Dreyer-Nachfolge Die Kanzlerpartei schaut jetzt auf diesen Mann: Kurt Becks Ziehsohn

  • von Gisela Kirschstein
Alexander SChweitzer, designierter Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz
Designierter Dreyer-Nachfolger Alexander Schweitzer: Er muss die SPD aufrichten
© DPA
Malu Dreyer hinterlässt in Mainz eine ausgeblutete Regierung, Alexander Schweitzer soll die Ampel wieder aufrichten. Auch in der Bundes-SPD blickt man auf den 50-Jährigen. Wer ist der Mann?

Als Alexander Schweitzer endlich das Wort bekommt, muss er erst einmal tief Luft holen. "Ich bin auch gespannt", bekennt der 50-Jährige am Mittwochmittag, und schiebt dann hinterher: "Das ist für mich ein besonderer Tag, ein emotionaler Tag." 

Gerade ist Schweitzer von Malu Dreyer als designierter Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz vorgestellt worden, und auch wenn er seit drei Jahren Minister für Arbeit und Soziales ist – "es sind sehr große Fußstapfen, liebe Malu", sagt er bescheiden.

Das Bild ist ein bisschen kurios. Schweitzer ist ein Hüne von 2,06 Metern Größe, "ein Mann wie eine Schrankwand", wie ein Journalist ihn gerade nannte, das Bild eines echten Pfälzer Genussmenschen. Und doch kommt Alexander Schweitzer weder wie eine Dampfwalze wie einst CDU-Kanzler Helmut Kohl noch mit hochnäsiger Arroganz wie manch anderer seiner Größe daher. 

Im Gegenteil: Bodenständig und ein kluger Analytiker, so würden viele in Rheinland-Pfalz Schweitzer wohl beschreiben. Gelernt hat er von dem Mann, der sein politischer Ziehvater ist: Kurt Beck, legendärer Ministerpräsident und über 19 Jahre lang ein echter Landesvater. Beck hievte 2013 eben jene Malu Dreyer als seine Nachfolgerin ins Amt, die nun den Stab der Macht zurückgibt an einen Pfälzer, der weitaus weniger mit ihr gemein hat als mit ihrem Vorgänger Beck. 

Kommt jetzt auch in anderen Landesverbänden der Wechsel?

Auch die Bundes-SPD guckt jetzt auf diesen Mann. Schweitzer ist in Berlin gut vernetzt, dürfte vom Start weg wichtig werden für die Kanzlerpartei. Gelingt der Generationenwechsel in Mainz, könnte das Signalwirkung haben auch für andere Landesverbände: Niedersachsen etwa – oder Brandenburg. Auch dort warten längst jüngere Sozialdemokraten darauf, endlich die Ministerpräsidenten Stephan Weil und Dietmar Woidke zu beerben.

Alexander Schweitzer wurde in am 17. September 1973 in Landau, am südlichen Zipfel der Pfalz geboren, die französische Grenze ist von hier nur ein Katzensprung entfernt. Der Sohn eines Binnenschiffers verbrachte seine ersten sechs Lebensjahre auf dem Schiff seiner Eltern, nach dem Abitur in Bad Bergzabern studierte er Jura in Mainz. Ein klassischer Sozialdemokrat, wenn man so will. 1989 trat er in die SPD ein – mit 16 Jahren. Von da an wuchs Schweitzer in die Partei quasi hinein: Juso-Vorsitzender in der Pfalz, dann Chef diverser Orts- und Kreisverbände, Mitglied des Kreistages an der Südlichen Weinstraße. 

2006 erbte er das Landtagsmandat von Kurt Beck, der machte ihn 2009 zum Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft. Landwirtschaft und Weinbau. Nach der Landtagswahl 2011 musste Schweitzer das Regierungsgeschäft zugunsten der Partei wieder aufgeben, weil Kurt Beck ihn als Generalsekretär wollte – es war in dieser Zeit, dass Schweitzer den Grundstock für seinen heutigen Karrieresprung legte. Seit Kurt Beck und Roger Lewentz kennt wohl niemand mehr so gut Herz und Nöte der rheinland-pfälzischen SPD, wie der Hüne aus der Pfalz: Keinen Ortsverband, in dem er nicht war, kein Jubilar, dem er nicht gratuliert hat. 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Als dumpfen Provinzler sollte man den Mann aus der Pfalz aber nicht abtun: Jüngst posierte Schweitzer mit feinem Lächeln vor dem Weißen Haus in Washington oder mit Blick auf den Fernsehturm in Berlin. Der Ex-Basketballer ist heute Veganer, Hundebesitzer und Vater von zwei Söhnen und einer Tochter; lässt sich auch mal auf dem Fußboden seines Büros fotografieren oder im Fan-Outfit "seines" Fußballclubs 1. FC Kaiserslautern. 

Alexander Schweitzer durchlief schon viele Posten

2013 machte Malu Dreyer ihn zu ihrem Nachfolger im Amt des rheinland-pfälzischen Sozialministers und schob ihn nur ein Jahr später gleich wieder auf den nächsten Posten: Schweitzer sollte die SPD-Fraktion im Mainzer Landtag zusammenhalten, er machte sie zu seiner Machtbasis und profilierte sich zugleich mit rhetorischer Schlagkraft in den Debatten am Pult. Als Mann der klaren Sprache möchte er rüberkommen, als Sozialdemokrat mit Rückgrat wird er gerne beschrieben, bestens vernetzt.

Nach der Landtagswahl 2021 wurde Schweitzer Superminister für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung – und musste doch in den Jahren danach wie vom Rande des Spielfelds aus den Machtverfall der Regierung Dreyer mitansehen. Die einstige Herzdame der rheinland-pfälzischen SPD, bekannt durch ihr strahlendes Lächeln, hatte 2016 die erste Ampel-Koalition auf Landesebene geschmiedet, die zur Blaupause für die Bundes-Ampel wurde. Doch seither herrscht in Rheinland-Pfalz weitgehend Stillstand, von der einstigen Aufbruchs-Dynamik, die das Land unter Kurt Beck auf Platz drei im Ländervergleich katapultiert hatte, ist wenig übriggeblieben.

Rheinland-Pfalz ist im Ländervergleich weit zurückgefallen, beim SKL-Glücksatlas belegte das Land zuletzt nur noch Platz 12. "Das Bundesland scheint den Anschluss an viele Nachbarbundesländer mehr und mehr zu verlieren", konstatierte die Studie – es kämpfe auch im Jahr 2023 noch mit den Nachwirkungen der Corona-Pandemie, den Folgen der Ahrtal-Katastrophe sowie mit sinkenden Unternehmensinvestitionen. Und noch immer hat das Land die mit Abstand am höchsten verschuldeten Kommunen der Republik.

Das Ahrtal-Desaster klebt an der Ampel in Mainz

Zur Zäsur aber wurde vor allem die Flutkatastrophe im Ahrtal: Das Versagen der staatlichen Behörden, auch und gerade der Landesebene, bei der Aufgabe, Menschenleben vor der verheerenden Flutwelle zu retten, die 136 Toten am Ende, dazu das katastrophale Management in den Tagen nach der Flut und die bis heute stockenden Hilfen beim Wiederaufbau – Malu Dreyer wirkte seither wie gelähmt, auch weil sie sich bis heute zu keiner Entschuldigung für gemachte Fehler durchringen konnte. 

Bei der Europawahl, aber mehr noch bei der Kommunalwahl am 9. Juni gab es auch dafür die Quittung, die SPD sackte landesweit auf 17,5 Prozent ab – Welten vom letzten Wahlerfolg mit 35,7 Prozent im Jahr 2021 entfernt. Alexander Schweitzer ist von der Flutkatastrophe unbelastet, er selbst agierte im Tal vor allem als Zuhörer – nun übernimmt er mit 50 Jahren eine Herkules-Aufgabe: Er muss verlorenes Vertrauen im Land wieder zurückgewinnen, die nach mehr als 30 Jahren Regierungsverantwortung ausgeblutete SPD wieder aufrichten, der lahmenden Regierungsarbeit neue Impulse geben. 

Nicht umsonst sprach Dreyer am Mittwoch davon, dass es jetzt gut sei, wenn da "ein junger Mann mit neuem Schwung" stehe: Schweitzer sei "der richtige Mann in diesem Amt", denn er habe "die Fähigkeit, Menschen anzusprechen und sie zu begeistern."

Auch Landes-SPD stellt sich neu auf

Ehrgeiz, Geduld und Machtbewusstsein bringt der Neue an der Spitze auf jeden Fall mit: Schweitzer setzte sich in dem erbitterten Machtkampf um Dreyers Nachfolge gegen seinen ärgsten Rivalen durch – Innenminister Michael Ebling. Der Mainzer Ex-OB war eigentlich Dreyers Favorit für die Nachfolge, aber Ebling patzte: erst, weil die SPD nach 74 Jahren den OB-Sessel in Mainz verlor, dann weil Ebling als Innenminister inhaltlich oft nicht zu überzeugen vermag und innerhalb der Partei keine Machtbasis besitzt.

Schweitzers zweite Rivalin, SPD-Fraktionschefin Sabine Bätzing-Lichtenthäler soll nun Landesvorsitzende werden, und beerbt damit den seit seinem Rücktritt als Innenminister glücklos agierenden Roger Lewentz. Zwei Jahre hat das neue Team nun Zeit, die rheinland-pfälzischen SPD neuen Schwung einzuhauchen. Im Frühjahr 2026 steht die nächste Landtagswahl bevor.