Rheinland-Pfalz SWR-Medienaffäre: Jetzt rückt Ministerpräsidentin Malu Dreyer in den Fokus

  • von Gisela Kirschstein
Ministerpräsidentin Dreyer (SPD): Im Abschwung
Ministerpräsidentin Dreyer (SPD): Im Abschwung
© Sebastian Christoph Gollnow / DPA
Die Staatskanzlei in Mainz intervenierte beim SWR wegen einer politisch unliebsamen Einschätzung – jetzt rückt die Affäre auch an Ministerpräsidenten Malu Dreyer heran. Was ist los im Team der Sozialdemokratin?

Showdown im Mainzer Landtag: Am heutigen Mittwoch muss sich die Landesregierung in Rheinland-Pfalz der Frage stellen: Wie hält sie es mit der Unabhängigkeit der Presse? Auslöser ist die "Briefkopfaffäre" der für Medienpolitik zuständigen Staatssekretärin Heike Raab. Doch im Fokus steht längst eine andere: Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). 

Der Druck auf Dreyer wächst zunehmend. Die Opposition verlangt eine persönliche Erklärung von ihr. Im Hintergrund laufen schon Planspiele für einen Untersuchungsausschuss

Auslöser der so genannten "Briefkopfaffäre" ist ein Protestschreiben, das Dreyers Staatssekretärin Raab am 2. Mai an die Landessenderdirektorin des SWR, Ulla Fiebig, schickte. Darin beschwerte sich Raab über eine Einschätzung des SWR-Hauptstadtkorrespondenten Georg Link, der über den im Oktober 2022 zurückgetretenen SPD-Innenminister von Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz, gesagt hatte: "Es dürfte bundesweit wahrscheinlich einmalig sein, dass ein Landesminister, der die politische Verantwortung für die vielen Toten dieser schrecklichen Ahrkatastrophe übernehmen muss, weiterhin Landesvorsitzender seiner Partei bleibt."

Affäre nährt Erinnerungen an die Ahrtal-Katastrophe

Link traf mit seiner Kritik an Lewentz einen ausgesprochen wunden Punkt in der Landesregierung von Malu Dreyer: Lewentz war Innenminister, als in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 eine gigantische Flutwelle durch das Ahrtal rauschte, Häuser, Brücken und Straßen mit sich riss – und 136 Menschen, die in den Fluten starben. Lewentz trat nach langem Zögern im Oktober 2022, genau einen Tag vor einer Sondersitzung im Parlament, von seinem Amt zurück. Aber nicht wegen eigener Fehler und schon gar nicht wegen der vielen Toten im Tal: Er "übernehme die Verantwortung für die in meinem Bereich gemachten Fehler", sagte Lewentz lediglich. 

Bis heute hat in der rheinland-pfälzischen Landesregierung niemand die Verantwortung für die vielen Fehler der Flutnacht übernommen, bis heute verweigert sich gerade auch Malu Dreyer persönlich einer Entschuldigung für die Versäumnisse, die 136 Menschen das Leben kostete. So viele, wie keine andere Katastrophe in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg, die Sturmflut in Hamburg 1962 ausgenommen. Damals aber setzte sich ein gewisser Innensenator namens Helmut Schmidt über alle Regeln hinweg, und alarmierte Rettungskräfte, die Bundeswehr, ja sogar militärische Befehlshaber aus ganz Europa.

Ähnliches passierte in der Flutnacht an der Ahr 2021 gerade nicht: Verantwortliche Politiker saßen mit dem Bierchen vor dem Fernseher oder gingen zu Bett, während im Ahrtal Menschen um ihr Leben kämpften. Erst gegen 1.00 Uhr nachts griff Roger Lewentz zum Telefonhörer und versuchte, das Bundeswehrkommando in Mainz anzurufen – da stand das Ahrtal beinahe bis zur Mündung meterhoch unter Wasser.

Genau diese Hintergründe schwingen nun mit, wenn Staatssekretärin Raab, die als Beauftragte der Ministerpräsidentin für Medien und Rundfunkpolitik der Länder zuständig ist, ausgerechnet mit Briefkopf ihres offiziellen Amtes in der Staatskanzlei gegen den Satz eines Journalisten interveniert, in dem dieser eine direkte Verantwortungslinie zwischen Lewentz und den Toten der Ahrflut zieht. Raab monierte, der Satz sei "objektiv falsch", ein Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dürfe nicht "einen direkten Zusammenhang konstruieren, der so nicht besteht" – und drohte mit Behandlung im Programmausschuss.

SPD in Rheinland-Pfalz im Abwärtssog

Die Affäre trifft die Ministerpräsidentin zur Unzeit. Die Umfragen sind mies, die Stimmung in der Partei ebenfalls, sogar ihre persönlichen Beliebtheitswerte sind eingebrochen. Von der stolzen Mainz-SPD ist dieser Tage nicht viel übrig. Und in der Frage, wer Malu Dreyer einmal nachfolgen könnte, beäugen sich unterschiedliche Lager bei den Sozialdemokraten seit Monaten kritisch – Lewentz Wiederwahl als Parteichef soll ja gerade einen offenen Machtkampf der Nachfolger verhindern.

Und nun bringt die Affäre die nächste Vertraute von Dreyer in Bedrängnis, denn inzwischen ist klar: Raab schickte den Brief keineswegs von ihrem Privathaus in Cochem ab, das Schreiben wurde in der Staatskanzlei datiert, eingescannt und zu den Akten gelegt. Damit hat der Fall nun auch Dreyer selbst erreicht: Sie müsse dringend erklären, wie sie selbst zu dem Vorgang stehe, fordert der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Gordon Schnieder.

Die Freien Wähler drängen ebenfalls: "Uns geht es um eine klare, persönliche Stellungnahme der Ministerpräsidentin Malu Dreyer als Chefin der Landesregierung", sagt Fraktionschef Joachim Streit. Raab sei schließlich "die Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz, und damit auch die Stellvertreterin der Ministerpräsidentin." Ein Rücktritt oder eine Entlassung Raabs reiche schon lange nicht mehr – jetzt müsse Malu Dreyer selbst "zeigen, wie es um ihre Einstellung zur Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bestellt ist".

Da half es auch nichts, dass sich Raab am Freitag offiziell entschuldigte und flugs ihre Ämter im SWR niederlegte. Und bislang beruhigte die Gemüter auch nicht, dass sich Dreyer am Freitag schützend vor ihre Staatssekretärin stellte: Sie nehme die öffentliche Diskussion um den Brief "sehr ernst" und bedauere als Ministerpräsidentin, "dass der Eindruck einer Einflussnahme entstehen konnte", teilte Dreyer mit: "Sie wissen, ich stehe ohne Wenn und Aber für unabhängigen Journalismus, das gilt für den öffentlichen Rundfunk genauso wie für private Medien oder unsere vielfältige Zeitungslandschaft."

Doch Raab zu entlassen – so weit ging Dreyer nicht, und so dürfte die Kritik bei der Sondersitzung am Mittwoch auch sie in voller Härte treffen. Beantworte Dreyer offene Fragen nicht, mache sie sich "die Argumentation Raabs endgültig zu eigen und stellt ihren Machterhalt über ehrlichen Aufklärungswillen", schimpfte Schnieder.

Das sind die offenen Fragen

Denn noch stehen Fragen im Raum: Raab hatte angegeben, “jemand aus ihrem Wahlkreis” habe sie auf die Sendung aufmerksam gemacht – war dieser jemand am Ende gar Roger Lewentz selbst, wie die Opposition offen argwöhnt? Raab hat sich zu dieser Frage bisher ausweichend verhalten, die SPD schweigt. Woran man sich in Mainz aber sehr gut erinnert: Lewentz attackierte Ende April jeden Journalisten, der die Frage nach der Verantwortung für die Toten im Ahrtal zu stellen wagte, scharf.

Lewentz wurde am 4. November als Landeschef der rheinland-pfälzischen SPD für zwei Jahre wiedergewählt. Die Toten im Ahrtal fanden auf dem Parteitag keine Erwähnung – doch ihre anklagenden Fragen nach Verantwortung und Konsequenz spuken noch immer wie Geister durch das Mainzer Regierungsviertel. 

Die Opposition droht nun offen mit einem Untersuchungsausschuss in der Causa Raab, und fordert Antworten, wie Freie-Wähler-Mann Streit klar macht: "Frau Dreyer kann sich nicht mehr wegducken, wie sie es schon bei der Flutkatastrophe getan hat." Für die Ministerpräsidentin geht es nun um viel. Schweigt sie, könnte die die Affäre nach der Sondersitzung erst noch richtig anrollen.

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