Rückzug aus der Politik Dreyers Abgang – die SPD verliert eine Institution

Malu Dreyer
SPD-Politikerin Dreyer: Selbstgewählter Abgang
© Thomas Frey / Imago Images
Malu Dreyer ragte mit ihrem politischen Stil über Rheinland-Pfalz hinaus. Zu Berlin blieb sie immer auf Abstand – aus teilweise sehr persönlichen Gründen.

Schon dieser eine Satz sagt viel über sie aus. "Meine Akkus laden sich leider nicht mehr so schnell auf", sagt Malu Dreyer an diesem Mittag in Mainz. Offen, ehrlich, direkt. Ihre Botschaft: Es geht nicht mehr. Mit Politik ist jetzt mal Schluss.

Mehr als zehn Jahre lang war Malu Dreyer Ministerpräsidentin in Mainz. Aber ihr Einfluss reichte nicht nur weit über Rheinland-Pfalz hinaus. Sie wirkte in gewisser Weise auch durch die Ämter, die sie gar nicht hatte.

Dreyer war die Parteivorsitzende, die eine stets verunsicherte SPD gut hätte brauchen können, aber nie bekommen hat. Dreyer hätte politisch wohl jedes Bundeskabinett verstärkt. Wahrscheinlich hätte Malu – eigentlich: Marie-Luise – Dreyer auch eine gute erste Bundespräsidentin abgegeben. 

Sie hat auf das alles verzichtet. Doch allein, dass man ihr die Ämter zutraute, machte Dreyer in der deutschen Politik schon bedeutender als andere Ministerpräsidenten. Ihr Abgang ist für die SPD sehr schmerzhaft. Allzu viele Identitätsfiguren hat die Sozialdemokratie nicht mehr.

Malu Dreyer, 63, ausgebildete Juristin, war in ihren Jahren als Regierungschefin, die jetzt zu Ende gehen, eine Institution: populär in Rheinland-Pfalz, respektiert von ihren Kollegen in den anderen Landeshauptstädten, geschätzt in Berlin

Warum bliebt Dreyer immer in Mainz?

1995 in die SPD eingetreten, vertrat sie als stellvertretende Parteivorsitzende stets sozialpolitische Positionen, verband sie aber mit dem Realitätssinn der Ministerpräsidentin. Mit Angela Merkel, Kanzlerin in acht von elf Amtsjahren Dreyers, pflegte sie politisch wie menschlich ein gutes Verhältnis. 

Es war wahrscheinlich eine Mischung aus Gründen, die Dreyer immer veranlasste, in Mainz zu bleiben – sieht man von einer kurzen Zeit als Interims-Vorsitzende der SPD nach dem Rücktritt von Andrea Nahles ab. Dreyer war sehr wichtig für die rheinland-pfälzische SPD. Noch der letzte Sieg der Sozialdemokraten bei der Landtagswahl 2021 war vor allem ein persönlicher Erfolg der Ministerpräsidentin. Jetzt wählt sie den Zeitpunkt ihres Abschieds selbst. So wie Merkel das als Kanzlerin machte.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Ihre designierten Kronprinzen, unter denen sich nun der bisherige Arbeitsminister Alexander Schweitzer durchgesetzt hat, mussten lange ausharren, manche von ihnen scheiterten schon vorher an anderen Aufgaben. Noch im Februar 2023 ließ Dreyer offen, wie lange sie noch regieren wolle: "Mein Vorgänger war 18 Jahre im Amt, das ist für mich nur schwer vorstellbar. Aber im Moment ist aufhören für mich kein Thema."

Ihre SPD ist in einer schwierigen Phase

Dreyer hatte zudem verfolgt, wie ihr Vorgänger und Förderer Kurt Beck in Berlin als SPD-Chef unterging. Sein landesväterlicher Stil passte nicht in die Bundespolitik, die eigenen Genossen ließen ihn fallen, manche bekämpften ihn regelrecht. Solch einen Höllenritt wollte Dreyer nicht riskieren - vermutlich auch eingedenk ihrer Multiplen Sklerose, obgleich sie in einem Interview mit dem stern 2022 auf die Frage, was sie wegen der Krankheit nicht könne, antwortete: "Im Job spielt das gar keine Rolle." 

Allerdings fügte sie hinzu: "Wenn ich in einem Politikerpulk unterwegs bin – vor allem in Berlin haben die manchmal ein ziemliches Tempo drauf –, da sage ich vorher: Leute, ich kann nicht so schnell laufen, rennt mir nicht davon." 

Dreyer übergibt das Amt in einer schwierigen Phase für die SPD. Ihre Landes-Partei ist unruhig, das Ergebnis bei der Europawahl war miserabel. Denn so populär Dreyer auch war – reibungslos verlief ihre Amtszeit nicht. Gerade in den letzten Jahren ging es teilweise drunter und drüber. 

Sie gehe mit schwerem Herzen, "weil ich nicht amtsmüde bin", sagte Dreyer an diesem Mittwoch. "Ich gehe mit schwerem Herzen, weil ich mir eingestehen muss, dass meine Kraft nicht mehr ausreicht, um den Anspruch und dem Anspruch, den die Bürgerinnen und Bürger an mich stellen können, gerecht zu werden."

Dreyer hatte mehrere politische Affären zu überstehen – manche davon waren Erbstücke ihres Vorgängers wie die Verschwendung von Steuergeldern am Nürburgring, andere hatten ihr eigene Leute eingebrockt, wie die chaotische Privatisierung des Flughafens Hahn. 

Nichts allerdings setzt Dreyers Regierung so zu wie das schlechte Management der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021. Wegen der verspäteten Reaktion auf die Katastrophe musste Innenminister Roger Lewentz zurücktreten, auch Dreyer selbst handelte sich den Vorwurf ein, die Flut zunächst nicht ernst genommen zu haben. Sie lehnte persönliche Konsequenzen aber ab. Ein Untersuchungsausschuss arbeitet noch an der Aufarbeitung, die Beweisaufnahme wurde im Februar abgeschlossen. Der Abschlussbericht soll noch vor der Sommerpause im Landtag debattiert werden.

Jetzt muss Alexander Schweitzer in Mainz die Ampel führen

Bis dahin soll schon Dreyers Nachfolger Alexander Schweitzer jene Koalition aus SPD, Grünen und FDP in Mainz führen, die als Vorbild der Ampel in Berlin galt. Doch die Ähnlichkeiten im Politikstil blieben gering. 

"In Rheinland-Pfalz bemühen wir uns, Konflikte im Hintergrund zu lösen", sagte Dreyer einmal über ihre Koalition. "Und wir haben vereinbart, uns nie auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen, es muss immer das Beste fürs Land herauskommen." Beides hat sich in der Koalition im Bund bislang nicht durchgesetzt. 

Trotzdem nahm die loyale Genossin Dreyer den Kanzler und Parteifreund stets in Schutz. Es habe sie nicht überrascht, dass es mit der Ampel in Berlin nicht einfach werde, sagte sie einmal. "Das hat mit einer völlig anderen Medienlandschaft zu tun, es gibt viel, viel mehr Abgeordnete, und die Regierung hat riesige Probleme anzugehen." Über seinen Führungsstil befand sie: "Er hat seine eigene Art, seinen eigenen Humor, seine eigene Art zu sprechen. Er hat seinen eigenen Weg, das wussten alle, die ihn gewählt haben."  

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