung dafür, dem selbstverschuldeten Elend zu entkommen – und vielleicht wieder Wähler zurückzugewinnen.
Politik ist manchmal paradox
Immerhin: Wenn man den Parteitagsreden glauben darf, haben sich viele Sozialdemokraten inzwischen dazu durchgerungen, zumindest ein bisschen begeistert von sich selbst und dem in der Großen Koalition Geleisteten zu sein – auch wenn das Eigenlob am engagiertesten von den SPD-Ministern vorgetragen wurde und manchmal eher verdruckst daher kam wie im Satz des NRW-Landesvorsitzenden Sebastian Hartmann: "Es würde wenig Sinn ergeben, das Ende einer Koalition zu beschließen, die erfolgreich arbeitet."
In der Tat: Es würde keinen Sinn ergeben. So etwas hat die Sozialdemokraten in den vergangenen Jahren zwar selten gestört. Aber manchmal erlebt man auf SPD-Parteitagen Überraschungen – und zwar positive. Womöglich kommen die Sozialdemokraten ausgerechnet unter dem Duo Esken/Walter-Borjans zur Ruhe und zur Vernunft. Politik ist manchmal so paradox. Dann wäre nach der Wahl – vor der Erholung. Wetten sollte man darauf allerdings besser nicht.